Geduld ist eine Tugend, sagt man. Unglücklicherweise bin ich mit dieser Tugend nicht eben gesegnet und das geht in meinem Fall weit über den Bereich Fußball hinaus. Beim HSV aber kann man die Kunst der Geduld getrost als sowas wie „Didi’d letzte Patrone“ bezeichnen, denn der Rest des Pulvers ist nach einem Jahr komplett verschossen. Was bei nahezu jeder anderen Führungscrew „vor Didi“ zur unmittelbaren Kreuzigung geführt hätte, wird Hoffnungsfigur Beiersdorfer von vielen Anhängern bisher noch verziehen, bisher. Wobei man auch hier erkennen kann – das Eis wird dünn und brüchig. Der Auftritt und besonders das uneinsichtige und teils trotzige Verhalten des allein gelassenen Didi haben ihn weitere Sympathiepunkte gekostet und so langsam müsste mal geliefert werden, nur – wie denn eigentlich?

Die bisherige Spanne zwischen den Spielzeiten hat gezeigt, dass der HSV auf dem Transfermarkt mehr als nur eingeschränkt handlungsfähig ist, während viele Verein ihre Hausaufgaben gemacht haben, geht den Hamburgern ein Kandidat nach dem nächsten von der Fahne. Von dieser Seite auf einen Befreiungsschlag zu warten, wäre demnach fatal. Und sonst so? Was könnte das weidwunde Publikum zu einer weiteren Geduldsrunde ermutigen? Mir fällt nicht viel ein. Campus-Patrone Alexander Otto wurde auf der vorletzten Mitgliederversammlung verballert und der nächste Investor, der für ein weiteres Prozentchen HSV-Anteile 2 Milliönchen aus seiner Privatschatulle beisteuert, zieht in Hamburg keine Wurst mehr vom Teller, dafür waren die Erwartungen an den Heiler Beiersdorfer zu groß.

Denn ist es nicht eigentlich so, dass man in der Anhängerschaft des HSV wirklich nur noch mit der Person Beiersdorfer Geduld hat, während der Rest seiner Crew längst verbrannt ist? Peter Knäbel hat sich nicht nur durch seine unglückliche Trainertätigkeit, sondern vor allem durch seine unsäglichen Aussagen unmöglich gemacht und die Mär, dass man die Arbeit von Hockey-Guru Peters erst in den nächsten 20 Jahren wird beurteilen können, glaubt in Hamhurg auch kaum noch einer. Warum aber eigentlich weiterhin Geduld mit einem Didi, der bisher im Grunde absolut nichts richtig gemacht hat?

Nun, ich denke, das mit der Geduld war und ist in Hamburg so eine Sache und ich habe das Gefühl, dass man in der Hansestadt Geduld mit Didi haben möchte, um zu demonstrieren, dass man sehr wohl in der Lage ist, Geduld haben zu können. Zu oft machte sich der ungekrönte Rekordmeister in Sachen Trainerwechsel zum Gespött der Republik, aber jetzt wollen es besonders die Anhänger des HSV den Spöttern einmal so richtig zeigen.

Wenn wir schon nicht besser kicken können als ihr, können wir wenigstens mindestens so viel Geduld haben wie ihr.

Mit anderen Worten: Geduld aufbringen, um zu zeigen, dass man Geduld aufbringen kann und nicht, weil es richtig ist.

Ich bringe mal ein Beispiel: Wenn mir jemand sagt, er möchte gern 15 kg abnehmen, dann würde ich ihm erklären, dass sowas nicht von heute auf morgen geht, dass sowas dauert, dass man dafür einiges wird tun müssen. Man braucht Geduld. Wenn ich dann aber erkenne, dass sich diese Person jeden Abend einen Zentner Kartoffelchips in die Figur massiert, werde ich irgendwann die Geduld mit ihm verlieren. Ich sehe, dass er vielleicht die Idee, aber nicht die Fähigkeit hat, sein Ziel umzusetzen und in dem Fall bringt einem die schönste Geduld nicht mehr weiter.

Vielleicht doch noch ein kurzes Wort zu den Finanzen und den Transfers. Im Moment kann wirklich der Blindeste erkennen, dass dem HSV bzgl. Spielertransfers die Hände gebunden sind, selbst ca. € 2 Mio. für Süleyman Koc kann der Verein nicht stemmen. Betrachte man dann die Transferaufwendungen vor der letzten Saison (ca. € 35 Mio.) mit Käufen wie Lasogga (€ 8,5 Mio.), Müller (€ 4,5 Mio.), Behrami (€ 3,5 Mio.) etc. wird man erkennen, dass die fetten Jahren vorbei sind. Soviel Kohle, wie Didi sie vor der Saison 2014/15 verpulvern durfte, bekommt er in Hamburg nie wieder in die Finger, selbst dann nicht, wenn man einen Jonathan Tah nach Gladbach oder Leverkusen verschleudern sollte, was schon wieder Beiersdorfers nächste Zwickmühle aufzeigt. Verkauft er Tah, hat er neues Spielgeld, aber was er mit dem letzten Spielgeld gemacht hat, erkannte man am 34. Spieltag der letzten Saison. Sollte er den letzten echten Hoffnungsträger des Bundesliga-Dinos aber tatsächlich veräußern, würden wohl auch die letzten durchdrehen, die bereits durch die Personalie Beister leicht angesäuert erscheinen.

Ein Affront, der Konsequenzen haben muss

Wie auch immer  Didi steckt bis zum Hals im Schlamassel und dass er er sich in dieser Situation nicht auf seine Mitstreiter verlassen kann, wurde am letzten Sonntag überdeutlich. Während Beiersdorfer nach einer desaströsen Saison irgendwie tapfer vom Blatt ablas und die Schläge kassierte, verschwand der eine Teil der Kollegen unter der gewohnten Tarnkappe (Hilke, Wettstein, Knäbel, Peters), der andere Teil war gar nicht erst erschienen (Gernandt, Goethard etc.). Kurzum, von der künstlich heraufbeschworenen „HSV-Familie“ war nichts als heiße Luft übrig geblieben.In einer Familie hält man zusammen, man steht beieinander und ünterstützt sich vorbehaltlos, besonders in schweren Zeiten. Wer aber die Familie in der Krise allein lässt, macht sich schuldig, nein, er macht sich unmöglich. Karl Gernandt hatte alle Möglichkeiten, die Situation zu entschärfen. Er hätte beispielsweise eine Grußbotschaft per Video an die anwesenden Mitglieder senden können, in der er sich dafür entschuldigt, dass er nicht persönlich anwesend sein kann. Allein der Umstand, dass Aufsichtsratsboss Gernandt und auch sein Stellvertreter Felix Goedhart  es nicht für nötig hielten, etwas in dieser Richtung in Erwägung zu ziehen, schlägt dem Fass den moralischen Boden aus und macht einen Verbleib Gernandts im Aufsichtsrat unmöglich. Gernandt muss gehen und zwar sofort. Wer allerdings der Meinung ist, mit Gernandts Abgang wäre auch ein Ausstieg Kühnes verbunden, der sollte darüber nachdenken, dass Vereine wie Gladbach, Augsburg oder Bremen auch ohne Milliardär im Hintergrund die Klasse halten können. Und mehr.