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Hallo, mein Name ist Jona und ich bin Profi-Fußballer. Ich wurde am 11.02.1996 in Hamburg geboren, bin also gerade mal 19 1/2 Jahre alt. Zur Zeit bin ich auf dem Weg nach Griechenland, wo ich mit der deutschen U19-Nationalmannschaft die EM spielen werde. Ich freue mich sehr darauf, weil Spiele mit der Nationalmannschaft immer etwas Besonderes für mich sind.

Ich weiß, dass zur Zeit viel über mich geschrieben und gesprochen wird, ich verfolge viele sogenannte Diskussionen im Internet. Was meine Zukunft betrifft, habe ich mich ganz bewusst nicht geäußert, denn selbst ich mit meinen gerade mal 19 Jahren weiß, wie schnell sich eine Situation verändert und ich möchte auf keinen Fall als Lügner dastehen. Deshalb sage ich lieber nichts, aber ich denke natürlich viel darüber nach.

Eigentlich würde mich mein Weg nach der Saison in Düsseldorf wieder zu meinem Heimatverein in meine Heimatstadt Hamburg führen, aber im Laufe des letzten Jahres sind mir Zweifel gekommen. Damit man mich bitte nicht falsch versteht, der HSV war immer mein Verein, nachdem ich 2009 als damals 13-Jähriger von Concordia zum HSV gekommen bin. Beim HSV habe ich die Ausbildung erhalten, die mich letztendlich in die Bundesliga und in die verschiedenen Nationalmannschaften geführt hat, aber ich bin Lizenzspieler. Ich spiele für Geld Fußball und ich habe nur diese eine Karriere.

Ich muss immer wieder den Kopf schütteln, wenn ich – besonders im Internet unter anonymen Namen – diese Doppelmoral mitbekomme. Die Spieler, die einen Verein verlassen möchten, um den nächsten Karriere-Schritt zu versuchen, das sind Söldner, Verräter, man darf sie als Judas brandmarken. Wenn aber ein Verein einen Spieler, der noch einen laufenden Vertrag besitzt, den dieser Verein aus freien Stücken unterschrieben hat, nicht mehr haben möchte, dann ist das völlig ok. Der Verein darf das, weil er ja den Spieler bezahlt?

Wisst ihr, wir Spieler reden sehr viel miteinander und ich habe mitbekommen, was besonders der HSV in den letzten Jahren, auch unter der neuen Führung, mit einzelnen Spielern gemacht hat. Hakan zum Beispiel wurde versprochen, dass man sich zu Verhandlungen bereiterklärt, wenn er einen neuen, langfristigen Vertrag unterzeichnet. Er hat das dann gemacht und als am Ende der Saison ein anderer Verein Interesse zeigte, wollte man von der Zusage nichts mehr wissen. Dann plötzlich bot man ihn wieder bei anderen Vereinen an, weil man dringend Geld brauchte. Als man dieses Geld dann von woanders bekam, durfte er wieder nicht gehen.

Maxi’s Knie war nach der Trainingsverletzung komplett im Eimer, die Angst, nie wieder spielen zu können, hat ihn beinahe fertiggemacht. Er hat dann in der Reha geschuftet, um den Anschluss zu schaffen, aber der Verein hat ihn hängen lassen. So gut wie niemand hat sich um ihn gekümmert, keiner hat sich nach seinem Befinden erkundigt. Ich weiß, dass viele meinen, dass man das als gut-bezahlter Profi aushalten muss, aber wir sind auch Menschen. Wir haben auch Ängste, wir brauchen genauso Zuspruch und ab und zu mal ein Zeichen vom Arbeitgeber, dass man wichtig ist.

Ich selbst habe das doch auch im Laufe der letzten Saison erlebt. Im Alter von 17 Jahre und 6 Monaten feierte ich mein Debüt im Trikot des HSV, damals verloren wir 1:0 in Berlin. Ich war der jüngste Spieler in der langen Vereinsgeschichte des HSV und ich wäre trotz der Niederlage fast geplatzt vor Stolz. In dem Moment hatten sich alle Mühen und alle Entbehrungen gelohnt, die man als Junge, der seinen Traum leben will, auf sich nehmen muss.

Mal nebenbei, ich finde es immer wieder lustig, wie sich alte, fettbäuchige Männer im Internet über Leistungen und Verhaltensweise von professionellen Fußballspielern äußern. Sie selbst können sich angesichts ihrer 149 kg kaum noch bewegen oder sind wegen der Dämpfe aus ihrer Imbissbude komplett blöd geworden, aber sie wissen, wie man’s macht. Sie können an ihrer Tastatur besser spielen als Ronaldo, aber sie können keine 20 Meter laufen, ohne einen Kreislaufkollaps zu bekommen. Ich finde diese Typen albern.

Aber zurück zum Anfang. Ich war 17 und ich spielte Bundesliga, was für ein Wahnsinn. Aber obwohl wir eine schlechte Saison spielten, sagten mir alle (auch mein Bundestrainer), dass ich meine Sache gut machen würde. Dann plötzlich tauchten irgendwelche Gerüchte auf, mein Vater, zu dem ich kaum Kontakt hatte, streute Märchen. Auf einmal wurde mein Vertrag in einer Zeitung veröffentlicht und der Trainer meinte, ich könnte meine Leistung nicht mehr bringen, weil ich auch wegen meines Abiturs zu abgelenkt sei. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich von sowas nicht ablenken lasse, aber plötzlich war ich nicht mehr im Profikader und ich wusste nicht, warum nicht. Mit mir hat niemand so richtig gesprochen, die Details erfuhr ich meistens aus der Zeitung. In dieser Zeit hätte ich mir seitens des Vereins ein wenig mehr Offenheit und Ehrlichkeit gewünscht, ich war doch erst 18 Jahre alt.

Aber anstatt auf mich zu setzen, meinte man nach der Saison, man würde mich für ein Jahr nach Düsseldorf verleihen. In die zweite Liga. Das tat mir weh, aber ich möchte die Fortuna nicht schlecht machen, das ist ein fairer Verein. Kaum war ich aus Hamburg weg, las ich, dass man für mich einen Brasilianer für € 3 Mio. gekauft hatte, den vorher niemand kannte. Er sprach kein Deutsch und spielte auch monatelang nicht, während ich in Düsseldorf spielte. Ich habe das bis heute nicht verstanden, es hat mir auch niemand erklärt, aber wahrscheinlich muss ein Verein seinen Spielern auch nichts erklären.

Neulich habe ich im Internet gelesen, dass Herr Knäbel meinte, er wäre in der letzten Saison viermal in Düsseldorf gewesen und dass mich die Hamburger Scouts bei jedem Spiel beobachtet hätten. Das mag sein, aber eine ständige Leistungsbeurteilung ist das eine, ein persönliches Gespräch ist das andere und ein solches Gespräch hat während der gesamten Saison nicht stattgefunden. Wer das Gegenteil behauptet, der lügt! Der Verein hat nicht einmal mit mir gesprochen, hat mir nicht erklärt, ob und wie er mit mir plant. Stattdessen lese ich jetzt unwidersprochen in der Zeitung, dass der Verein an meinen Fähigkeiten zweifeln würde. Ok, denke ich dann, was soll ich dann noch da?

Was für mich gilt, gilt übrigens auch für die anderen verliehenen Spieler. Auch mit Kerem, der nach Kaiserslautern verliehen war, hat niemand gesprochen. Lasse war im Grunde sofort klar, dass er nie wieder für den HSV spielen würde, er wurde vollkommen ignoriert und Jacques wusste nicht mal, wer Herr Knäbel überhaupt ist. Ich hätte gern weiter für den HSV gespielt, aber warum geht der Verein dann so mit uns um? Wie geht denn der Verein mit Boban um, der dem HSV die Klasse und die Existenz gerettet hat? Möchte ich, dass man das eines Tages auch mit mir so macht? Ich weiß, dass das Profigeschäft hart ist, aber man kann doch zumindest mit offenen Karten spielen, oder?

Vor gut einem halben Jahr rief mich Herr Schmidt aus Leverkusen an. Er fragte mich, wie es mir geht, ob ich mich in Düsseldorf wohlfühlen würde und so weiter. Dann erklärte er mir, dass er mich unbedingt haben wollte. Er selbst hatte in Leverkusen gerade seinen Vertrag bis 2019 verlängert und die Art und Weise, wie man in Leverkusen spielt, gefällt mir sehr. Ich habe dann mit meinen Kumpels Hakan und Sonny gesprochen, die treffe ich ohnehin öfter hier, Düsseldorf und Leverkusen sind nicht so weit voneinander entfernt. Beide, auch Levin, erzählten mir, wie man in Leverkusen mit den Spielern umgeht. Dort gibt es eine Vereinsführung, die seit Jahren zusammenarbeitet, junge Spieler werden aufgebaut und bekommen Spielpraxis, auch in der Champions League. Sonny ist mit 21 Südkoreas Fußballer des Jahres geworden, Hakan ist in der Türkei ein Volksheld. Ich könnte also in der nächsten Saison um die ersten 5 Plätze in der Bundesliga spielen, gegen Ronaldo und Messi auflaufen, den Bayern auf Augenhöhe begegnen. Oder ich könnte die nächsten Jahre regelmäßig gegen den Abstieg spielen, alle 7 Monate einen neuen Trainer bekommen usw. Was würdet ihr machen?

Ich glaube, ich hätte auch einige Jahre Abstiegskampf auf mich genommen, schließlich ist der HSV mein Verein und ich habe ihm viel zu verdanken, außerdem bin ich erst 19 Jahre alt. Aber beim HSV kümmert man sich nicht um seine Spieler, man redet nicht mit ihnen. Natürlich gibt es eine Rundum-Versorgung, aber das meine ich nicht. Ich meine Wertschätzung, ich meine Interesse an der Person, dem Menschen. Und nicht nur dann Interesse, wenn es darum geht, dass man einen Vertrag unterschreibt bzw. verlängert. Eigentlich ist es gar nicht so schwer, man muss es nur wollen, aber beim HSV will es scheinbar keiner.

Mein Berater Christian Nerlinger hat mich gefragt. Er hat gesagt: „Jona, du hast nur diese eine Karriere und sie kann morgen vorbei sein. Was willst du? Willst du zurück nach Hause, wo sie dich nicht schätzen, wo sie ihre Spieler wie Ware behandeln? Oder willst du bei einem Verein spielen, der solide aufgestellt ist? Wo man sich vor seine Spieler stellt, anstatt in der Öffentlichkeit zu erklären, dass einige Spieler keine Männer sind? Was willst du, Jona?“

Ich habe gesagt:“ Herr Nerlinger, eigentlich möchte ich doch nur Fußball spielen“

[Zur Erklärung: Diesen Blog hat natürlich nicht Jonathan Tah geschrieben, sondern ich. Ich habe selbst lange genug gekickt und auch ich bin einmal 19 Jahre alt gewesen. Ich weiß natürlich auch, dass man die „üblichen Verdächtigen“ unter den Fans nicht bekehren kann, sie werden immer wieder Parolen wie „Söldner“ oder „Judas“ brüllen, obwohl sie keine 2% vom Ganzen begreifen. Das hindert mich trotzdem nicht, solche Dinge immer und immer wieder zu schreiben. Euch einen schönen Sonntag]