Als ein „selling club“ im bezahlten Fussball bezeichnet man im Allgemeinen einen Verein, der Talente für relativ kleines Geld einkauft, sie ausbildet und für viel Geld an besser situierte Vereine abgibt. Ein solcher Verein „überlebt“ eben aus diesem Grund, weil ihm der Spielraum für andere Einnahmen aufgrund beispielsweise schlechter Infrastruktur (Kleinstadt, wenig potenzielle Sponsoren, kleines Stadion), übergroßer Konkurrenzsituation (Ruhrgebiet) oder einfach eines nicht so guten Standortes fehlt. Er muss also besonders im Nachwuchsbereich, aber auch im taktischen und spieltechnischen Profibereich besser arbeiten als andere Vereine, um aus Talenten Topspieler zu machen, die bei reicheren Vereinen Begehrlichkeiten wecken.

Wenn man ehrlich ist, ist es so, dass eigentlich jeder Verein auf irgendeine Art und Weise ein „selling club“ ist, die einzigen Ausnahmen bilden Vereine wie Real Madrid, FC Barcelona, Bayern München, Manchester United, FC Chelsea, Manchester City und seit Neuestem Paris St. Germain. Diese Vereine haben eine wirtschaftliche Stellung, aber eben auch entsprechende sportliche Ambitionen, die es ihnen ermöglichen, im Grunde jeden Spieler, den sie wollen, auch zu bekommen und sie sind zu keinem Zeitpunkt gezwungen, einen Spieler aus finanziellen Gründen verkaufen zu müssen. Betrachtet man die News von gestern, dann ist sogar der Champions League-Finalteilnehmer Juventus Turin ein „selling club“, weil sie offenbar ihren besten Spieler, Arturo Vidal, an Bayern München verlieren werden.

Vor diesem Hintergrund wird selbstverständlich mehr als deutlich, dass auch der Hamburger Sportverein ein Club ist, den man als einen sogenannten „selling club“ bezeichnen muss, auch wenn man die zahlreichen Abgänge von Spielern zu Top-Vereinen in den letzten Jahren betrachtet. van der Vaart zu Real, Boateng zu ManCity, de Jong, Boulahrouz zum FC Chelsea, van Buyten und Olic zu den Bayern. Aber die Wechsel von Son, Calhanoglu, Öztunali und jetzt Tah zu Bayer Leverkusen zeigen deutlich, wohin die Reise geht. Auffällig dabei: Verlor der HSV in den Vorjahren Spieler, die man eigentlich nicht abgeben wollte, ausschließlich an Topclubs, so gehen mittlerweile viele Ex-HSVer zu Vereinen (wie z.B. Bayer 04), die selbst eigentlich nur weiter ausbilden, um dann erhöhte Transfererlöse generieren zu können.

So gesehen ist der HSV also ein „selling club“, also ein Verein, der durch Spieler-Transfers grundsätzlich und regelmäßig mehr einnehmen  als ausgeben müsste. Ist das aber tatsächlich so? Generiert der HSV mehr Einnahmen aus Spieler-Verkäufen, als dass er Ausgaben entwickelt? Betrachten wir doch einfach mal die Transfer-Historie der letzten Jahre.

Saison 2003/04 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 2,15 Mio.

Einnahmen: € 0,4 Mio.

Differenz: – € 2,11 Mio.

Teuerster gekaufter Spieler war Björn Schlicke (€ 950.000 aus Fürth)

Saison 2004/05 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 13,15 Mio.

Einnahmen: € 8,4 Mio.

Differenz: – € 4,75 Mio

Teuerster gekaufter Spieler war Benny Lauth (€ 4,1 Mio. von 1860), teuerster Abgang war Tomas Ujfalusi (€ 7,5 Mio. an den AC Florenz)

Saison 2005/06 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 9,75 Mio.

Einnahmen: € 3,6 Mio.

Differenz: – € 6,15 Mio.

Teuerster gekaufter Spieler war Rafael van der Vaart (€ 5,1 Mio. von Ajax Amsterdam), teuerster Abgang war Emile Mpenza (€ 1,3 Mio. an Al Rayyan)

Saison 2006/07 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 30,3 Mio.

Einnahmen: € 22,63 Mio.

Differenz: – € 7,67 Mio.

Teuerster Einkauf war Vincent Kompany (€ 10,5 Mio. vom RSC Anderlecht), teuerster Abgang war Khalid Boulahrouz (€ 13,2 Mio. an den FC Chelsea)

Saison 2007/08 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 12,25 Mio.

Einnahmen: € 8,91 Mio.

Differenz: – € 3,34 Mio.

Teuerster Einkauf war Mohamed Zidan (€  6,50 Mio. aus Mainz), teuerster verkaufter Spieler war Boubacar Sanogo (€ 4,5 Mio. an Werder Bremen)

Saison 2008/09 (Sportchef: Dietmar Beiersdorfer) 

Ausgaben: € 34,45 Mio.

Einnahmen: € 45,20 Mio.

Differenz: 10,75 Mio.

Teuerster Einkauf war Thiago Neves (€ 9 Mio. aus Fluminense), teuerster Verkauf war Nigel de Jong (€ 18 Mio. an ManCity)

Saison 2009/10 (Sportlich Verantwortlicher: Bernd Hoffmann)

Ausgaben: € 30,45 Mio.

Einnahmen: € 8,5 Mio.

Differenz: – € 21,95 Mio.

Teuerster Einkauf war damals Marcus Berg (€ 10 Mio. aus Groningen), teuerster Verkauf war Thiago Neves (€ 7 Mio. an Hilal)

Saison 2010/11 (Sportlich Verantwortlicher: Bernd Hoffmann)

Ausgaben: € 15,20 Mio.

Einnahmen: € 15,55 Mio.

Differenz: – 0,35 Mio

Teuerster Einkauf war damals Heiko Westermann (€ 7,5 Mio. von Schalke), teuerster verkaufter Spieler war Jerome Boateng (€ 12,5 Mio. an ManCity)

Saison 2011/12 (Sportchef: Frank Arnesen)

Ausgaben: € 10,9 Mio.

Einnahmen:€ 17,35 Mio

Differenz:€ 6,45 Mio.

Teuerster Einkauf war Ivo Ilicevic (€ 4 Mio. aus Kaiserslautern), teuerster Abgang war Eljero Elia (€ 9 Mio. an Juventus Turin)

Saison 2012/13 (Sportchef: Frank Arnesen)

Ausgaben: € 27,00 Mio.

Einnahmen: € 6,6 Mio.

Differenz: – € 20,4 Mio.

Teuerster Einkauf war Rafael van der Vaart (€ 13 Mio. aus Tottenham), teuerster Verkauf war Paolo Guerrero (€ 3,5 Mio. an Corinthians Sao Paulo)

Hinweis: Sportchef Frank Arnesen hatte sich vehement gegen einen Verpflichtung von van der Vaart ausgesprochen, am Ende setzte sich Kühne durch und der Holländer wurden gegen den Willen des Sportchef gekauft.

Saison 2013/14 (Sportchef: Oliver Kreuzer)

Ausgaben: € 2,35 Mio.

Einnahmen: € 11,25 Mio.

Differenz: € 8,9 Mio. 

Teuerster Einkauf: Lasse Sobiech (€ 1,4 Mio. aus Dortmund), teuerster Verkauf war Heung-Min Son (€ 10 Mio. an Bayer Leverkusen)

Saison 2014/15 (Sportlich Verantwortlicher: Dietmar Beiersdorfer)

Ausgaben: € 35,8 Mio.

Einnahmen: € 23,15 Mio.

Differenz: – € 12,65 Mio.

Teuerste Einkauf war Pierre-Michel Lasogga (€ 8,5 Mio. von Hertha), teuerster Verkauf war Hakan Calhanoglu (€ 14,5 Mio. an Bayer Leverkusen)

Betrachtet man nun diese Daten (Quelle: Transfermarkt.de), so wird Folgendes deutlich:

In den letzten 12 Jahren hat der HSV insgesamt € 223,75 Mio. für neue Spieler ausgegeben, auf der anderen Seite insgesamt € 171,54 Mio. durch Spielerverkäufe eingenommen. Dies entspricht einem Verlust von € 52,21 Mio.

Angesichts dieser finanziellen Anstrengungen erreichte man in den betrachteten Jahren die Tabellenplätze

8, 8, 3, 7, 4, 5, 7, 8, 15, 7, 16, 16

Wie gesagt, ein erfolgreicher „selling club“ zeichnet sich dadurch aus, dass er aus seinen Spielerverkäufen mehr Geld generiert, als er für neue Spieler ausgeben muss. Ob sich die finanziellen Anstrengungen des HSV in den letzten 12 Jahren gelohnt haben, kann und darf jeder für sich beantworten.