Objektiv sollen sie eigentlich sein, die Damen und Herren von der Presse. Neutral beobachtend und notfalls wertend, jedenfalls ist das der Plan. Der Umstand, dass dies besonders den Freunden von der Hamburger Sportjournaille so gut wie nie gelingt, ist ein offenes Geheimnis. Ist die fehlende Distanz zu dem, über das man zu berichten hast, was einem am Ende des Tages die Brötchen erhält, vielleicht verständlich? Bis zu einem gewissen Grad ja, aber eben nun bis dahin. Natürlich sägt man ungern den Ast ab, auf dem man sitzt und in den dunklen Medienzeiten des Jahres 2015 ist die Chance für einen Sportjournalisten, besonders im Printbereich, größer denn je, Kunde der Agentur für Arbeit zu werden.

Darf man deshalb aber komplett das aus den Augen verlieren, wofür man eigentlich einmal diesen Beruf gewählt hat. Nein, definitiv nicht. Natürlich existieren wirtschaftliche Zwänge und die hören nicht bei den Schreibern, sondern eher bei den Verlagen auf, aber dennoch hat man eigentlich irgendwann einmal einen Auftrag gehabt, oder? (siehe oben).

Das, was in den letzten Monaten medial rund um den Hamburger Sportverein passiert, ist aus journalistischer Sicht mit dem Begriff Tragik nicht ausreichend gewürdigt, denn einen beobachtenden, kritisch hinterfragenden Journalismus gibt es nicht mehr und man sollte sich vielmehr die Frage stellen, warum es ihn nicht mehr gibt, denn mitnichten ist beim Nordclub alles Friede, Freude, Eierkuchen.

Damit man mich nicht (und dies wird ja bekanntlich gern und oft getan) falsch versteht: Es geht nicht darum, alles und jeden zu kritisieren, in Grund und Boden zu schreiben oder fertig zu machen, ganz sicher nicht. Aber es geht darum, mehr als nur Jubelarien anzustimmen, wenn die Exzellenzen ein wenig den Job machen, für den sie fürstlich entlohnt werden.

Peter Knäbel: Baumeister im Akkord (BILD)

Witzige kleine Überschrift, auf die dann ein nichtssagender Artikel folgte. Aber: Die Headline signalisiert, dass dort jemand ist, der schuftet wie ein Ackergaul. Knäbel selbst sagte vor wenigen Tagen, dass er eigentlich erst seit 2 Monaten sowas wie ein Sportchef sei und die Monate davor nichts anderes waren als Flickschusterei. Steile Aussage, wenn man bedenkt, dass die verliehenen Spieler Tah, Zoua und Demirbay besonders vom „Direktor Profifußball“ ein strammes Jahr lang ignoriert wurden. Warum kommt dann aber keiner der Herren Journalisten auf die Idee, Herrn Knäbel danach zu fragen, wie er diese „Flickschusterei“ mit Leben gefüllt hat? Für € 800.000 im Jahr.

Kompliment zu diesen Transfers! Peter Knäbel wird zum Knüller

Knäbel wird zum Knüller? Soll das ein schlechter Witz sein? Nicht mal die Medienabteilung des HSV würden ihren Konzerndirektor zum Knüller ernennen, warum tut das dann aber die eigentlich zur Unabhängigkeit verpflichtete Morgenpost?

Vielleicht ein kurzes Wort zur neuen Social Media-Offensive des HSV. Seit einigen Wochen sind die Leute in Jörnis Abteilung aktiver denn je, es wird getwittert und gefacebooked, was die Finger hergeben. Wirklich alles wird mit strahlendem Lächeln verkauft und ich warte eigentlich nur darauf, dass mir zum Morgenkaffee mitgeteilt wird, dass Olic heute festen Stuhlgang hatte. Aber: Das ist richtig, was sie machen!!! Sie informieren positiv über den Verein, der sie bezahlt. Sie halten die Kerze HSV am brennen, sie befriedigen das Informationsbedürfnis der Fans und sie haben viel zu lange damit gewartet. Schade nur, dass derjenigen, der sie mit der Nase drauf gestoßen und ihnen das Social Media-Konzept erklärt hat, bis heute mit keiner Silbe Erwähnung oder Würdigung erfährt (und nein, ich bin es nicht!).

Aber, Freunde der kasachischen Blutwurst, dies hat mit Journalismus nichts zu tun, dies ist PR. Gezielt eingesetzte PR, die nichts anderes als positive Nachrichten verbreitet. Absolut richtig es zu machen, aber es ist eben nur die eine Seite der Medaille.

Für die andere Seite wären eigentlich die öffentlichen Medien zuständig, aber die scheinen längst vergessen zu haben, was sie eigentlich zu tun hätten. Nur bei HSV.de abzuschreiben ist kein Journalismus, meine Herren!

Kommen wir auf Superminister Knäbel und seine „Transferknüller“ zurück. Nochmal: Ich möchte keinen der neu verpflichteten Spieler vorab als Fallobst oder Fehleinkauf bezeichnen, dafür kenne ich sie viel zu wenig. Aber ich bin auch nicht bereit, sie bereits vor ihrem ersten Pflichtspiel im Trikot des HSV als „Knüller“ zu präsentieren, nur um in zwei Monaten von den gleichen Schmierlappen lesen zu müssen, dass man für einen Schipplock doch wohl höchstens € 2,5 Mio. Lira hätte bezahlen sollen. Auf die Art und Weise werden (wieder einmal) Superstars kreiert, es werden Hoffnungen geschürt und Erwartungen aufgebaut, was für ein Schwachsinn.

Schauen wir uns die bisherigen Transfers doch einmal im Detail an.

Albin Ekdal wird in zwei Tagen 26 Jahre alt, ist also über den Status eines Talents längst hinaus. In der italienischen Seria A machte er in der letzten Saison 33 Spiele und erzielte 5 Tore, davon drei in einem Spiel. Ekdal wird als vielseitig, taktisch klug, zweikampfstark und paßsicher beschrieben, mit Cagliari stieg er dennoch ab. Der HSV bezahlte den aktuellen Marktwert (€ 4,5 Mio.) und präsentiert Ekdal als „Königstransfer“. Ich kann den Spieler in keinster Form beurteilen, ich habe ihn nie spielen sehen. Ich weiß aber, dass der Fußball in Italien deutlich langsamer, statischer und wesentlich taktisch-geprägter aussieht, sodass man davon ausgehen kann/muss, dass der Schwede einige Monate Eingewöhnungszeit benötigen wird. Ein eventuell vernünftiger Kauf, wenn auch für einen Verein mit massiven finanziellen Problemen sehr viel Geld.

Und ich stelle noch eine Frage: Glaubt jemand, dass der irgendein Verein, wäre der HSV wie Cagliari abgestiegen, für einen Lewis Holtby € 4,5 Mio. bezahlt hätte? Ich nicht.

Michael Gregoritsch (21) kommt aus Bochum, nachdem ihn der VFL am 01.07.2015 für € 500.000 aus Hoffenheim übernahm. Lustig, oder?

http://www.transfermarkt.de/michael-gregoritsch/transfers/spieler/120205

Vor 4 Wochen hätte der HSV diesen Spieler also für € 500.000 bekommen können, anstatt wie jetzt € 3 Mio. für einen Spieler hinblättern zu müssen, der in der zweiten Liga 25 Spiele (7 Tore) absolvierte. Will man mir von Seiten der Hamburger Presse jetzt tatsächlich diesen Transfer als Meister-Coup des Sportchefs verkaufen, der ursprünglich € 2 Mio. bot und am Ende die geforderten € 3 Mio. bezahlte? Lachpille. Gregoritsch ist ein Talent, keine Frage. Dennoch muss man sich die Frage stellen dürfen, warum ihn der FC .St. Pauli nicht für die geforderten € 500.000 übernehmen wollte.

Nochmal: Es geht nicht darum, den Spieler schlecht zu reden, sondern die Fakten zu beleuchten. Für Jubel-PR ist HSV.de da.

Sven Schipplock (26). Der Überraschungs-Transfer aus Hoffenheim kam mir am selben Tag, an dem Gregoritsch wechselte, etwas zu überraschend, aber egal. Schipplock wird von den Hamburger Sportmedien bereits als „der neue HSV-Star“ bezeichnet, wenn der Mann eines nicht ist, dann ist er ein Star. Schipplock ist ein solider Bundesliga-Spieler, der in der letzten Saison 25 Spiele für die TSG 1899 Hoffenheim absolvierte. Auffällig ist nur, dass er insgesamt nur 809 Minuten auf dem Platz stand, also im Schnitt knappe 33 Minuten pro Spiel machte, also ein Auswechsel- bzw. Ergänzungsspieler. Das muss gar nicht verkehrt sein, aber € 2,5 Mio. für einen demnächst 27-jährigen Ergänzungskicker? Und Schipplock hatte in Hoffenheim nur noch einen Vertrag bis 2016.

Auch hier die Frage: Hätte irgendjemand für einen Artjoms Rudnevs (27), der in der letzten Saison 22 Spiele für den HSV machte und dabei 943 Minuten auf dem Platz stand, € 2,5 Mio. ausgegeben? Wohl eher nicht.

Diese Liste ließe sich weiter und weiter führen. Über die Spieler Spahic, Sakai, Altintas und Hirzel. Einige dieser Spieler können funktionieren, müssen aber nicht. Einige Spieler brauchen definitiv Zeit (Ekdal, Altintas, Hirzel, Gregortisch), andere können vielleicht sofort funktionieren (Schipplock, Sakai). Für Jubel-Arien besteht jedoch absolut kein Anlass, aber wie schrieb gestern jemand doch so schön?

Da der HSV kein Geld hat, muss man mit dem was Knäbel geholt hat zufrieden sein

Der HSV hat also kein Geld? Der HSV steht aktuell auf Platz 5 in Deutschland, was die Transferausgaben für die Saison 2015/16 betrifft. Vor dem HSV sind lediglich Bayern München, Schalke 04, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach positioniert, denn der HSV hat bis heute € 17,25 Mio. in neue Spieler investiert. Nimmt man die Abfindungen für Beister (€ 650.000) und Sobiehc (€ 250.000) hinzu, steht man oberhalb der € 18 Mio.-Grenze.

Zum Vergleich: Der VFB Stuttgart investierte bisher € 7,5 Mio., der VFL Wolfsburg € 14,7 Mio. und der FC Augsburg € 1,4 Mio. in neue Spieler.

http://www.transfermarkt.de/transfers/einnahmenausgaben/statistik/plus/?ids=a&sa=&saison_id=2015&saison_id_bis=2015&land_id=40&nat=&pos=&w_s=

Nimmt man die Saison 2014/15 hinzu, bleibt der ruhmreiche und vollkommen verarmte HSV auf Platz 5, diesmal hinter Bayern München, Dortmund, Leverkusen und Wolfsburg.

http://www.transfermarkt.de/transfers/einnahmenausgaben/statistik/plus/?ids=a&sa=&saison_id=2014&saison_id_bis=2015&land_id=40&nat=&pos=&w_s=

In den letzten beiden Spielzeiten investierte der HSV zusammen € 53,05 Mio. in neue Spieler und das soll jetzt bedeuten, dass der HSV „kein Geld hat“? Okay, es werden natürlich wieder einige sagen, dass den Ausgaben ja auch einige Einnahmen gegenüber standen. Stimmt. Insgesamt € 34,35 Mio. nahm der HSV in den letzten beiden Jahren durch Spielerverkäufe ein. Schade nur, dass allein die beiden größten Talente der jüngeren Vereinsgeschichte (Calhanoglu und Tah) mit zusammen knapp € 22 Mio. zu Buche stehen und einen Großteil der Einnahme repräsentieren. Mit diesen beiden Spielern hat der HSV zwar Geldern generieren können, aber er hat auch seine sportliche Zukunft verkaufen müssen und adäquaten Ersatz konnte man nicht bekommen (siehe Ergebnisse).

Wäre man überkritisch, könnte man sagen, dass die hochbezahlten Exzellenzen die Zukunft des Verein verkauft haben, aber das möchten wir ja nicht. Wir möchte lediglich auf die Fakten hinweisen und nicht in haltlose Jubelstürme ausbrechen, die sich nach dem 5 Spieltag in Scheißstürme verwandeln können.

Ach ja, eines noch. Zum Thema realistische versus kritische Berichterstattung. Die Spieler Gregoritsch, Holtby und Schipplock kosten den HSV zusammen € 13,5 Mio. Für € 13,5 Mio. holte ein Frank Arnesen die Spieler Milan Badelj (€ 4 Mio.), Hakan Calhanoglu (€ 2,5 Mio.), Slobodan Rajkovic (€ 2 Mio.), Gökhan Töre (€ 1,3 Mio.), Jacopo Sala (€ 100.000), Per Skjelbred (€ 500.000) und Michael Mancienne (€ 2,5 Mio.) nach Hamburg und wurde von denen, die heute Zweitliga-. und Ersatzspieler bejubeln, als jemand gebrandmarkt, der ja nur seine „Chelsea-Boys“ kennen würde. Die genannten Spieler, die Frank Arnesen nach Hamburg holte, haben jetzt übrigens einen Marktwert von zusammen € 41,5 Mio.

Einfach mal drüber nachdenken. Bitte.