So soll die „Bild“-Zeitung den HSV am frühen Sonntagmorgen davon in Kenntnis gesetzt haben, dass sich eine Altenpflegerin bei der Redaktion gemeldet hatte, die angeblich Dutzende interne Dokumente wie Gehälter und Prämienvereinbarungen des HSV im Jenischpark gefunden habe. Zwar entschied sich die Chefredaktion der „Bild“-Zeitung nach langen Gesprächen mit der HSV-Führung am Sonntag gegen eine Veröffentlichung der hochsensiblen Dokumente, sorgte aber mit der bundesweiten Titelgeschichte dennoch für ein mediales Beben. (Abendblatt vom 12.08.2015)

Und nun mal für alle, die es bisher nicht verstanden haben oder verstehen wollen:

Die BILD ist im Besitz sämtlicher Unterlagen aus Knäbels verschwundenem Rucksack!

Der Umstand, dass man (bisher) großzügig auf Veröffentlichung der ersten Details verzichtet, kann nur eines bedeuten: Der HSV hat sich auf einen Deal eingelassen. Was der Verein im Umkehrschluss dafür bietet, ist natürlich nicht bekannt, aber es muss erheblich sein. Denn eines ist mal klar – die Jungs vom Axel Springer Verlag wissen jetzt ALLES. Vertragsinhalte, Laufzeiten, Grundgehälter, Prämienregelungen, einzelne Absprachen die schriftlich fixiert wurden. Dann noch ein paar Scouting-Berichte und Informationen darüber, an welchen Spielern der HSV interessiert war und ist. Mit anderen Worten: Der Jackpot oder pures Gold.

Es bedeutet aber auch, dass die Mädels vom Boulevard den Verein jetzt aber mal so richtig bei den Eier haben, denn sollte das Blatt jetzt irgendwas vom Verein fordern und der Verein springt nicht, dann würde sofort mit den vorliegenden Daten gewedelt werden. Der HSV selbst hat das Heft des Handelns komplett aus der Hand gegeben, man ist nicht mehr Herr der Lage, denn diese Geschichte ist nicht mehr rückgängig zu machen. Kein Wunder also, dass einige Spielerberater um ein Gespräch mit Stahlhelm-Knäbel gebeten haben, denn solche brisanten Unterlagen weiß man nur zu ungern in den Händen der Schreiberlinge.

Aber dies beschreibt noch nicht die ganze Tragweite des Dilemmas, denn die Katastrophe ist auf Jahre ausgelegt. Da könnte man sich jetzt von Knäbel, Beiersdorfer, Peters und Gernandt trennen, es würde nichts ändern. Denn die unmittelbaren Nachfolger können die Angelegenheit nicht löschen, die Daten liegen vor. Wie nachhaltig der Schaden ist, wird man wohl am Ende nie gänzlich ermessen können, denn wer will nachher wissen, welcher Spieler nicht zum HSV kam, weil ihm oder seinem Berater der Umgang mit sensibelsten Daten nicht schmeckte? Oder welcher potenzielle Sponsor sich von einem solchen Chaos entsetzt abwendet. Springen eventuelle weitere sogenannte „strategische Partner“ ab, weil sie sich und den Namen ihres Unternehmens nichts in den nächsten verschwunden Akten sehen wollen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es solche Denkmodelle gibt, auch deshalb versucht der Verein jetzt natürlich den Flurschaden so begrenzt wie möglich zu halten.

Ich für meine Person muss zu jetzigen „Stand der Ermittlungen“ sagen, dass ich jede Stunde weniger an einen gestohlenen Rucksack glaube, der eventuell bei Umzugs-Aktionen vergessen wurde. Ich habe Peter Knäbel einmal persönlich kennengelernt und auf mich macht der Mann eher den Eindruck eines besonnenen Buchalters als den eines Abenteurers. Ich glaube immer weniger, dass der Rucksack vergessen oder an irgendeiner ominösen Stelle entwendet wurde. Betrachtet man die Aussage von Herrn Beiersdorfer zum Ende der gestrigen Pressekonferenz, als er auf die Frage „Ist es denn üblich, dass derart brisante Dokumente mit sich geführt werden“ sinngemäß antwortete: „Genau das müssen wir ja erstmal in Erfahrung bringen“.

Für mich bedeutet dies, dass der Verein  die Möglichkeit, dass die Dokumente das Stadion in einem Rucksack überhaupt nicht verlassen haben, nicht pauschal ausschließt. Das würde jedoch bedeuten, dass Knäbel im eigenen Bürotrakt beklaut wurde. Wenn man jetzt um die örtlichen Gegebenheiten weiß, dann weiß man auch, dass nicht jeder Hans und Franz einfach mal so in ein Vorstands- oder Direktorenbüro latschen kann, was den Kreis weiter einengt.

Was mich außerdem stutzig macht, ist Knäbels Aussage im gestern erschienen Abendblatt-Interview. Der Mann, der bei seiner Wortwahl (ich nehme mal den unangebrachten „Stahlhelm“ aus) durchaus wählerisch ist, redet von sich selbst als Baueropfer.

 Knäbel: „Ich bin das perfekte Bauernopfer“

Allgemeinsprachlich wird der Begriff oft im übertragenen Sinne verwendet, wenn etwas (tatsächlich oder vorgeblich) Nachrangiges geopfert wird, um etwas (tatsächlich oder vorgeblich) Höherwertiges zu erhalten oder zu stärken. 

Auch verwendet man den Begriff in Fällen, in denen hochrangigen Amtsträgern, oft Politikern, die Verantwortung für einen (tatsächlichen oder vermeintlichen) Missstand zugeschrieben wird und der Amtsträger daraufhin einen leitenden Untergebenen zum Rücktritt veranlasst, ihn entlässt oder ihn in den (einstweiligen) Ruhestandversetzt, statt selbst zurückzutreten (Beispiel: Staatssekretär statt Minister; General statt Verteidigungsminister).

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Also? Ein „Bauernopfer“ ist man nicht, wenn man von einem Unbekannten beklaut wird, der sich an Barem oder an Kreditkarten verlustieren möchte. Ein „Bauernopfer“ ist man dann, wenn man für eine (scheinbar) größere oder wichtigere Sache geopfert werden soll und zwar von seinem eigenen Arbeitgeber oder zumindest von Teilen der Belegschaft. Kommt am Ende der Geschichte das dabei raus, würde sich der Schaden für den Verein potenzieren, denn einen gezielten Sabotage-Akt gegen einen Kollegen in dieser Form, das gab es selbst beim HSV noch nicht.

Anyway, das Kind ist in den Brunnen gefallen und es hat keinen Puls mehr. Momentan kann man sich im Ansatz vorstellen, was dort hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen passiert, mit dem Schlaf einiger Beteiligten dürfte es ebenfalls nicht so weit her sein. Mit der „Bauernopfer-Aussage“ hat Knäbel jedenfalls das gegenseitige Misstrauen befeuert, da glaubt doch ab sofort keiner dem anderen überhaupt noch was.

Gucken wir mal, wer den nächsten Fehler macht.