Wie ein komplett austrainierter Profi sah der Mann eigentlich nie aus. Er war mit 176 cm auch eher klein für einen Mittelstürmer, dafür waren seine Oberschenkel umso voluminöser. Ich weiß nicht, ob er jemals ein Tor von außerhalb des Strafraums geschossen hat und Elfmeter waren eher selten. 15, 28, 19, 30, 38, 22, 40, 36, 30, 23, 23, 28, 24, 9. Das sind nicht die Lottozahlen für Oberbayern bis 2023, das sind die Tore, die Gerd Müller in seinen Spielzeiten in der ersten Bundesliga pro Saison erzielte, eine unfassbare Quote, die für alle Zeiten unerreicht bleiben wird. Aber Müller hat auch in 62 Länderspielen 68 Tore geschossen. Er war Weltmeister, Europameister, Champions League-Sieger, mehrfach Deutscher Meister und und und.

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An meinem ersten Geburtstag im Jahr 1965 bestritt „kleines dickes Müller“ sein erstes Bundesligaspiel und ich hatte im Verlauf meiner Kindheit das große Glück, ihn noch während seiner aktiven Zeit sehen zu dürfen. Müller war als Fußballer das Phänomen schlechthin, denn er erzielte Tore aus unmöglichen Situationen, mit den seltsamsten Körperteilen. Teilweise hatte man das Gefühl, der Ball wollte nur deshalb ins Tor, weil der Absender Müller hieß. Ein absolut typisches Gerd Müller-Tor war das 2:1 gegen Holland im WM-Endspiel 1974. Ball angenommen (etwas zu weit vom Fuß gesprungen), kurze Drehung und ohne große Geschwindigkeit ins lange Eck. Müller halt.

Aber sogar ein Phänomen wird manchmal vom Leben eingeholt, Gerd Müller ist krank. Vor einigen Wochen machte der FC Bayern München, der ihn viele Jahre lang nach seiner Karriere aufgenommen und unterstützt hatte, bekannt, dass Müller an Alzheimer erkrankt ist. Er, an den viele Fußballer meiner Generation denken, wenn ein Tor einer bestimmten Art fällt, wird sich bald nicht mehr an seine eigenen Treffer erinnern können. Er wird sich selbst möglicherweise in alten Aufzeichnungen am TV sehen und keine Ahnung haben, dass er es war, der möglich machte, was heutzutage niemand wird mehr möglich machen können.

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Wenn heute von überragenden Fußballern früherer Zeiten gesprochen wird, fallen eigentlich immer die gleichen Namen. Pele natürlich (herzlichen Glückwunsch zum 75. übrigens), Beckenbauer, Cruyff, Maradona, Zidane. Der Name Müller fällt selten in diesen Listen, aber er gehört dort hinein. Er war mit Sicherheit nicht so perfekt wie Pele, nicht so elegant wie Beckenbauer oder Cruyff, nicht so spektakulär wie Maradona oder so cool wie Zidane, aber er war typisch deutsch, er war gnadenlos effizient.

Heute würde ein Gerd Müller wohl irgendwas um die € 100 Mio. wert sein und mehr als € 10 Mio. pro Jahr verdienen, damals nicht. Damals durfte er sich mit dem Titel „Bomber der Nation“ schmücken, eine Bezeichnung, die heutzutage wohl zumindest als „politisch inkorrekt“ erachten werden würde.

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Dies soll beileibe kein Nachruf auf einen der größten Fußballer aller Zeiten sein, der Mann lebt noch. Es soll vielmehr eine Verbeugung vor einem Spieler sein, der meiner Meinung nach nicht die Wertschätzung erfährt, die ihm gebührt.

Ich hoffe, ihr verzeiht mit dieses „Off-HSV-Thema“ zur Abwechslung, aber es war mir ein persönliches Bedürfnis und ich finde es zum kotzen langweilig, stunden-alte Meldungen aus HSV.de abzuschreiben oder das nieder zu tippen, was in 130 Entfernung beim täglichen Training stattfindet.

Weitere Details zu der Aktion findet ihr „oben“ zwischen „Über uns“ und „Kontakt. Unter „Spenden“. Auf geht’s.