Liebe Leser,

nicht nur (aber besonders) beim Hamburger Sportverein ist es ein Dauerthema, sozusagen die never ending story: Der Nachwuchs. In Zeiten, in denen man als durchschnittlicher Bundesligist nicht einmal mehr mit den finanziellen Gegebenheiten und den damit verbundenen Transfermöglichkeiten eines unterdurchschnittlichen englischen Zweitligisten mithalten kann, wird es jährlich wichtiger, den eigenen Nachwuchs zu finden, zu fördern, auszubilden und an das Profi-Team heranzuführen.

Wohl kaum ein Erstligist ist mit diesem Vorhaben in all den Jahren derart krachend gescheitert, wie der HSV. Ausschließlich absolute Ausnahmetalente wie Heung-Min Son oder Jonathan Tah schafften in den letzten Jahren den Sprung in die erste Mannschaft, alles andere wurde teuer und alt zugekauft. Da es aber noch einige gibt, die daran glauben, dass ein besonders schlauer Scout irgendwo zwischen Paderborn und Delmenhorst einen begnadeten Messi-Ersatz finden, den all die anderen übersehen haben, ist es an der Zeit, mit dieser Legende aufzuräumen, sie existiert schlichtweg nicht.

Gestern erschien bei spox.de ein bemerkenswertes Interview mit dem Chef-Scout des VfB Stuttgart, Ralf Becker

http://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/1511/Artikel/interview-ralf-becker-chefscout-vfb-stuttgart.html

Die für mich wesentliche Kernaussage darin lautet:

Durch die Professionalisierung des Fußballs mitsamt der medialen Unterstützung ist es ohnehin nicht mehr unsere entscheidende Aufgabe, Spieler wirklich zu entdecken. Der Markt ist mittlerweile derartig gläsern, dass alle Vereine in Europa alle interessanten Spieler kennen. Das Entscheidende ist, frühzeitig Kontakte aufzubauen. Wenn der VfB einen Spieler verpflichtet, kann man davon ausgehen, dass alle anderen Vereine in der Bundesliga den Spieler auch gekannt haben. Was ich von meiner Abteilung in der Hinsicht erwarte: Wir müssen alle Spieler, die im Sommer in die Bundesliga wechseln, gekannt und im Vorfeld bewertet haben.

Nun, dies mag für den Einen oder Anderen wie ein Schock wirken, es ist jedoch die Realität. Niemand findet mehr einen Rohdiamanten, den der BVB, Manchester United, Ajax Amsterdam oder der FC Sevilla nicht kennt. Jeder kennt jeden. Vielleicht gib es irgendwo auf den Niederländischen Antillen oder im Australischen Outback einen Spieler, der noch nirgendwo auf dem Zettel bzw. in einer gut-geführten Datenbank steht, aber ganz sicher nicht in Europa, in Afrika, in Asien, in den USA und so weiter.

Was aber bedeutet das für den HSV? Nun, zuerst einmal muss sich der Verein darüber im Klaren sein, dass er am relativen Ende der Resteverwertungskette steht. Ein 14-Jähriger, der zum HSV möchte, wurde zuvor von den Bayern, vom BVB, von Wolfsburg, von Ajax  und und und als ungeeignet erachtet. All diese Vereine kennen diesen Spieler und wenn sie ihn haben wollen, würden sie ihn kriegen. Sie bieten mehr Geld, bessere Ausbildung, bessere Trainer, bessere Möglichkeiten für die Eltern und so weiter. Was aber zählt denn eigentlich bzw. was muss man erbringen, wenn man im Konzert der Halbgroßen irgendwann wieder mitspielen möchte

Geld. Regiert nicht nur die Welt, sondern zieht die besten Spieler. Das gilt für Nationalspieler ebenso wie für 15-Jährige. Wenn ich mit meinen Angeboten (so ich denn überhaupt in der Lage bin, eins zu unterbreiten) so weit unter dem der Konkurrenz bleibe, kann ich’s gleich lassen. Der HSV wäre also gut beraten, auf die nächsten 4 Direktoren oder die nächsten externen Agenturen zu verzichten und dafür in den Nachwuchs zu investieren. Eben so, wie es HSVPLUS vorgesehen hat.

Durchlässigkeit. Ich kann den Jungs und ihren Eltern noch so viel Geld bieten, wenn ich aber über Jahre bewiesen habe, dass kein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs die Chance auf einen Einsatz in der Bundesliga hat, kann ich die Nummer abhaken. Die Jungs in der U16 und U17 gucken „nach oben“, da wollen sie auch hin. Wenn es aber über Jahre keiner schafft und wenn die Führung des Vereins dann noch einen Spieler, der es tatsächlich geschafft hat, gegen einen 35-jährigen Bosnier tauscht, kann ich die Scouts entlassen

Vertrauen. Draußen vor Ort muss ich Vertrauen schaffen. Ich muss den Spielern und auch den Beratern beweisen, dass man sich auf mein Wort verlassen kann. Wenn ich über einen längeren Zeitraum immer wieder Geschichten von den Wahnsinn-Chancen beim HSV erzähle und dann diese Zusagen nicht halten kann, werde ich unglaubwürdig.

Zuverlässigkeit. Welche Vereine sind in der Nachwuchsförderung besonders erfolgreich, obwohl sie vielleicht nicht das meiste Geld bieten? Es sind die Vereine, die eine starke und vertrauensvolle Persönlichkeit an der Spitze der Nachwuchsförderung über viele Jahre, teilweise Jahrzehnte bieten kann. Wer soll das beim HSV sein? Bernhard Peters? Der nicht mal sein Büro dort hat, wo der Nachwuchs täglich arbeitet

Der Hamburger Sportverein aber wird irgendwann in den nächsten Jahren ein Gebäude errichten und dieses Gebäude „Campus“ nennen. Das wird dann ganz nett aussehen und die Exzellenzen werden sich dafür feiern lassen. Dieses Gebäude kann man sich sparen, wenn es nicht mit Qualität gefüllt wird. Gebäude und Geräte machen keine Talente. Der HSV macht (wieder einmal) den zweiten Schritt vor dem ersten. Anstatt Bäume zu fällen (immer noch ein cooler Spruch, Herr Jarchow) und ein Haus zu bauen, hätte der Verein das Geld in Trainer, Verbindungsleute (Scouts) und in talentierte Spieler selbst stecken sollen. Aber da ist das nächste Problem: Diese Dinge sieht man nicht, sie wirken im Hintergrund. Ein lustiges Gebäude dagegen kann man enthüllen, einweihen, man kann ihm einen Namen geben, man kann sich für die Errichtung dieses Steinhaufens abfeiern lassen.

Anderes Thema. Leitbild. 

Es begab sich zu einer Zeit, es muss so ungefähr 1 1/2 Jahre her sein. Damals fand im überhitzten Presseraum in der Arena eine historische PK statt. Unser aller Didi, der große Führer, kam „nach Hause“ und hielt eine tränenreiche Rede inkl. „Der HSV ist mein Baby“, ich könnte heute noch schluchzen. Im Verlauf dieser Tränenkonferenz erklärte der Retter, er wolle dem HSV ein neues Image verpassen, ein Leitbild entwickeln, an dem sich der Verein, die Mannschaft und auch die Anhänger orientieren sollten. Er wollte erarbeiten, wofür der HSV im neuen Jahrtausend steht, denn das, wofür er bis dato stand, schien ja irgendwie falsch zu sein.

Gestern nun, nach den ersten (sauteuren und wieder einmal von einer externen Agentur veranstalteten) Workshops kam der HSV auf die glohrreiche Idee, seinen Mitgliedern per Mail einen Fragebogen zuzuschicken, um diese nach ihrer Meinung über das Image des Vereins zu befragen.

Darin sind extrem aussagekräftige Fragen enthalten wie z.B.

Der HSV ist der bekannteste Sportbotschafter der Stadt Hamburg.?

Die Raute prägt das Erscheinungsbild des HSV.

Sportliche Spitzenleistungen der HSV-Bundesligamannschaft sind ein wichtiges Element zur Stärkung der Marke.

Unser sportliches Ziel ist die dauerhafte Etablierung unter den 5 besten Bundesligisten Deutschlands.

Die Zusammenarbeit mit externen Kapitalgebern fördert den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg.

Der Campus ist ein wichtiger Baustein für die sportliche Zukunft des HSV.

Bei Heimspielen im Volksparkstadion herrscht eine tolle Atmosphäre

Der HSV kümmert sich um seine Fans.

Es ist gut, dass das Stadion wieder seinen ursprünglichen Namen trägt: Volksparkstadion.

Wie ist Ihre aktuelle Zustimmung zu folgenden Aussagen (1= Vollständig – 2= weitgehend – 3= teils teils – 4= eher nicht – 5= überhaupt nicht)

1 1/2 Jahre nach der Ankündigung, 1 1/2 Jahre später, Workshops danach, kommt der Vorstand der HSV Fußball AG jetzt (natürlich kommt er nicht selbst, das macht  – Überraschung – eine externe Agentur) auf die sensationelle Idee, seine Mitglieder zu befragen, wie sie über ihren Verein denken. Das ist der helle Wahnsinn. Dieser Hochleistungs-Vorstand und seine aufgeblähte Medienabteilung ist nicht in der Lage, ein Leitbild zu erarbeiten, zu formulieren und zu verkünden. Ich hätte da noch eine Zusatz-Idee. Warum fragt man nicht noch den Präsidenten des FC St. Pauli, den Außenminister von Myanmar und den brennenden Busch, wie sie über den HSV denken und was sie von ihm erwarten?

Diese Umfrage ist die neueste Offenbarung der Inkompetenz an jeder verdammten Stelle innerhalb dieses Vereins. Es lebe der Rucksack.


Weitere Details zu der Aktion findet ihr „oben“ zwischen „Über uns“ und „Kontakt. Unter „Spenden“. Auf geht’s.