Ich war naiv, mein  Gott war ich naiv. Obwohl ich damals schon fast 50 Jahre alt war, war ich sowas von naiv.

Ich möchte mit euch erneut eine kleine Zeitreise machen und wenn ihr dabei sein wollt, führt sie uns an den Anfang des Jahres 2014. Was wurden damals nicht für Geschichten erzählt. Geschichten vom Untergang des Abendlandes, Geschichten von Heuschrecken, Geschichten vom Ende eines Traditionsvereins. „Wenn nicht jetzt, wann dann“ lautet das Motto, welches Initiator Ernst-Otto Rieckhoff auf einer Mitgliederversammlung im Sommer 2013 in die Menge schmetterte und die weidwunden Mitglieder liefen ihm nach wie dem Rattenfänger von Hameln. Ich auch.

Was darauf folgte, war ein Wahl -und Machtkampf, der in der Geschichte des deutschen Fußballs wohl einmalig war. Gefolgsleute wurden um sich versammelt, der erklärte „Feind“ wurde ausgemacht, Pläne wurde geschmiedet, Agenturen beauftragt. Hinter den Kulissen wurden Allianzen geschmiedet, es wurden Job-Versprechungen in höchster Anzahl ausgesprochen, natürlich nur für den Fall der eigenen Machtübernahme. Gleichzeitig wurde mit bangem Blick auf den nächsten Spieltag geschielt, wichtig war im Grunde, dass die Mannschaft nicht mehr allzu oft gewinnt. Siege bringen Ruhe, Ruhe bringt Zufriedenheit und Zufriedenheit unter den wahlberechtigten Mitgliedern ist etwas, was Revolutionären nicht in die Karten spielt. Am besten wäre es, wenn man während des gesamten schmutzigen Wahlkampfes um die Abstiegsplätze dümpeln und am Ende mit extrem viel Glück die Klasse halten würde. Am 18.05. 2014 erfüllte das Schicksal sogar diesen Wunsch.

Am 20.05.2014, also exakt 5 Tage vor der alles entscheidenden Mitgliederversammlung präsentierte sich im Olympia-Saal im Haus des Sports der neue designierte Aufsichtsrat des neuen HSV, ich war live dabei.

Da saßen sie nun, die Herren, die den „Rat der Ahnungslosen“ ablösen sollten. Diejenigen, die den Verein zurück ins Licht führen und mit ihrem grandiosen Wissen dafür sorgen sollten, dass die Misswirtschaft der vergangenen Jahre der Geschichte angehören sollte.

Da saß also dieser Herr Gernandt und ich war beeindruckt. Was für ein Unterschied zu den Zeiten davor. Der Mann konnte reden und alles, was er sagte, klang schlüssig. Ruhig, entschlossen, kompetent. Gernandt machte als Verwaltungsratsvorsitzender des Unternehmens Kühne & Nagel nicht nur den Eindruck, als bedürfe es nur eines kurzen Anrufs und KlauMi in der Schweiz aktiviert seinen Online-Banking-Account. Er machte auch den Eindruck, als würde er mit dem Finanzvorstand von Volkswagen frühstücken und mit dem Geschäftsführer von Coca Cola Deutschland zu Mittag essen. Bei der Gelegenheit würde Karl dann mal in einem Nebensatz fallen lassen, dass man beim HSV ein paar AG-Anteile würde kaufen können und wenige Tage später wäre der Verein um einige zig-Millionen reicher. Was für ein Trugschluss.

„Beiersdorfer ist der einzige deutsche Fußballmanager, der internationale Anerkennung genießt“, lobte Karl Gernandt, der dem Aufsichtsrat vorstehen soll, und bestätigte erstmals Gespräche mit seinem Wunschkandidaten. (Abendblatt)

Liest man diese Sätze heute, 1 1/2 Jahre danach, kann man es kaum glauben.

Damit aber nicht genug, denn da saßen ja auch noch die Finanzgrößen Becken und  Goedhart, die ebenfalls den Eindruck erweckten, sie würden das, was sie sagten, ernst meinen.

Sein Stellvertreter im Aufsichtsrat soll Thomas von Heesen werden, der wie Peter Nogly für sportliche Dinge verantwortlich zeichnen wird. „Dort, wo es grün wird, bin ich stark“, sagte von Heesen. „Wir müssen eine eigene sportliche Philosophie entwickeln, nach der sich der Trainer zu richten hat. Nicht umgekehrt.“ Weitere Mitglieder sind Unternehmer Dieter Becken (Finanzen, Controlling), Felix Goedhart (Vorstandschef Capital Stage, Satzung und Finanzen) und Klitschko-Manager Bernd Bönte, der sein Netzwerk für eine bessere Vermarktung nutzen will. (Abendblatt)

Ich möchte alle Leser bitten, sich dies genau durch zu lesen. Gernandt, das Flaggschiff, der Mann mit den Beziehungen und dem direkten Draht zu Gott Kühne. Becken und Goedhart, beide mit den weltgrößten Netzwerken, Männer, die Türen aufstoßen würden, die bisher verschlossen waren. Und dann natürlich noch der Godfather of Fußball, Thomas Heesen. (das „von“ unterschlage ich absichtlich). Er, der auf zahlreichen Touren durch die Republik den Fans erklärte, wie Fußball 2015 funktioniert, würde stellvertretender Aufsichtsratsboss werden. Wie geil ist das denn? Dann noch Klitschko-Bönte, der Ex-Journalist, der den Schlafmützen in der Medienabteilung mal ein wenig in den Hintern treten und außerdem für eine bessere Vermarktung sorgen würde. Bayer München, zieht euch warm an.

Und heute? Am 26.11.2015? Was ist von all dem übrig geblieben außer einem gewaltigen Kater? Hat Gernandt irgendwelche Türen aufgestoßen? Haben Becken und Goedhart irgendwelche strategischen Partner durch ihre Netzwerke akquirieren können? Hat Bönte für eine bessere Kommunikation gesorgt? Hat Heesen mit seiner Expertise Spieler wie Behrami, Lasogga, Diaz, Ostrzolek, Olic, Spahic, Schipplock etc. verhindert?

Nichts von all dem ist eingetreten und es sollte sich doch bitte niemand von dem letzten Spiel gegen Borussia Dortmund täuschen lassen. Der Umstand, dass beim HSV sowas wie eine kleine sportliche Weiterentwicklung zu erkennen ist, hat genau einen Namen: Bruno Labbadia. Ein Trainer, der nur deshalb ins Amt kam, weil Vorstand und Aufsichtsrat zu blöd waren, den Wunschtrainer zu verpflichten.

Ach ja, wir haben ja jetzt „Ruhe im Verein“, ich lache mich tot. Ich könnte jetzt wieder Ticketpreise, T-Shirt-Skandale, Rucksäcke, verlorene Prozesse etc. aufzählen, aber das ist alles hinlänglich bekannt. Ich denke eher, dass mit „Ruhe im Verein“ vielmehr „Ruhe im Aufsichtsrat“ gemeint ist, weil offenbar immer noch einige Wirrköpfe denken, dass die damaligen Informationen aus dem alten AR ausschließlich aus dem Rat selbst an die Presse gesteckt wurden, was für ein Mumpitz. Natürlich gibt es jetzt Ruhe im Aufsichtsrat, aber wie sollte dort auch Unruhe entstehen bzw. nach außen gelangen? Der Rat trifft sich laut Satzung turnusmäßig zweimal im Kalenderjahr und was genau soll dort besprochen werden? Transfers? Dafür ist der Rat nicht mehr zuständig? Rucksack-Verluste eines Direktors? Dafür ist der Vorstand verantwortlich. Der Grund, warum aus dem AR nichts mehr kommt ist einzig und allein der, weil dort nichts mehr passiert. Dann kann ich auch Ruhe halten.

Stand heute muss ich leider gestehen, dass HSVPLUS eine riesengroße Seifenblase war. Gut gedacht ist eben nicht gut gemacht. Möglicherweise waren Teile der Ziele ehrenhaft, die Umsetzung jedenfalls war eine einzige Katastrophe. Es wird auch nicht dadurch besser, dass sich nahezu alle „Macher“ von HSVPLUS mittlerweile komplett zurück gezogen haben und mit dem HSV, aber auch mit dem, was sie angerichtet haben, nichts mehr am Hut haben wollen. Diejenigen, denen HSVPLUS zu Ämtern und Macht und Geld verholfen hat, sind für mich durch die Bank eine einzige Enttäuschung. Fachlich sowie menschlich.

Der Verein, für den wir das alles machen, ist den Meisten jedenfalls sowas von scheißegal. Mann, was war ich naiv.

Ich trage heute einen weißen Pullover, auf dem steht vorn in schwarzen und blauen Lettern.

„Das ist auch mein HSV“ – Initiative HSVPLUS.“

Auf der Rückseite steht „Aufstellen für Europa“. Es wäre zum totlachen, wenn es nicht so traurig wäre.