Blogs, soziale Medien wie Facebook oder Twitter – eine einzige große Sozialstudie. „Was nicht sein kann, das ist auch nicht. Das muss erlogen und erstunken sein, anders ist es nicht zu erklären“. Fußball ist Leidenschaft, soll Emotion sein, aber Fußball ist im „Fall HSV“ längst zum Glaubenskrieg mutiert. Da werden von den wahren Gläubigen die wirrsten Verschwörungstheorie aufgebaut, die verrücktesten Szenarien erdacht und die coolsten Entschuldigungen erfunden. Hauptsache, das, woran sie glauben bzw. diejenigen, an die sie glauben, trifft keine Schuld. Dass es hierbei mittlerweile längst um sie selbst geht, bemerken die Nordkurven-Taliban schon längst nicht mehr. Sie sind ein Teil des Ganzen, sie geben mit ihrer Gefolgschaft weiterhin Aufschub und sie müssen sich am Ende auch mitverantwortlich fühlen, wenn die Geschichte an der Wand endet. Dann aber, und da gehe ich jede Wette ein, sind sie sich keiner Schuld bewusst, denn dann waren es „die da oben“.

Unterschiedliche Meinungen gab es immer und wird es immer geben und dass die eine Seite die Meinung der anderen Seite nicht mal im Ansatz respektiert, ist ebenfalls nicht neu. Die Vehemenz aber, die unerbittliche Härte, ja die Feindschaft in Zeiten der zugeschütteten Gräben, die ist irgendwie neu. Dabei sollte doch eigentlich alles besser werden, oder? Die Hardcore-SC’ler sind zu Falken geschrumpft, die alten Strippenzieher ziehen zwar noch, aber sie ziehen leise. Diejenigen, die sich am 25.05.2014 gemeinschaftlich zur Initiative HSVPLUS bekannt haben, sollten doch eigentlich eine Einheit bilden. Weit gefehlt.

Längst sind neue Feindschaften entstanden und in vielen Fällen geht es überhaupt nicht mehr darum, was gesagt bzw. geschrieben wird. Nein, viel wichtiger ist es, wer es sagt oder schreibt. Ich erinnere mich an Aussagen von Jürgen Hunke vor einige Monaten, die inhaltlich zu 100% richtig waren. Das aber konnte nicht sein, denn es war ja Hunke, der das sagte und Hunke ist doch der Feind. Noch schlimmer ist in meinen Augen jedoch, dass auf die Inhalte vielfach nicht einmal mehr im Ansatz geachtet wird, anhand der Überschrift oder des Autors wird das Urteil: Schwachsinn, Brunnenvergifter, Hater, Bremer etc. gefällt.

Der Umstand, das sich die Medien dieser Verhaltensweise bedienen, bleibt ebenfalls unentdeckt. Verkauft wird, was gefällt und am Ende geht es bei jedem Medienprodukt (Zeitung, Zeitschrift, TV-Sendung etc.) um nichts anderes als um den Verkauf. Denn – wer nicht verkauft, wird verkauft oder wird entlassen oder wird vom Markt genommen. Da aber ein Großteil der Bevölkerung bzw. der Fans dazu tendiert, nur das lesen bzw. konsumieren (und dann auch kaufen) zu wollen, was in ihr Weltbild passt, wird eben genau das geliefert. Die Wahrheit, das, was tatsächlich passiert, spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle, sie wird zugunsten der Umsätze verdrängt. Auf diese Art und Weise kommt weich-gespülte und realitätsfremde Hofberichterstattung zustande, die am Ende jedoch nur eines ist: Betrug am Konsumenten.

Wenn sich dann aber einer der Journalisten doch einmal „traut“, seine eigentliche Aufgabe zu erfüllen und eben keinen Fan-Blog, sondern eine recherchierte Geschichte aufzutischen, geschieht folgendes: Er sieht sich einem Shitstorm ohne Gleichen ausgesetzt, obwohl er eigentlich nur seinen Job macht. Nicht das, was er schreibt, wird kritisiert, sondern er als Person. Er ist ein Teil der Lügenpresse, er „pestet“ rum. Im Anschluss werden dann niedere Motive unterstellt und die Sache nimmt ihren Lauf. Wer kann da eigentlich noch verwundert sein, wenn sich dies kaum noch jemand antun möchte? Da gehe ich als Berufsjournalist doch lieber gleich den einfachen Weg und präsentiere meinen Lesern das, von dem ich weiß, dass sie es lesen wollen. Dass dies eventuell nur die halbe Wahrheit ist – so what? Werde ich denn dafür bezahlt, dass ich mich von anonymen Honks anpöbeln lasse? Ne, das tun sich wirklich nur noch wenige an und die kriegen dann aber richtig.

War früher eigentlich alles besser? Nein, sicher nicht. Auch früher hatten wir gefühlten 42 Millionen Bundestrainer und diejenigen, die die BILD lasen und das Abendblatt abonniert hatten, wussten mehr über den HSV als die Vorstandsvorsitzenden. Und doch hat sich die Klugscheißerei in eine neue Dimension bewegt, dem Internet sei Dank. Heute kommt fast jeder, der über ein wenig Tagesfreizeit verfügt, an fast jede (gefilterte) Information heran, er muss im Grunde nur noch zusammenfügen und interpretieren. Denkt er. Dass aber die Informationen, die er aus dem Netz erhält, nicht die ganze Wahrheit darstellen, weiß er nicht. Und er realisiert ebenfalls nicht (wie oben beschrieben), dass er nur das liest (bzw. glaubt), was ihm in den Kram passt.

Und dann kommt noch etwas hinzu: Dadurch, dass sich der „geneigte“ Leser seine Informationen im Internet besorgt, ist er der Auffassung, dass jeder, der in eben diesem Internet publiziert, maximal seinen Wissensstand haben kann. Im Zweifelsfall denkt er sogar, er wüsste mehr. Tatsächlich aber weiß er überhaupt nichts, weil der zwei Dingen unterworfen ist.

  1. Er greift lediglich auf vorgefilterte Quellen zurück
  2. Er konsumiert zusätzlich nur die vorgefilterten Quellen, die seinem Weltbild entsprechen.

Das Bild, was sich aufgrund dieser Quelle ergibt, erscheint stimmig. Alles andere ist die Unwahrheit bzw. muss die Unwahrheit sein, ist schlicht erfunden oder wurden von Kräften, die „meinem Verein“ etwas Schlechtes wollen, konstruiert. Schlimm wird es für den Glaubenskrieger nur dann, wenn selbst er erkennen muss, dass „das Böse“ vielleicht doch nicht so falsch gelegen hat, aber das würde er niemals zugeben. Er selbst ist zu einem Teil der Lüge geworden und das Ding muss er nun durchziehen, andernfalls verliert er sein Gesicht. Dabei ist sich der Extremist auch nicht zu schade, erkennbare und belegte Fakten mit Argumenten wie „Ich denke“, „ich glaube“, „ich könnte mir vorstellen, dass“, „wahrscheinlich ist doch, dass..“, „meiner Meinung nach….“ zu kontern. Wirkt auch das nicht mehr, wird die vorletzte Karte gezogen und die nennt sich „man muss auch mal Geduld haben“. Damit aber nicht genug. Das Totschlag-Argument schlechthin lautet: „Ja, wer soll es dann sonst machen? Kennt du jemanden? Glaubst du, du könntest es besser?“. Ob das Ganze letztendlich als Fatalismus ausgelegt oder schon als klinische Verblödung bezeichnet werden kann, ist jedem selbst überlassen.

Die Wahrheit, also das, was tatsächlich passiert, ist nur noch zweitrangig. Wichtig ist, dass „die Anderen“ nicht Recht hatten. Zur Not geht man dann lieber mit fliegenden Fahnen mit den Pleitegeiern unter. Hauptsache, man muss nicht zugeben, dass man falsch gelegen hat.

Passend dazu erschien gestern nun ein Interview mit Finanzvorstand Frank Wettstein, welches alarmierende Inhalte zutage förderte, wenn man denn in der Lage ist, die Dinge zu verstehen und richtig einzuordnen.

http://www.finance-magazin.de/persoenlich-personal/interviews/hamburger-sv-will-schulden-restrukturieren-1372341/

Ich könnte jetzt eigene Worte dafür finden, aber ich bediene mich der Analyse des Kollegen Daniel Jovanov von seiner Facebook-Page, die er gestern im Laufe des Abends veröffentlichte.

Etwa 90 Millionen Euro – so hoch ist der Stand der Verbindlichkeiten zum letzten Stichtag. Wollte zunächst keiner glauben, jetzt erklärt es Finanzvorstand Wettstein. Hier einige Kernaussagen des Interviews.

„Weder die Liquidität noch die Lizenz sind gefährdet. Dennoch ist eines unserer Ziele die Verbesserung der Kapitalstruktur. Wir arbeiten daher auch an der Ausgabe von neuem Kapital. Ich erwarte, dass wir diese in Kürze vollziehen.“

Heißt: Ein neuer oder schon vorhandener Investor gibt zusätzliches Geld.

„Wir wollen unseren Aktionärskreis auf eine breite Basis stellen, so dass kein einzelner Investor eine Sperrminorität ausüben kann, wie das bei manchen Klubs der Fall ist, die strategische Partner oder gar einen Finanzinvestor an Bord geholt haben.“

Warum es diese strategischen Partner nicht geben kann, erklärt er jetzt:

„Allerdings könnte der HSV solchen strategischen Partnern aus der Industrie im Moment gar kein attraktives Angebot machen. Denn wie der Name schon sagt, verlangen diese Aktionäre einen strategischen Mehrwert, in der Regel durch exklusive langfristige Werbeverträge. Wir haben aber kürzlich erst mit unseren entscheidenden Werbepartnern verlängert. Und wenn diese aus verschiedenen Gründen kein Interesse an einem Einstieg beim HSV haben oder wie Herr Kühne bereits engagiert sind, müssen wir andere Lösungen finden.“

Verträge mit Adidas und Emirates wurden verlängert. Vom HSV selbst, der jetzt mehr oder weniger anprangert, dass er ihnen keine exklusiven Werbeverträge bieten kann. Alles schon besetzt. Langfristig.

„Wie Sie schon gesagt haben, werden wir in der laufenden Saison erst einmal wieder Eigenkapital einsetzen müssen, um die anfallenden Verluste zu decken. Anschließend wollen wir aber mit dem Aufbau von Eigenkapital beginnen.“

Heißt: Das Eigenkapital schmilzt vorerst weiter.

„Aus der Stadionfinanzierung haben wir zwar nur noch eine Restschuld von etwa 25 Millionen Euro, aber der wesentliche Teil davon ist innerhalb der nächsten 18 Monate zu tilgen. Das könnten wir zwar stemmen, aber dann bliebe nicht mehr viel übrig, um in den Kader zu investieren. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kreditgeber ein Interesse daran haben, dass der HSV in einem finanziellen Kraftakt die vereinbarte Tilgung leistet, dann aber im sportlichen Bereich finanziell nicht handlungsfähig ist.“

Heißt: Kredit wird erneut gestreckt. Hier die Bestätigung:

„Es ist daher eminent wichtig für den HSV, dass wir den Tilgungsdruck aus der Stadionfinanzierung herausbekommen, denn die Zeit bleibt ja nicht stehen, wenn die Stadionschuld getilgt ist. 2019 müssen wir die Fananleihe über 17,5 Millionen Euro zurückführen. Wir müssen die Stadionschuld also so restrukturieren, dass wir im gleichen Zug auch die Weichen für die fristgerechte Bedienung unserer übrigen Schulden stellen können.“

Und jetzt kommt mal ein die ungeschönte Wahrheit:

„Die 56 Millionen Euro sind reine verzinsliche Finanzschulden, deshalb ist der Vergleich nicht treffend. Zu den Finanzschulden kommen zum Abschlussstichtag noch etwa 13 Millionen Euro aus nicht fälligen Ablösesummen plus die üblichen Lieferantenverbindlichkeiten hinzu. Die Gesamtverbindlichkeiten, die Sie erwähnten, betragen zum Stichtag etwa 90 Millionen Euro.“

Außerdem: Der Campus wird 20 statt ursprünglich kommuniziert 10 Millionen Euro Kosten.

Das sind Fakten. Aber selbst für die Benennung von Fakten muss man als Journalist oder Fan heutzutage Prügel einstecken.

Zur Erinnerung: Das sagte Wettstein im Dezember. Kein Wort von 90 Millionen.

„Frage: In der Vergangenheit wurden in einigen Medien Finanzschulden in Höhe von 100 Millionen Euro kolportiert. Wie hoch ist die HSV Fußball AG tatsächlich verschuldet?

Wettstein: Wir definieren unsere Finanzschulden als Summe aus der Fan-Anleihe, der Stadionfinanzierung und den weiteren Darlehen. Diese betragen zum Abschlussstichtag etwa 56 Millionen Euro und sind damit etwa 6 Millionen geringer als zu Geschäftsjahresbeginn.“

Hier wurde ein wenig getrickst. Denn in der Frage heißt es: „In der Vergangenheit wurden in einigen Medien Finanzschulden in Höhe von 100 Millionen Euro kolportiert.“ – Hier wurden Finanzschulden und Gesamtschulden gemixt. Ich weiß allerdings nicht, welches Medium von „Finanzschulden“ in Höhe von 100 Millionen geschrieben hat. Es ging immer um die Gesamtschulden.

Der Öffentlichkeit dieses nicht unwichtige Detail zu verschweigen und sich für 56 Millionen abfeiern zu lassen (viele Fans haben daraus geschlossen, dass der HSV mal eben 44 Millionen Schulden abgebaut hat), kann man auch als einen bewussten Täuschungsversuch interpretieren. Nein, man muss es sogar.

Nun denn, dies sind die Fakten. Daniel Jovanov hat selbstverständlich auch gestern für die Bennenung der Fakten wieder reichlich Anfeindungen, Schmähungen und üble Texte kassiert und er hat meinen gesamten Respekt dafür, dass er sich das dennoch immer wieder antut. Die Glaubenskrieger werden auch hier wieder einen Weg finden, das ganze ins Reich der Fabel zu verbannen, selbst wenn ein Vorstandsmitglied all die Fakten und Tatsachen selbst benennt. Ab einen gewissen Punkt wird es krankhaft.