Hamburger Abendblatt vom 23.05.2016

Von Shy Killer und Lalexander Aux

…eine Chronologie des Schreckens.

Um 21.35 Uhr war es dann soweit, Aufsichtsrats-Boss Karl Gernandt gab im Spiegelsaal des Elysee-Hotels bekannt, dass das Kontrollgremium des Hamburger Sportvereins einstimmig beschlossen habe, sich mit sofortiger Wirkung vom Vorstandsvorsitzenden Dietmar „Didi“ Beiersdorfer zu trennen. Mit Beiersdorfer müssen seine Vorstandskollegen Hilke (Marketing) und Wettstein (Finanzen), sowie die Direktoren Peters (Sport), Knäbel (Profifußball) und Wolf (Medien) ihre Hüte nehmen. Endlich, möchte man sagen.

Eine Entscheidung, die keine Sekunde zu spät getroffen wurde, so der einstimmige Tenor unter den anwesenden Journalisten. Denn die Frage, wie lange sich die Kontrolleure das wiederholte Scheitern der überteuerten HSV-Führung tatenlos anschauen wollten, stellen sich viele HSVer seit Monaten. Zu krass waren die zahllosen Fehlentscheidungen, zu undurchsichtig die finanzielle Situation, zu dramatisch der sportliche Niedergang trotz Millionen-Investitionen.

Die Vier

Dabei hätte man es eigentlich kommen sehen müssen. Nach dem Mitglieder-Votum und der damit verbundenen Ausgliederung der Profi-Abteilung in die HSV Fußball AG hätte der Verein einen starken, charismatischen Anführer benötigt, bekommen hatte er den bekannten Zauderer. Einen „Experten mit Stallgeruch“ wollte HSVPLUS-Initiator Ernst-Otto Rieckhoff, bekommen hat er genau den „Didi“, den er eigentlich hätte kennen müssen. Zögerlich, weich, ständig um Harmonie bemüht und leider ohne sein Regulativ Bernd Hoffmann nicht lebensfähig. Die Art und Weise, wie der ehemalige Sportchef zu Werke geht, hätte man ebenfalls an der Vergangenheit ablesen können, zu einer Zeit nämlich, als der vom Boulevard erfundene „Dukaten-Didi“ keine Dukate mehr akquirieren konnte, sondern schon damals durch zahllose Transferflops (Streit, Sanogo, Lauth, Mpenza, Gravgaard, Rozenhal etc.) die Kassen des HSV nicht füllte, sondern leerte.

Der unrühmliche Abgang im Jahr 2009, als Beiersdorfer beleidigt und mit einer Millionen-Abfindung seinen Arbeitgeber während der wichtigsten Zeit des Jahres hängen ließ, schien ebenfalls verdrängt. Man installierte einen Retter, der eigentlich gar kein Retter sein wollte, denn der Franke Beiersdorfer wollte eigentlich nur wieder als Sportchef zurück zu „seinem Baby HSV“, wie er selbst in einer tränenreichen PK zu Beginn seinen alten und neuen Verein nannte. Und Beiersdorfer wäre auch ohne HSVPLUS, ohne Ausgliederung und ohne AG gekommen, denn seine Zeit in St. Petersburg war vorbei und er brauchte einen Job. Wie sehr sich „Didi“ dann mit den Werten von HSVPLUS identifizierte, konnte man an seinen Aussagen während eines Interviews mit goal.com ablesen, in dem er sich an die Inhalte und Vorgaben der Mitglieder-Initiative nicht mehr erinnern konnte bzw. diese  als nicht umsetzbare Spinnereien abtat.

Zauderschlump

Aber selbst damals wollten ihm einige Unentwegte noch folgen, obwohl bereits frühzeitig erkennbar war, dass es Beiersdorfer nicht schaffen würde. Anstatt, wie versprochen, auf den Nachwuchs zu setzen, wurden fast ausschließlich teure Altstars für markt-unübliche Preise verpflichtet, die für kurzfristigen Erfolg sorgen sollten. Spieler wie Behrami, Olic, Diaz, Schipplock, Hunt, Spahic leerten die ohnehin schon leeren Kassen stetig, unbekannte Brasilianer wie Clèber ersetzten eigene Supertalente wie Jonathan Tah, der als Hamburger von seinem eigenen Verein vergrault und am Ende weit unter Wert verscherbelt wurde. Die Liste der transfer-technischen Fehlleistungen sind endlos und in ihrer Ausprägung wohl einmalig.

Doch nicht nur hier versagte der von den Fans als „Zauderschlumpf“ verhöhnte Ex-Sportchef auf ganzer Linie. War seine Personal-Auswahl bzgl des Lizenzspieler-Kaders schon desaströs, so griff er auch bei der Auswahl seiner leitenden Angestellten beständig ins Klo. Einen kommunikations-unfähigen Menschen wie Bernhard Peters zum Mastermind des Vereins zu machen war schon mehr als grenzwertig, schließlich war der Hockeytrainer bereits in Hoffenheim von so gut wie allen Pflichten entbunden worden. Ein Anruf bei der TSG hätte wohl gereicht, aber auf solche Telefonate hat Beiersdorfer keine Lust.

Knäbel

Den Wahl-Schweizer Peter Knäbel zum Profifußball-Direktor zum machen war dann allerdings das „Meisterstück“ des leisen Didi. Knäbel, der noch nie als Sportchef in der Bundesliga gearbeitet hatte, entpuppt sich relativ schnell als Luftblase. Skurrile Formulieren, hirnrissige Aussagen und entgegengesetzte Taten – Knäbel war sich für keine Peinlichkeit zu schade. Den Vogel schoss der Ex-St. Paulianer aber dann ab, als er seinen Rucksack verlor, in dem er sämtliche Vertrags-Werke des HSV in ausgedruckter Form mit sich führte, bis heute weiß niemand, warum eigentlich .

Wie gesagt, der HSV hätte einen Anführer benötigt, bekommen haben sie eine Marionette ohne Gedächnis. Selten wohl hat sich ein Vorstandsvorsitzender des HSV so intensiv und beharrlich hinter anderen Angestellten versteckt, wenn es drauf ankam. Wenn es brannte, wurden wahlweise der unglückliche Knäbel oder die mittlerweile verbrannte Allzweckwaffe Labbadia vorgeschickt, Beiersdorfer war abgetaucht. Immerhin 1 1/2 Jahre und knappe € 100.000 dauerte es, bis der HSV-Boss ein seichtes Leitbild präsentieren konnte, welches jeder mittelmäßig begabte Realschüler in 2 Stunden hätte zusammenschmieren können.

Unvergessen bleiben auch die zahlreichen Trainer-Possen, die sich „Didi“ während seiner knapp 2-Jährigen Amtszeit leistete. Zu Anfang hielt er an einem Trainer (Slomka) fest, an den er selbst nicht mehr glaubte, um ihn dann am 4. Spieltag der Saison zu feuern. Da man aber keinen Ersatzmann hatte bzw. da man von der eigenen Entscheidung überrascht worden war, machte man kurzerhand einen Trainer aus der 4. Liga (Zinnbauer) zum Coach des Bundesliga-Teams. Überliefert ist der Inhalt des kurzfristig anberaumten Gesprächs („Du bist jetzt Trainer, du bist Co-Trainer und du bist Torwart-Trainer“), ein in der Bundesliga wohl einmaliger Vorgang. Als man dann merkte, dass Zinnbauer der Aufgabe nicht gewachsen war, war man erneut unvorbereitet und „beförderte“ Sportchef Knäbel zum Bundesliga-Trainer, ein Experiment, welches krachend scheiterte. Nachdem man dann erfolgreich die Hoffnung Thomas Tuchel vergrämt hatte, kam man auf den arbeitslosen Labbadia, der zum Glück in Hamburg wohnte und sich das Himmelfahrtskommando antun wollte.

Gernandt: „Geduld muss man sich auch leisten können und wir haben viel Geduld bewiesen. Letztendlich sind wir gemeinschaftlich zu dem Schluss gekommen, dass wir im Sinne des Vereins, der uns allen am Herzen liegt, handeln müssen“

Beiersdorfer und seine Exzellenzen hinterlassen einen Scherbenhaufen, sportlich wie finanziell. Zwar wurde der Klassenerhalt auf den letzten Drücker gesichert, die Zukunft des Vereins steht jedoch auf wackeligen Beinen, denn inzwischen wurden auch die letzten der verfügbaren 24,9% der AG-Anteile verhökert, auf zukünftige Sponsoren-Einnahmen wurde bereits frühzeitig vorgegriffen. Im Grunde verwundert es nicht mehr, dass mit Michael Gregoritsch und Dren Feka zwei junge Talente den Verein verlassen werden, im Gegenzug gab Beiersdorfer kurz vor seiner Demission die Verpflichtungen der Spieler Subotic (für € 5,5 Mio. aus Dortmund) und Harnik (ablösefrei aus Stuttgart) bekannt. Das Durchschnittsalter der Mannschaft bewegt sich in Richtung 28 Jahre.

Ein HSV-Insider fragte gestern: „Sag mir eine Sache, die Beiersdorfer richtig gemacht hat, nur eine. Dafür hat er aber in zwei Jahren € 5 Mio. kassiert, die der Verein nicht hatte“

Wer die Geschicke der HSV Fußball AG in Zukunft leiten wird, ist unklar. Zu vernehmen ist, dass zahlreiche Kandidaten auch aufgrund der desaströsen und ausweglosen Situation bereits abgewunken haben, eine Übergangslösung mit e.v.-Präsident Meier scheint hingegen möglich.