Ist man im Stadion oder sitzt man vor dem Fernseher, so fragen sich viele Fans des Hamburger Sportvereins seit Jahren: Wann hat der HSV eigentlich zuletzt mal guten, systematischen Fußball gespielt? Ich selbst kann mich an eine Zeit, es muss so 2009 gewesen sein, erinnern, da konnte man sich ein Spiel des Vereins ohne Bauchschmerzen und Augenkrebs tatsächlich mehrfach hintereinander über jeweils 90 Minuten angucken. Seither regiert der Stillstand bzw. die Rückentwicklung. Selbst wenn der eine oder andere heute der Meinung ist, man könne eine Entwicklung erkennen, so kann er sie nicht erklären. Dann wird etwas von neu-gewonnener „Stabilität“ fabuliert und ähnliche, nicht messbare Parameter werden aus der Kiste der Fußballweisheiten gezerrt. Die Wahrheit ist und bleibt jedoch: Der HSV steht still. Zumindest fußballerisch, denn der Rest des Vereins bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit hin zum Klippenrand. Nachdem nun gestern bekannt wurde, dass sich der Welt-Vorstand die nächste Finanzierungs-Krücke ausdenken muss und sich in und um Hamburg mit jedem Abgeordneten der fünf Wahlkreise besäuft (Welcher Film? :-)), um noch irgendwie an den letzten Cent zu kommen, wird die Lizenzierungsluft dünn und dünner.

Aber zurück zum Sportlichen. Spricht man die nicht vorhandene spielerische Entwicklung an, so erhält man oft und gern den Hinweis darauf, dass „sowas doch Zeit bräuchte“, „der Kader inhomogen zusammengestellt sei“ und man außerdem „Geduld haben müsse“. Nein, verdammt nochmal, eben nicht. Es braucht eben keine Monate bis Jahre, bis man endlich sehen kann, dass sich etwas bewegt. Beispiele gefällig?

Als Jürgen Klopp die Borussia aus Dortmund am 01.07.2008 übernahm, lag der Verein finanziell und sportlich am Boden. In den beiden Folgejahren investierte man zusammen € 24,69 Mio. (und nicht € 60 Mio.!!!!) in den Kader und nicht nur der sportliche Erfolg kehrte zurück. Man konnte vom ersten Augenblick an sehen, was Klopp mit dieser Mannschaft vorhatte, das gesamte System änderte sich. Ein Phänomen übrigens, was zur Zeit bei Klopps nächster Station in Liverpool erneut zu beobachten ist.

Lucien Favre übernahm Borussia Mönchengladbach am 14.02.2011, rettete den Verein in der Relegation und hielt die Klasse. Von da an ging’s bergauf, weil Favre einen Plan hatte. Man konnte binnen kürzester Zeit erkennen, wohin die Reise gehen würde. Hat jemand eine Ahnung, wie viel die Gladbacher in der ersten Transferperiode, die Favre mit zu verantworten hatte, in die Mannschaft investierten (2011/2012)? Nicht? Ich will es euch erzählen. € 2,65 Mio.! (Nicht € 60 Mio.!!!) Spieler wie Zimmermann (1 Mio.), Rupp (0,6 Mio.) oder Otsu (0,4 Mio.) kamen und Gladbach spielte plötzlich einen völlig anderen Fußball.

Bei RB Leipzig war Alexander Zorniger bis zum 11.02.2015 Trainer und der ambitionierte Ost-Verein dümpelte in der 2 Liga auf Platz 9 herum, ohne Chance zum Aufstieg. Am 01.07.205 übernahm Sportdirektor Rangnick die Leitung der Mannschaft, das Ergebnis kann man am Tabellenstand und am Spielstil der Leipziger ablesen.

Jüngstes Beispiel. Am 10.02.2016 wurde das Engagement von Huub Stevens bei der TSG 1899 Hoffenheim beendet. Der Verein stand nach dem 21. Spieltag mit 15 Punkten auf dem 17. Tabellenplatz, der Abstieg schien besiegelt. Am Tag danach übernahm der 28-jährige Julian Nagelsmann den Cheftrainer-Posten, holte nicht nur in den nächsten 6 Spielen 9 Punkte (vorher 15 Punkte aus 21 Spielen!), sondern er veränderte den Stil der Mannschaft komplett. Mit den gleichen Akteuren übrigens!

Man sieht, es geht. Es geht mit den gleichen Spielern, es geht mit deutlich geringerem finanziellen Einsatz und es geht in deutlich kürzerer Zeit. Man muss es halt nur machen und nicht nach der nächsten Entschuldigung suchen wie dem schwierigen Hamburger Umfeld (was für ein Bullshit) oder dem blinden Kader.

P.S. Passend zur Gesamtsituation des HSV passt folgende Meldung:

Reporter-Urgestein Dieter Matz arbeitet jetzt für den HSV

Mehr als drei Jahrzehnte berichtete Dieter Matz als Journalist über den HSV, jetzt hat das Reporter-Urgestein die Seiten gewechselt und arbeitet für den Liga-Dino. Als „Legenden-Betreuer“ pflegt Matz Kontakte zu verdienten Spielern des Traditionsklubs und führt Interviews, die im Laufe der Zeit in den verschiedenen Kanälen des Vereins (hsv.de, HSV live, etc.) ausgespielt werden. Die MOPO wünscht dem Ex-Kollegen viel Spaß im neuen Job.
Bei aller Liebe, aber ich kann diesen Verein einfach nicht mehr ernst nehmen. Nicht nur, dass man nahezu jedem Ex-Spieler (Reinhardt, Drobny, Jarolim, van der Vaart etc.) mittlerweile eine berufliche Perspektive nach Ende der Karriere anbieten möchte, man holt auch noch den Mann, der sich ein Leben ohne seine Autogrammkarten nicht vorstellen kann, zurück aus der „wohlverdienten Gruft“. „Legenden-Betreuer“. Sind die eigentlich alle geistesgestört dort oder hat der Verein immer noch zu viel Geld?