Ich kann sie ehrlich gesagt nicht mehr zählen, all die Jubel-Meldungen der vergangenen 2 1/2 Monate. „Die neue Lust am HSV“ titelte die Mopo, nachdem man sich schon nicht zu blöd war, ein Super-Sonderheft mit dem Titel „Unser HSV“ auf den bedürftigen Markt zu werfen. Ein angeblich unabhängiges Medium spricht bzw. schreibt über das Thema, über das es so neutral wie möglich zu berichten hätte, von „uns“. Allerspätestens an diesem Punkt geht die nötige Distanz tauchen und man macht sich zum lächerlichen Steigbügelhalter. Aber: Sie sind nicht allein, die Freunde vom Fisch-Einwickelpapier Morgenpost. Denn auch die Schreiberlinge von BILD, Abendblatt, Kicker etc. konnten sich aufgrund der unglaublichen Transfer-Performance des großen Superministers Buyersdorfer kaum noch einkriegen, die Dukate lebte und atmete.

An exakt dieser Stelle beginnt das alljährliche Dilemma dieses Vereins und der HSV ist nicht allein Schuld daran, dass man sich fühlt wie in Punxsutawney am Murmeltiertag. Jeden Sommer die gleiche billige Show. Die Mannschaft hat wieder einmal eine erschütternde Saison hingelegt, das Transferfenster öffnet sich und plötzlich fliegen allen Beteiligten die Schweine aus dem Hintern. Weltklasse wird in Serie für kleines Geld verpflichtet, von überflüssigen Altlasten konnte man sich endlich trennen. Die Vorbereitung läuft sensationell und berechtigt zu den höchsten Erwartungen. Meistens wird dieser Höhenflug dann schon nach der ersten Pokalrunde je gestoppt, doch diesmal konnte man mit einer unfassbar überzeugenden Vorstellung den bärenstarken Drittligisten aus Zwickau (Tabellen-17. in der 3. Liga) in die Knie zwingen.

Hinzu kommt natürlich, dass mindestens ein zukünftiger Weltstar an der Elbe gezüchtet wird, allein die Transfer-Einnahmen für den nächsten Messi werden den HSV auf Jahrzehnte entschulden, wer ist eigentlich dieser Kühne? Die Folge-Erscheinungen aus diesem Boulevard-Märchen erlebte ich am Samstag live vor dem Spiel. Dickbäuchige Mitt-Fünfziger, in rosa Mädchen-Unterhemden gekleidet, pilgerten euphorisiert Richtung Volkspark, man hatte den Eindruck, als wäre mindestens die Borussia aus Dortmund in Schlagdistanz. „Das wird eine geile Saison, die Medien schreiben ja auch, dass es jetzt nach vorn geht“, hörte ich mehr als einmal.

Dann kommt das, was kommen muss. Das, was jeder sieht, der sehen kann und vor allem sehen möchte. Was jeder gesehen hat, der sich die Vorbereitungsspiele etwas genauer betrachtet hat, der sich die Qualität der Transfers angeschaut und die nach wie vor existenten Baustellen innerhalb der Mannschaft analysiert hat. Anders ausgedrückt: Es passiert genau das, was logisch ist. Eine Mannschaft wird auf genau einer Position (Kostic für Ilicevic) verstärkt, auf einer anderen ersetzt ein Spieler aus der 2. Liga einen der teuersten Einkäufe der Vereinsgeschichte (Wood für Lasogga) und dann erwartet wirklich jemand wie aus dem Nichts Zauberfußball? Wie soll das gehen? Zumal man mit dem gleichen Trainer in die Saison geht, der für den Folterfußball der letzten Saison verantwortlich zeichnet?

Nach diesem Spiel, welches übrigens genau so beschissen gewesen wäre, wenn der HSV das 1:0 über die Zeit gebracht hätte, entlädt sich dann der gesamte Zorn des getäuschten Publikums, aber es wurde halt nur zum Teil vom Verein, zu einem wesentlich größeren Teil von den Medien getäuscht. Die Hofberichter tun dem Verein nämlich absolut keinen Gefallen, wenn sie über Dinge berichten, die nicht existent sind. Sie schüren eine krankhafte Erwartungshaltung, die nicht zu erfüllen ist und die schiefgehen muss. Auf der anderen Seite werden die Mahner, die genauen Beobachter und die kritischen Berichterstatter über Monate niedergebrüllt, verfolgt, bedroht etc., weil sie sich weigern, diesen kaputten Hype mitzumachen. Jedes Jahr das gleiche Spiel und das eigentlich Traurige ist, dass die Fans zu blöd sind, um es irgendwann einmal zu kapieren.

Der Tag danach.

Diesen Saisonstart hat sich der HSV ganz anders vorgestellt. Nur 1:1 zu Hause gegen Ingolstadt. Ein Fortschritt zu letzter Saison ist bei den Hamburgern nicht zu erkennen – und das trotz Zugängen für rund 26 Mio Euro. [BILD]

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Nimmt man diesen ersten Auftritt als Maßstab, hat sich ganz offensichtlich nicht so viel verändert. Schon wieder enttäuscht der HSV im Volkspark, kommt nicht über ein 1:1 (1:0) gegen den FC Ingolstadt hinaus – und ist danach sauer auf sich selbst. Kennt man doch alles schon zur Genüge. [MOPO]

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Neun Wochen lang hatte der Coach seinen Kader auf die neue Spielzeit vorbereitet, vielleicht zu lang. [Abendblatt]

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Das halbe Eigentor besiegelte letztlich ein schwaches 1:1, das mehr als vermeidbar war. Ernüchternd für all diejenigen, die ein Offensivspektakel erwartet hatten…[Münchhausen „de Vrij“ Scholz in #SchmocksEinöde]

Am Montag nun gibt’s die volle Breitseite, die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei. Ausgerechnet das Blatt, das vom HSV in den vergangenen Wochen extrem bevorzugt behandelt wurde, das Blatt, welches jede Information und jedes Interview exklusiv bekam, nagelt nach dem ersten Heimspiel los. Man kann sich fragen, was passiert, wenn in Leverkusen und im Heimspiel gegen Leipzig nicht gewonnen wird.

Erschütternd. Jedes Jahr die gleiche Scheiße! Komplett enteuphorisiert gingen die HSV-Fans nach Hause. Wäre schon Silvester, könnte man sagen: the same shit as every year. Jedes Jahr der gleiche Sch… Allerdings gab es im Volkspark kein Dinner for One, sondern ein Leiden für Viele. Der HSV präsentierte sich so system-, ideen- und hilflos wie in großen Teilen der vergangenen Saison. Aber wenn nach acht Wochen Vorbereitung und 26 Mio Euro für Neue so viel „Fortschritt“ wie gegen Ingolstadt rauskommt – dann ist das einfach erschütternd. [BILD]

Das LEIDEN geht noch LANGE WEITER.

Acht Wochen Vorbereitung, 26 Mio für Neue – aber der HSV stümperte insbesondere in der zweiten Halbzeit genauso über den Rasen wie vergangene Runde. Aaron Hunt (29): „Das war wie ein Abziehbild der vergangenen Saison.“ Ganz bitter: Labbadia macht den Fans wenig Hoffnung auf schnelle Besserung. Der Trainer rechnet offenbar damit, dass das Leiden noch lange weitergeht.

Der Coach begründet das auch mit der Verjüngung der Mannschaft: „Alle haben ,Hurra‘ geschrien, als wir entwicklungsfähige Spieler geholt haben. Wir wissen aber auch, dass man für die Entwicklung Zeit braucht.“

Die HSV-Elf hatte Sonnabend ein Durchschnittsalter von 25,8 Jahren. Sechs Vereine schickten jüngere Teams auf den Rasen: Dortmund, Mainz, Freiburg, Leverkusen (Gegner nach der Länderspielpause am 10.9.), Hoffenheim und Leipzig.

Fakt ist auch: Den schwächsten Eindruck hinterließen gegen Ingolstadt die, die schon lange in Hamburg sind – Nicolai Müller (28), Cléber (25) und Matthias Ostrzolek (26/alle BILD-Note 5). [BILD]

 

Na sowas. Wie kommt denn das jetzt? Nur ein Spiel, nur ein Gegentor später, und das ganze schöne, mediale Kartenhaus kippt in sich zusammen? Warum denn bloß? Es war doch nur ein Spiel und das kann doch wohl nicht zum Zusammenbruch all dessen führen, was man in 2 1/2 Monaten anstrengender Hofberichterstattung mühsam aufgebaut hat? Was ist aus Big Bruno, dem Wundertrainer geworden? Was macht Dukaten-Didi denn jetzt plötzlich falsch, was er vorher richtig gemacht hat? Und wo sind eigentlich all die gekauften, bezahlten und gesteuerten Jubelperser geblieben, die über Wochen gebetsmühlenartig vom nächsten Schritt Richtung Champions League fabuliert und andere dabei veralbert haben? Alle weg oder alle im Urlaub? Ich verstehe es nicht. Oder kann es vielleicht sein, dass ihr eure Leser über Monate vorsätzlich belogen und getäuscht habt? Dass ihr ihnen irgendwelche Lügenmärchen aufgetischt habt, um den Dauerkarten-Verkauf und den Verkauf eurer Schmierblättchen anzukurbeln? Dass ihr über die unfassbaren 2.000 rosa Lappen einen Aufstand gemacht habt, als würde es kein Morgen geben?

Was ist aus der neuen Lust am HSV geworden? Nach der Länderspielpause geht’s nach Leverkusen, dann kommt Leipzig und man muss wahrlich kein Prophet sein, um jetzt schon erkennen zu können, wie aus „der neuen Lust am HSV“ der „alte Frust am HSV“ wird. Hätte man das Ganze etwas sachlicher und wahrheitsgetreuer dargestellt, wäre der Fall auch nicht so tief. So aber wackelt der Trainer bereits nach dem 5. Spieltag, leider. Denn vorher sollte eigentlich derjenige massiv wackeln, der diese Mannschaft für knapp € 80 Mio. zusammengestellt und für ein Transferminus von knapp € 42 Mio. gesorgt hat. So lange Beiersdorfer diesem Verein vorsteht, wird sich nichts ändern. Absolut nichts.