Liebe Leser,

in einem bemerkenswerten Interview mit Daniel Jovanov auf goal.com erklärt Marcell Jansen heute seine Sicht der Dinge u.a. in Bezug auf den HSV, die fehlenden Strukturen beim HSV, die Sichtweise der Profis und die Rolle der Presse. Endlich, möchte ich sagen, wird einmal öffentlich bekannt, wie die Dinge tatsächlich liegen. Ich möchte einige Teile des Interviews zitieren und mit Kommentaren ergänzen. An dieser Stelle jedoch zuerst danke an Marcell Jansen für die offenen Worte und an Daniel Jovanov für das tolle Interview.

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Welche Erkenntnisse haben Sie aus den zahlreichen Trainerwechseln gezogen?

Jansen: An den Trainern allein kann es nicht gelegen haben. Die können nicht alle schlecht gewesen sein. Als ich 2008 zum HSV kam, hatten wir ein stabiles Grundgerüst im Verein, eine solide Basis, die sich nach und nach auflöste. Die gesamte Führung wurde nach zwei sehr erfolgreichen Jahren von 2008 bis 2010 ausgetauscht. Seitdem ist der Verein auf der Suche nach einer neuen, stabilen Struktur. Für Trainer ist das keine optimale Ausgangslage. Dem HSV haben Leute gefehlt, die nachhaltig an einer Vision gearbeitet haben.

Kommentar: Überaus interessant, dass Jansen darauf verzichtet zu erwähnen, dass der HSV ja nun seit 2014 eben diese stabile Struktur hat und dass man angeblich Leute beschäftigt, die nachhaltig an einer Vision arbeiten. Ein Tritt in die Eier der Exzellenzen!

Zwischen 2009 und 2011 hatte der damalige Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann keinen starken Sportchef an seiner Seite. Nun hat man den Eindruck, dass Dietmar Beiersdorfer einen starken Vorstandsvorsitzenden an seiner Seite braucht. Teilen Sie diese Auffassung?

Jansen: Grundsätzlich glaube ich, dass ein Mann allein an der Spitze nicht ausreicht. Und aktuell wirkt Dietmar Beiersdorfer auf sich allein gestellt. Um erfolgreich zu sein, braucht man ein gutes Führungsteam aus vier oder fünf Personen, die sich gegenseitig vertrauen und unterstützen. Ein solches Team sehe ich beim HSV aktuell nicht.

Kommentar: Erneut interessant. Jansen meint, man bräuchte ein „Führungsteam“ aus vier oder fünf Personen, aber dies sieht er beim HSV aktuell nicht. Ich zähle einmal auf: Gernandt, Beiersdorfer, Hilke, Peters, Wolf, Struth, Calmund, Gisdol. Also entweder, es herrscht kein Vertrauen untereinander oder aber diese Personen sind schlicht und ergreifend fehl am Platz.

Wenn wir auf Ihre gesamte Zeit beim HSV blicken: In sieben Jahren in Hamburg haben Sie sowohl eine absolute Hochphase mit dem Erreichen zweier Halbfinals als auch absolute Tiefpunkte mit dem zweimaligen Absturz auf einen Relegationsplatz erlebt. Worauf führen Sie diese Negativentwicklung beim HSV zurück?

Jansen: Einerseits auf ein fehlendes harmonisch zusammenarbeitendes Führungsteam, andererseits auf den Faktor Zufall. Der spielt im Sport eine viel größere Rolle als bei konventionellen Unternehmen. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass sich Top-Leute aus dem Fußballgeschäft aufgrund der Fluktuation der letzten Jahre nicht um einen Job beim HSV reißen. Das macht die Aufgabe umso schwieriger.

Kommentar: Mit anderen Worten – das, was sich beim HSV zur Zeit rum treibt, ist B-Ware, weil Topleute nicht mehr zum Dauerkrisen-Verein kommen wollen.

Wo liegt der Lösungsansatz?

Jansen: Der entscheidende Punkt war, dass die damaligen Führungspersonen im Erfolg Fehler gemacht haben und anschließend in eine Negativspirale geraten sind. Das bedeutet, dass du als HSV nur noch Leute bekommst, die die Chance sehen, Karriere zu machen und einen guten Vertrag abschließen wollen. Du bist nicht mehr in der Situation, Spieler zu kriegen, die aus dem Erfolg kommen. Wenn ich ein Top-Spieler bin, warum soll ich dann zum HSV? Das ist gar nicht böse gemeint, sondern nur ehrlich. Du musst auch das Glück haben, dass sich die richtigen Leute in einer neuen Konstellation zusammenfinden. Einiges hat der HSV aber selbstverschuldet versäumt. Zum Beispiel die Verpflichtung von Jörg Schmadtke, der seine Vereine immer zum Erfolg geführt hat. Ich habe mich damals sogar als Spieler für seine Verpflichtung eingesetzt. Dass sich erfolgreiche Führungspersonen mehr oder weniger selbst beim HSV anbieten – diese Chance hätte man ergreifen müssen.

Kommentar: Autsch, das tut weh. Der HSV ist also in der „Nach-Hoffmann-Zeit“ nur noch in der Lage, Spieler und Funktionäre zu bekommen, die abgreifen wollen. Spieler (und Trainer), die aus dem Erfolg kommen, gehen woanders hin.

Im Zusammenhang mit dem HSV wird immer wieder von der schwierigen Medienstadt Hamburg und dem unruhigen Umfeld gesprochen. Ist es wirklich so viel schwieriger in Hamburg als in München oder Mönchengladbach, wo Sie ebenfalls gespielt haben?

Jansen: Nein, diese Auffassung teile ich überhaupt nicht. Ich finde die Medien in Hamburg sehr fair, zurückhaltend und dem Verein wohlgesinnt. Da geht es in einigen anderen Städten deutlich heftiger zu.

Kommentar: ENDLICH!!! Danke! Endlich wird mit dieser Legende der „massiven Medienstadt“ Hamburg einmal aufgeräumt. Das Ganze ist nichts weiter als eine billige Entschuldigung für Minus-Leistungen auf allen Ebenen und ebenso ein Mythos wie die Legende vom Dukaten-Didi.

Macht es für einen Fußballer einen Unterschied, ob beim Training oder einer Presserunde eine, fünf oder zehn Kamerateams dabei sind?

Jansen: Normalerweise nicht. Sicher braucht man einige Tage, um sich daran zu gewöhnen. Ich habe das aber nie als Belastung gesehen. Viel wichtiger ist doch, was im Verein passiert, ob man sich nur auf Fußball konzentrieren kann oder andere Dinge für Ablenkung sorgen. Dass es großes mediales und öffentliches Interesse gibt, ist kein Alleinstellungsmerkmal des HSV.

Kommentar: So ist es! So und nicht anders.

Zieht man sich automatisch ein wenig zurück?

Jansen: Nein, das ist doch gar nicht notwendig. Probleme im Verein sind nicht medien-, sondern hausgemacht. Welches Medium würde denn zum Beispiel nicht darüber berichten, wenn wichtige Dokumente im Park gefunden werden? Was in den Zeitungen steht ist nur ein Abbild dessen, was schon passiert ist. Und was innerhalb des Vereins passiert ist inhaltlich viel relevanter als eine anschließende Berichterstattung.

Ist die „schwierige Medienstadt Hamburg“ also nur ein Alibi-Argument?

Jansen: Ja, von dieser These halte ich nichts.

Kommentar: Nochmals  – Danke Marcell. Bei mir hast du nach diesem Interview und den ehrlichen Worten reichlich Punkte gemacht.

Des gesamte Interview ist hier nachzulesen:

http://www.goal.com/de/news/1022/interview/2016/10/07/28243402/ex-hsv-profi-jansen-an-den-trainern-allein-kann-es-nicht-gelegen-?ICID=HP_BN_2