Es gibt Vereine, die haben einen klaren Plan. Eine Strategie. Ein Konzept. Dieses Konzept wird vom gesamten Verein getragen, es ist sozusagen im Verein verankert. Es wird gradlinig verfolgt, bei Gelegenheit angepasst, aber niemals weicht man vom eigentlichen Plan ab. Mitarbeiter, Spieler oder Funktionäre, die diesem Konzept nicht folgen (wollen), müssen den Verein verlassen, bzw. sie finden gar nicht erst einen Platz im Verein. Dies alles macht selbst (oder besonders) in Zeiten ohne echte Werte Sinn, vielleicht sogar erst recht in diesen Zeiten. Ich erinnere mich dunkel an die Zeit während der Saison-Vorbereitung, in der die beiden „schlimmsten“ HSV-Kritiker (der Eine schreibt bei goal.com, der Andere schreibt hier) auf das Konzept von RB Leipzig hingewiesen haben und dies quasi als Blaupause für einen HSV erkannt haben, wie er ab 2014 hätte aufgestellt werden müssen.

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Damals mussten wir uns zahlreichen, nennen wir sie mal „Protesten“ ausgesetzt sehen, wir hätten doch keine Ahnung. Man könne nicht mit einem Team aus 20 bis 24-Jährigen in der Bundesliga bestehen, das Projekt RBL bräuchte mindestens einige Jahre, um in der höchsten deutschen Spielklasse bestehen zu können. Alles nur Plastik, keine Tradition. Man würde es doch am HSV sehen, wie lange eine 180 Grad-Wende dauern würde. Und nun? Die Bullen aus Leipzig rocken die Liga, sie begeistern mit einer Art Fußball, der an den jungen BVB erinnert. Vollgas, mit (jugendlicher) Begeisterung und einfach nur Lust am Spiel. Was bei einem HSV wie eine Bürde aussieht, scheint den Leipzigern Spaß zu machen. Und man erkennt: Solch ein Aufbau, selbst auf höchstem Niveau, benötigt eben nicht endlos Zeit und Geduld, man muss es nur strategisch durchziehen, sich mit den richtigen Leuten umgeben und den Weg stringent verfolgen.

Nicht so bei einem Verein aus Hamburg, denn dieser Verein lässt sich Zeit. Mit allem. Eigentlich schon seit 1983, spätestens aber seit der Demission von Bernd Hoffmann, dem letzten Vorstandsvorsitzenden, der so etwas wie eine Vision hatte. Hoffmann hatte nur ein großes Problem, er hatte die falschen Leute an seiner Seite. Einen schwachen und zögerlichen Sportchef, der jede Entscheidung bis Weihnachten vertagte und natürlich einen intriganten Aufsichtsrat, bestehend aus Fußball-Amateuren, die aber gern Fußball-Profis spielen wollten. Seither aber lässt sich der HSV Zeit.

2014 wurde Herr Beiersdorfer an die Führung des Vereins gespült und mit ihm „Experten“ wie Knäbel und Peters. Fragte man nach, ob es denn ein Ziel geben würde, etwas, was man anstreben würde, so erhielt man die Antwort: „Das braucht jetzt erstmal Zeit“. Sowas geht nicht von heute auf morgen.  Man dürfe auch nicht vergessen, was man von seinen gemeinen Vorgängern übernommen habe. Geduld, Geduld. Man würde in Kürze ein neues Vereins-Leitbild veröffentlichen, dann würde der rote Faden deutlich werden. Ein Jahr später kam dann endlich ein von einer Fremdfirma für € 100.000 erstelltes Pamphlet auf den Markt, gegen dessen Inhalte man seitdem beständig verstößt. Aber: „Das braucht erstmal Zeit“

Im Februar 2016 kam ein gewisser Nabil Bahoui nach Hamburg, seines Zeichens schwedischer Nationalspieler. Aus dem fernen Saudi Arabien kam der Mann und wenn man fragte, wann man dann mit einem Auftritt des schwedischen Internationalen würde rechnen können, hieß es: „Das braucht noch Zeit, der Mann kennt die hochkomplizierten Laufwege des ausgeklügelten HSV-Systems noch nicht“. Heute schreiben wir Oktober 2016, das Talent Bahoui wird im Februar 26 und stand gegen Gladbach nicht einmal im Kader. „Das braucht noch Zeit“

Aktuell bastelt man im Volkspark am sogenannten Verarschungs-Campus, aus dem Gebäude sollen einmal die neuen Ronaldos dieser Welt hervorgehen. Wann wird man denn da mit Ergebnissen rechnen können? „Das braucht Zeit, wir stehen ja ganz am Anfang“. 

Groß war der Jubel, als sich der HSV im Sommer 2016 die Dienste von Kroaten-Messi Alen Halilovic sichern konnte. Der Mann aus Barcelona wird in Hamburg mindestens die Erfolgsgeschichte von Rafael van der Vaart wiederholen können, wahrscheinlich sogar mehr. Am Freitag spielt der HSV am 8. Spieltag gegen Frankfurt, aber nach Labbadia erklärt auch der neue Übungsleiter Gisdol auf die Frage nach dem jungen Alen: „Das braucht noch Zeit“

Hach, dann war da ja noch Bakerman Jatta. Der „Flüchtling“ aus Gambia, ein Talent ohne jede Vereins-Erfahrung, fand beim HSV ein neues Zuhause, trainiert seither mit den Profis. In der Regionalliga spielt Bakery mittlerweile regelmäßig, trifft dort sogar. Ob er vielleicht auch mal eine Alternative für die völlig enttäuschenden Müller und Kostic sein könnte? „Neeeeinnn, das braucht noch Zeit“ . Dieses Schicksal teilt Jatta im Übrigen mit einem Finn Porath, der in der Saisonvorbereitung durchaus zu überzeugen wusste und mit einem Luca Waldschmidt, der nach Hamburg kam, um mehr Einsatzzeiten zu erhalten. „Die brauchen noch Zeit“. 

Ich kann ja durchaus verstehen, dass man Talente nicht verheizen möchte, aber in anderen Vereinen spielen 18 und 19-Jährige regelmäßig. Und wenn dann die etablierten Kicker wenigstens überzeugen würden, aber der HSV ist Vorletzter, hat zwei Punkte und in 7 Spielen exakt zwei Tore erzielt. Was genau sollen denn Waldschmidt, Porath, Halilovic, sogar Jatta noch schlechter machen als Lasogga, Holtby, Kostic und Müller? Wie erkläre ich den jungen Spielern, dass sie nicht zum Einsatz kommen, obwohl die Millonäre Woche für Woche mit erschütternden Leistungen den Verein in den Abstieg führen? Aber halt, ich vergaß – „Das braucht noch Zeit“

Es ist gar nicht so lange her, da hatte man in Hamburg tatsächlich einmal zwei wirkliche Talente. Man hatte einen 18-jährigen Jonathan Tah und einen 20-jährigen Kerem Demirbay. Aber die Jungs waren noch nicht soweit, obwohl beide ihre Bundesliga-Tauglichkeit bereits unter Beweis gestellt hatten und ihre Konkurrenten beständig versagten. Aber die Spieler „brauchten noch Zeit“ und deshalb schickte man sie in die Niederungen der zweiten Liga. Von dort aus konnten sie zusehen, wie die Herren, an deren Stühlen sie nicht rütteln durften, Jahr für Jahr die Relegation erreichten, während sie abgeschoben wurden. In Hamburg und bei den verblödeten HSV-Fans wunderte man sich dann, wenn eben diese Spieler nicht wieder zum HSV zurückkehren wollten.

Ne, in Hamburg „braucht alles seine Zeit“. Müller braucht ein Jahr, um sich an die Stadt zu gewöhnen, jeder Trainer braucht ein halbes Jahr, um die Mannschaft zu verstehen. Was für ein Bullshit!!! Wenn ich als ein Verein wie der HSV, der finanziell nicht auf Rosen gebettet ist, einen Spieler für mehrere Millionen Euro verpflichtet, dann muss dieser funktionieren. Andernfalls setzte ich tatsächlich auf junge Talente, denen wird dann auch die nötige Zeit gegeben und es werden Fehler verziehen. Ein Filip Kostic aber, der den HSV € 15 Mio. gekostet hat, darf kein Jahr Zeit brauchen, zumal der Mann 23 Jahre ist und bereits über Bundesliga-Erfahrung verfügt.

Der HSV aber nimmt sich Zeit, auf allen Ebenen. Sowohl Vorstand, wie auch Mannschaft und Trainer verdienen im Bereich eines Champions League-Teilnehmers, liefern aber Leistungen wie ein Zweitligist ab, wobei ich damit einigen Klubs aus der zweiten Liga Unrecht tue. Mit diesem endlosen „Wir brauchen Zeit-Gelaber“ tut man Ende des Tages aber nur eines: Man versucht zu kaschieren, dass man genau das nicht hat, was man aber braucht, um nachhaltig erfolgreich zu sein.

Ein Plan, eine Strategie, ein Konzept. Und die richtigen Leute, um das umzusetzen.