Ich war einer von ihnen, ganz ehrlich. Genau wie die rosa Hüpfer mit pinker Brille und genau wie die Verstrahlten auf der Nordtribüne habe ich auch mal gedacht und gefühlt, sogar viele Jahre lang. Genau wie sie war ich der Meinung, dass ich alles mir zur Verfügung stehende in die Waagschale werfen müsste, um jegliches Unheil von meinem Verein fernzuhalten. Der jeweilige nächste Gegner war kein sportlicher Konkurrent, er war der Feind und Bremen war für mich die verbotene Stadt. Alles, wirklich alles was aus München kam, fand ich per se erstmal Scheiße und ich war gern bereit, an die große DFB-Verschwörung zu glauben, die meinem HSV grundsätzlich die schlechtesten Spieltermine und die hinterhältigsten, parteiischsten und bestechlichsten Schiedsrichter zuschanzen wollte. Überhaupt: Der Mann in Schwarz (damals rannten die alle noch in Schwarz rum), war kein Spielleiter, sondern ein manipulativer Verbrecher und sollte mein HSV das Spiel gewonnen haben, dann nicht wegen sondern trotz des Schiris.

Jeder einzelne Spieler des Gegners war wahlweise eine sportliche Pfeife, ein linker Treter, ein Schauspieler vor dem Herrn oder ein abtrünniger Judas, dagegen waren die Herren in den roten Hosen wahre Halbgötter, die die Raute selbstverständlich nur nur auf dem Trikot, sondern auch im Herzen trugen. Was für alle anderen galt, galt für meinen Verein nicht. Hier wurde nicht unterschrieben, um abzukassieren, hierher kamen die Spieler, weil es eine Ehre war, für diesen großen Verein spielen zu dürfen.

Und dann natürlich die fiesen Medien, der große Satan des Fußballs. Grundsätzlich wurden meine Stars zu schlecht beurteilt, während alle anderen viel zu gut gesehen wurden. In Zeiten der Herren Schnitgerhans (Bild) und Matz (Abendblatt) war das geschrieben Wort am Sonntag bzw. Montag das Einzige, worüber man sich nach dem Spieltag aufregen konnte, das Internet war noch in weiter Ferne und was ein Blog sei sollte, konnte niemand ahnen. Das Irre war eigentlich (zumindest aus heutiger Sicht): Alle dachten so wie ich, kritische Fans oder Ähnliches gab es nicht, denn wer kritisch war, war automatisch kein Fan, ganz einfach.

Ich wurde älter und lernte Leute kennen, die anders dachten. Das war aber noch nicht alles, denn selbst zu Zeiten des alten Aufsichtsrats war ich eigentlich noch Verteidiger des Vereins, Verteidiger gegen die böse Kräfte, gegen die dunkle Seite der Macht. Dann aber passierte etwas, was meine Sicht auf den Verein selbst, auf die gesamte Organisation rund um den Profisport (nicht nur den Fußball) nachhaltig veränderte und bis heute nahezu komplett gedreht hat. Während einer Mitgliederversammlung im Jahr 2013, ich hatte bereits meinen eigenen Blog, wurde ich von einem amtierenden Aufsichtsratsmitglied angesprochen. Erstaunlicherweise wusste der Mann mit meinem Blog-Namen etwas anzufangen und wie sich anschließend herausstellte, wussten mit diesem Namen nahezu alle Leute innerhalb des Vereins und seiner Gremien etwas anzufangen, damit hatte ich zu keinem Zeitpunkt gerechnet. Man sprach also auf der MV miteinander und beschloss, sich anschließend zu treffen, denn der Herr Aufsichtsrat hatte etwas zu erzählen.

Zu meinem großen Glück (manchmal muss man auch einfach Glück haben), führten der Herr aus dem AR und ich unser privates Gespräch auf meiner Terrasse im August 2013 nicht allein, sondern wir waren zu Dritt. Diese dritte Person wäre also in der Lage, all das, was ich weiß, bestätigen zu können, denn das, was ich dort hörte, war so widerwärtig, so intrigant und so ätzend, mir wurde fast schlecht. Da wurde über Intrigen innerhalb des AR berichtet, da wurde erklärt, wie der Aufsichtsrat bewusst gegen den Vorstand arbeitet und andersrum. Kurzum, mir wurde ein Bild von einem Verein vermittelt, in dem es um nichts anderes ging als um Macht, um Eitelkeit, um Vorteilsnahme und vor allem um eines: Um Geld.

Rückblickend war dieses Gespräch der Auslöser für alles, was in den nächsten Jahren passieren sollte, denn bei diesem Meeting mit dem einen Herren blieb es nicht, es folgten viele weitere. Geheime Treffen mit weiteren Aufsichtsräten, inoffizielle Gespräche im Vorstandsbüro und und und. Je tiefer ich in die Materie HSV eintauchte, umso mehr widerte mich das Konstrukt an, denn von dem Verein, den ich einmal aus tiefster Seele gegen jeden verteidigt hatte, blieb weniger als nichts übrig. Ich bekam am eigenen Leib zu spüren, was das Wort eines Vorstandsmitgliedes Wert war, ich nahm zur Kenntnis, wie ich und mein Medium von diversen Strippenziehern benutzt werden sollte und am Ende auch benutzt wurde. Wie gesagt: Für all das gibt es Beweise und es gibt Zeugen, denn ich führte all diese Gespräche nie allein. Zum Glück.

Heute weiß ich, warum mit dem Einen verlängert wird und mit dem Anderen nicht. Ich weiß, warum der Funktionär den hochdotierten Posten bekommt und kein Anderer. Ich weiß, warum ein Spieler kommt und warum ein anderer Spieler nicht kommt. Ich weiß, wie die Sportchefs des Vereins arbeiten (wenn sie denn mal arbeiten) und ich weiß, wie beim HSV gescoutet wird (bzw. eben nicht gescoutet wird). Ich weiß, welchen Einfluss Herr Kühne hat und nimmt und ich weiß auch, warum und wer woran mit verdient. Für all das habe ich Beweise, aber die werde ich garantiert nicht an einem beliebigen Tag im September 2017 verschleudern, damit sich der eine oder andere Vollpfosten besser fühlt.

Wer weiß, vielleicht werde ich ja tatsächlich irgendwann ein Buch über diese Zeit schreiben, Material habe ich wahrlich genug. Eines hat diese Zeit auf jeden Fall bewirkt, ich bin geheilt. Geheilt von einer Krankheit, die man Fanatismus nennt und Fanatismus ist eine Krankheit. Das erkenne ich tagtäglich an Anfeindungen, Hass-Mails, Gewalt-Androhungen etc. von Leuten, die nicht im Ansatz das wissen, was ich heute (leider) weiß. Natürlich können sie das alles nicht wissen und bis zu einem gewissen Punkt kann ich sie manchmal sogar verstehen, denn ich war ja genauso. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied, denn heute hat man wesentlich mehr Möglichkeiten, sich zu informieren als zu der Zeit, als ich noch im Block E der Westkurve stand und das miese Geschreibsel von Schnitte und Frisuren-Matz konsumieren musste.

Eines noch. Ich fühle mich nicht besser, wenn ich den Leuten, die mir heute noch schreiben, ich solle doch endlich mal etwas Positives schreiben, antworte: „Wenn ihr wüsstet…“. Vielmehr war mein Leben leichter und mein Bild vom Profisport war deutlich freundlicher, als ich all diesen Dreck nicht wusste. Es gab Zeiten, da habe ich dieses Gespräch vom August 2013 auf meiner Terrasse verflucht.