Interview mit Rafael Buschmann, einer der beiden Autoren des Enthüllungsbuchs „Football Leaks“

HSV-Arena: Gab es nach der Erscheinung des Buches andere Angebot für Insider-Informationen außer von Football Leaks? Also eine Art Lawineneffekt? Wenn ja, wie geht man damit um?

Buschmann: Es haben sich etliche Informanten gemeldet, teilweise auch mit Geschichten, die überhaupt nichts mit Fußball zu tun hatten. Manche Angebote waren sehr gut und wir konnten mit den Tipps oder Dokumenten eigene Storys angehen. Das ist für uns auch sehr wichtig. Denn eines der wichtigsten Markenzeichen des SPIEGEL ist die investigative Arbeit. Wir wollen den Whistleblowern da draußen ständig zeigen, dass wir sorgsam und vertrauenswürdig mit ihren Geheimnissen umgehen und aus ihren Informationen wichtige Geschichten bauen können. 

HSV-Arena: Sind Spielmanipulationen in den Top-Liga, auch der Bundesliga, deiner Meinung nach Tatsachen oder Illusion?

Buschmann: Ich beschäftige mich mit Matchfixing seit der Hoyzer-Affäre und bin nach all den Jahren immer noch total überzeugt davon, dass weltweit jede Liga für diese Art von Betrug anfällig ist. Das hat einen sehr simplen Grund: Wettmanipulateure bedienen sich eines sehr skrupellosen Tricks. Sie überzeugen oft junge Spieler davon, ein oder zwei Spiele für sie zu fixen. Die Paten nennen so etwas „anfüttern“. Schnappt das Talent zu, nimmt es für eine Manipulation in einer Jugend- oder tieferen Spielklasse Geld, dann sitzt es in einer Falle. Die Wettbetrüger ziehen sich dann oft für Jahre zurück, warten bis aus dem Talent ein etablierter Spieler wird und erinnern den Profi dann an die erste Manipulation. Das läuft dann oft nach dem Prinzip ab: entweder du fingierst jetzt ein weiteres Spiel oder wir zerstören deine Karriere, weil wir deine erste Manipulation an die Presse verraten oder deinem Verein melden. Der Spieler sitzt somit in der Falle. Es geht nicht mehr um Geld, sondern um die Existenz. Das ist perfide, aber der Trick kann in nahezu jeder Liga funktionieren.

HSV-Arena: Der HSV gilt, zumindest was die Bundesliga betrifft, als einer der größeren Player in dem beschriebenen Spektrum. Gibt es in den Daten von Football Leaks konkrete Hinweise?

Buschmann: Der HSV kommt in den Football Leaks-Daten tatsächlich prominent vor. Wir beschreiben in unserem Buch sehr ausführlich, wie Thomas von Heesen versuchte mit den sehr dubiosen Investoren von Doyen Sports ins Geschäft zu kommen. Das ist die Firma, die auch Vereine wie Twente Enschede ausgehöhlt und mit ihnen Verträge abgeschlossen hat, die gegen nationales Recht verstoßen haben. Twente wäre wegen dieses Deals beinahe zwangsabgestiegen. Die Doyen-Manager kommen in den Daten ständig vor und ständig hat man den Eindruck, dass Gesetze und Moral für sie nur leere Hülsen wären. Dass ausgerechnet der HSV mit diesen Renditehaien ins Geschäft kommen wollte, ist schon bezeichnend. Wobei wir in den Football-Leaks-Dokumenten auch gut dokumentiert sehen, wie der HSV seine Mannschaft als reinen Zahlenposten sieht. Die Spieler bekommen Preisschilder, unabhängig von Vertragsdauern sollen sie auf dem Markt platziert und angeboten werden. So verhält sich eigentlich kein Verein, der eine Idee hat, wie er die Zukunft bestreiten möchte. Gerade die Zeit unter Dietmar Beiersdorfer wirkte – wenn man die Daten liest – sehr aktionistisch und nur selten wirtschaftlich durchdacht. 

HSV-Arena: Informant „John“ ist bekennender Christiano Ronaldo-Fan. Auf der anderen Seite veröffentlicht er Daten, die sein Idol ins Gefängnis bringen könnten. Glaubst du, dass man auf dieser Mission sein muss, um glaubwürdig zu sein?

Buschmann: Ich habe John Dutzende Male getroffen, stehe seit über zwei Jahren mit ihm in Kontakt. Er ist ein Fußballfan durch und durch. Ohne einen missionarischen Ehrgeiz wäre ein solches Projekt, wie er Football Leaks nennt, sicher nicht möglich. John setzt sich riesigen Gefahren aus, seine Existenz steht auf dem Spiel, ganz zu schweigen von den juristischen Problemen, die ihm drohen. Um all das auszuhalten muss man schon ein großer Überzeugungstäter sein.