Gestern Abend kommunizierte ich (Telefon und Whatsapp) mit zwei „Kollegen“, also mit „echten“ Sportjournalisten und beiden kamen unabhängig voneinander zu ein und demselben Schluss: „Ich bin nur noch müde“. Das muss man sich einmal vorstellen. Ein Journalist lebt von Ereignissen, teilweise von Sensationen, manchmal auch von Skandalen, aber dieser Verein hat mittlerweile so viel von allem geliefert, dass selbst diejenigen, die eigentlich davon profitieren würden, nicht mehr mögen. Wie auch, man kommt ja nicht mehr mit dem Berichten hinterher.

Sportliches Dauer-Desaster, Katastrophen-Transfers, Trainer- und Managerentlassungen, Person-Karussell, 10 Aufsichtsrats-Vorsitzende in 8 Jahren, Rucksack-Verluste, Relegations-Dramen und neuerdings misslungene Putschversuche im Aufsichtsrat. Liest man heute die BILD, so wird deutlich, dass Putsch-Minister Goedhart diese Nummer nicht das erste Mal fährt. Umso erschütternder, dass der Mann auch auf der neuen Liste des Herrn Meier stehen durfte, der über all das bestens im Bilde sein sollte.

Un­ter­des­sen si­ckern immer mehr De­tails durch. Der Putsch-Ver­such gegen Bruch­ha­gen und Todt war nicht die erste miese At­ta­cke des Wirt­schafts-Ma­na­gers. Go­ed­hart woll­te be­reits Ex-Trai­ner Bruno Lab­ba­dia (51) stür­zen. Und das sogar in Lab­ba­di­as Ret­ter-Sai­son 14/15.

Da­mals führ­te der Trai­ner die Ham­bur­ger mit zehn Punk­ten aus den letz­ten sechs Spie­len in die Re­le­ga­ti­on. Dort schaff­te der HSV im Herz­schlag-Fi­na­le gegen Karls­ru­he (1:1, 2:1 n.V.) den Klas­sen­er­halt.

Nach der 1:2-Nie­der­la­ge am 33. Spiel­tag in Stutt­gart star­te­te Go­ed­hart unter den Auf­sichts­rä­ten (schrift­lich) eine Auf­stel­lungs-Dis­kus­si­on. Die soll­te Lab­ba­dia am 34. Spiel­tag gegen Schal­ke (2:0) als Vor­ga­be be­kom­men. Ein Wahn­sinn.

Gut ein Jahr spä­ter tagte der Auf­sichts­rat im Gar­ten des da­ma­li­gen Vor­sit­zen­den Diet­mar Bei­ers­dor­fer (54). Lab­ba­dia wurde ein­be­stellt. Es gab Stress um Bei­ers­dor­fer-Ein­kauf Alen Ha­li­lo­vic (21/jetzt UD Las Pal­mas). Den hatte Bei­ers­dor­fer für fünf Mio Euro aus Bar­ce­lo­na ge­holt, der Trai­ner konn­te ihn aber nicht brau­chen.

In der Sit­zung woll­te Go­ed­hart Lab­ba­dia dann er­klä­ren, wie er den Kroa­ten ein­zu­set­zen habe. Klar, dass man auf kei­nen ge­mein­sa­men Nen­ner kam. Kurz da­nach wurde der Coach ge­feu­ert.

(Quelle: BILD)

Aufsichtsräte, die einem lizenzierten Fußballlehrer erklären wollen, wie er seine Spieler einzusetzen hat. „Gönner“, die sich von ihrem Leib-und Magenberater Spieler einsingen lassen, damit sich der Berater dumm und dusselig verdient. Ex-Spieler, die mit 29 Jahren ihr Karriere wegen einer App beendet haben und nun Aufsichtsrat spielen wollen, das alles erschöpft unglaublich. Und leider ist es wahr, es gibt wirklich keine Schwachsinnigkeit, die nicht so absurd ist, dass der HSV nicht darüber stolpern könnte. Man ertappt sich in Gesprächen immer wieder bei „Nein, das kann nun wirklich nicht sein“, um dann nur Sekunden später auf ein „Aber halt, wir sprechen über den HSV“ zu kommen.

Vielleicht zur Erinnerung noch ein paar Daten, auch wenn ich sie schon mehrfach erwähnt habe. Im Jahr 2010 hatte die Mannschaft des HSV einen Marktwert von € 134,8 Mio., die der Bayern von € 292,35 Mio., also etwas mehr als das Doppelte.

https://www.transfermarkt.de/1-bundesliga/marktwerteverein/wettbewerb/L1/plus/?stichtag=2010-11-15

 

Seit dieser Zeit investierte der HSV € 177,30 Mio. in neue Akteure und verzeichnete dabei einen Transferverlust in Höhe von € 79,50 Mio. Heute hat die Mannschaft des Hamburger Sportvereins einen Wert von € 78,60 Mio.

 

https://www.transfermarkt.de/transfers/einnahmenausgaben/statistik/plus/0?ids=a&sa=&saison_id=2010&saison_id_bis=2018&land_id=40&nat=&pos=&altersklasse=&w_s=&leihe=&intern=0

Das muss man sich einfach mal vorstellen. Man hat ein Produkt, welches knapp € 140 Mio. wert ist, investiert in dieses Produkt € 177 Mio. und anschließend ist es noch € 78,6 Mio. wert. Wie kann das sein? Das ist doch rein logisch gar nicht zu erklären.

Zum Vergleich: Der Marktwert des FC Bayern München beläuft sich heute auf € 642,50 Mio. Ein anderer Vergleich: Im Jahr 2010 hatte das Team von Bayer Leverkusen einen Wert von € 141, 35 Mio., heute ist die Werkself € 262,90 Mio. Ein Plus von 86% gegenüber einem Verlust von 41,7% beim HSV. Dabei machte Bayer in diesen Jahren einen Transferverlust von lediglich € 8,63 Mio. 

Allein diese wenigen Zahlen würden normalerweise reichen, an diesem Klub zu verzweifeln, aber das ist bekanntlich nur ein kleines Mosaiksteinchen. Beliehene Sponsoren-Verträge, das angebliche eigene Stadion als Sicherheit für Kredite verpfändet, Fan-Anleihen für Gehälter und Abfindungen missbraucht, jeden noch so blinden 3.-Liga Manager aus seinem Vertrag gekauft und und und. Wenn man heute, am 03.02.2018 fragt, was für diesen Verein spricht, kann die Antwort nur lauten: Nichts. Absolut nichts.

Es gibt keine Strategie, keinen mittelfristigen Plan, keine Agenda. Das einzige Ziel dieses Vereins ist es seit Jahren, die Klasse zu halten. Koste es, was es wolle. Diesem Ziel wurde alles untergeordnet, es wurde das allerletzte Tafelsilber zu Spottpreisen verhökert, damit der nächste fußkranke Ex-Star verpflichtet und Herr Struth noch ein wenig reicher gemacht werden konnte. Amtsinhaber, Vorstände, Trainer und alle anderen kannten in all den Jahren nur ein Ziel: Irgendwie so lange es geht zu überleben, um an den Futtertrögen verweilen zu können. Niemand war willens, niemand war in der Lage diese Spirale des Todes aufzubrechen, aber es kann nur noch eine Konsequenz geben: Es muss endlich die Wahrheit gesagt werden!

Wer auch immer es sein wird, vielleicht ja Bernd Hoffmann, muss sich Zeit für eine Analyse nehmen, wobei das Ergebnis dieser Analyse bereits jetzt feststeht – der HSV ist zu 99% tot. Um das letzte Prozent zu retten und einen echten Neuanfang zu starten, in welcher Liga auch immer, muss den Mitgliedern, Fans und Anhängern endlich die Wahrheit gesagt werden, auch wenn es einige vielleicht nicht hören wollen.

Die (finanziellen) Fakten müssen auf den Tisch und dann muss endlich die Konsequenz gezogen werden. Schluss mit den Lügenmärchen, Schluss mit den Durchhalteparolen, Schluss mit dem „Ist doch eigentlich alles gut“. Schluss mit Selbstoptimierern, Schluss mit Intriganten (allein der Umstand, dass Goedhart heute noch im AR sitzt, ist ein Skandal), Schluss mit Finanzjongleuren. Schluss mit Presse-Seilschaften, Schluss mit „Deals“. Es muss eine ganz deutliche Strategie her, wie man in Zukunft mit Herrn Kühne verfährt. Keine Tricks mehr, keine Winkelzüge. Transparenz mit allen Konsequenzen. Es müssen knallharte Regeln her und wer dagegen verstößt, der fliegt. Sofort.

Es darf keinen Schwachsinn mehr geben wie „Aufstellen für Europa“ und erst recht kein „in 3 Jahren sind wir auf Augenhöhe mit…“. Der HSV ist auf Augenhöhe mit sich selbst, das reicht. Es darf kein „Der HSV ist ein großer Verein“ mehr geben, denn das ist er nicht und es wird Zeit, dies endlich zu akzeptieren. Dieser Verein muss nicht nach hinten, sondern nach vorn schauen. Er muss sich von seinen Traditionen lösen und sich neu erfinden. Nur so wird es dem HSV gelingen, seine Fans zurück zu gewinnen. Tut er das nicht, wird er sterben, auch wenn das einige noch immer nicht begreifen wollen. Er wird sterben. Bald.