München, 04.03.2006

In Erinnerung an Horst Schmidt und einen großen Tag. 

Ich kann mich erinnern, als wäre es gestern gewesen. Zwei Tage zuvor fragte mich mein Chef, ob ich nicht jemanden kennen würde, dem man mit dem Besuch eines HSV-Spiels in München eine Freude machen könnte. Wir hatten noch zwei Plätze in der Burda-Loge in der Allianz Arena frei und ich sollte den Gast/Kunden begleiten. Natürlich kannte ich jemanden, es war sogar jemand, den man nicht so einfach zu einem Kunden-Event bekommen konnte, ein Geschäftsführer einer der größten Hamburger Media Agenturen. Ich rief ihn also an bzw. ich rief seine Sekretärin an und wenig später hatte ich die Zusage. Ich war dem Mann bis dahin nur einmal kurz begegnet, meine Ansprechpartner arbeiteten normalerweise zwei bis drei Ebenen unter ihm. Auf jeden Fall dauerte es keine 5 Sekunden und der Mann sagte zu. Wir verabredeten uns für Samstag, 12.00 Uhr an einem bestimmten Platz am Flughafen Hamburg, ich würde alle notwendigen Unterlagen mitbringen.

Am Samstag machte ich mich also auf den Weg, pünktlich wie gewohnt traf ich am vereinbarten Platz ein. Der Kunde saß bereits auf einem Barhocker, HSV-Schal um den Hals gebunden und fragte mich: „Willst du auch ein Bier?“. Es war 12 Uhr Mittags. Okay, der Kunde ist König und ich trank das erste Bier des Tages, es sollte nicht das letzte gewesen sein. Wir stimmten uns also bereits vor dem Abflug nach München auf das bevorstehende Debakel an, denn der HSV hatte 24 Jahre in Folge nicht in München gewonnen. Der Kunde war um 12.03 Uhr „Horst“ für mich und draußen schneite es wie in Alaska. Egal, wir waren auf dem Weg nach München.

Obwohl sich der Abflug deutlich verspätete, landeten wir doch irgendwann auf dem Franz-Josef-Strauß Airport in München. Im Laufschritt zu den Taxen, viele waren nicht mehr da. Ich kann mich noch erinnern, dass auf dem Armaturenbrett vor dem Beifahrersitz ein Nichtraucher-Aufkleber angebracht war, der Aschenbecher des türkischen Taxifahrers jedoch randvoll war. Nun, wahrscheinlich bayrischer Humor. München lag unter einer ca. 4 Meter dicken Schneedecke, wir nannten unser Ziel und der Fahrer driftete durch München zum Stadion. Es war 15.25 Uhr, als wir ankamen, bezahlten und durchs Stadion in die Loge rannten, wo nett angezogene Business-Männer und Frauen saßen und Schampus tranken. Die Exoten aus Hamburg wurden mit seltsam angewiderten Blicken belohnt, aber die Exoten aus Hamburg sollten die sein, die am Ende etwas zu feiern hatten.

Egal, Horst und ich kümmerten uns nicht um die Bussi-Gesellschaft. Pünktlich zum Anpfiff saßen wir auf unseren Plätzen im Freien, während die Schick-Micki-Truppe drinnen im Warmen weiter Schampus konsumierte. Der Mann, den die Meisten der illustren Gäste in der Loge nur vom Hörensagen kannten, strahlte mich an und sagte: „Alter, wie geil“.

Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Der HSV ging früh durch Demel in Führung, die München drückten auf kaum bespielbaren Boden ohne Ende, in der 83. Minuten glich Scholl auf Vorlage von Ballack aus und jeder rechnete damit, dass die Münchner das Spiel doch noch drehen würde. Verdammter Dreck, der erste Sieg nach fast einem Viertel-Jahrhundert war so nah gewesen. Dann die 89. Minute. Mahdavikia flankte, de Jong schien plötzlich 2 Meter groß zu sein und köpfte ein. Die Szenen danach – unbeschreiblich. Horst und ich lagen uns in den Armen, die bayrischen Schampus-Säufer verließen fluchtartig die Loge.

Abpfiff. Innerhalb von 10 Minuten war das Stadion leer. Leer bis auf ca. 10.000 Hamburger, die in einer blauen Kurve die Mannschaft feierten, als wäre man gerade Champions League-Sieger geworden. Ohne Worte.

Die Ereignisse danach kriege ich nur noch in Teilen zusammen. Horst und ich, feiernd in der VIP-Loge mit Sylvie van der Vaart. Horst, der sich im Stadion mit dem HSV-Schal über dem Kopf vor den abfahrenden HSV-Bus schmiss. Horst und ich, Weißbier saufend auf dem Münchner Flughafen mit Daniel van Buyten um 1.30 Uhr Nachts. (Der Flughafen war wegen des Schneechaos teilweise geschlossen). Rückflug in 40 Minuten nach Hamburg, Aufhebung des Nachtflugverbots, Landung um 3.20 Uhr, kein Taxi in Fuhlsbüttel. Ich im Schneetreiben durch die dunkle Nacht, zu Fuß. Ich glaube, ich war gegen Viertel nach 4 im Bett, voll wie ein Eimer.

Jedesmal, wenn ich Horst in den Jahren danach auf irgendeiner Veranstaltung oder in der Agentur traf, umarmten wir uns und er sagte jedesmal: „Alter, was war das bitte für ein geiler Tag“.

Horst ist vor drei Wochen gestorben.

Die damalige Mannschaftsaufstellung:

Wächter – Mahdavikia, Boulahrouz, Demel, Atouba – de Jong, Jarolim -Trochowski, van der Vaart – Takahara, Barbarez

 Dies ist die Geschichte von jemandem, dem viele Leute im Jahr 2018 absprechen, HSV-Fan (gewesen) zu sein.