Liebe Leser,

es bleibt dabei, die WM interessiert mich immer noch nicht. Ich registriere zwar, dass die Favoriten (bis auf Belgien) durch die Bank enttäuschen, aber auch diese Tatsache bringt mich dem nächsten gekauften sportlichen Großereignis nicht näher. Dafür möchte ich euch heute mit zwei Szenarien konfrontieren, die tatsächlich so stattgefunden haben, die stattfinden und die auch in Zukunft stattfinden werden. Ich behaupte nicht, dass dies beim HSV passiert ist, ich nenne weder Namen noch Zeitpunkte, aber diese Dinge sind passiert. Im Anschluss könnt ihr euch dann selbst die Frage stellen: Was hätte ich getan?

Fall 1:

Stellt euch vor, ihr seid Mitglied des Aufsichtsrats. Ihr seid dort auf irgendeine obskure Art und Weise reingewählt worden oder irgendein Gremium hätte euch bestimmt. Der Aufsichtsrat tagt und kontrolliert und entscheidet. Dann kommt der Fall, bei dem der AR entscheiden muss, ob er die Mittel für einen größeren Transfer bewilligen will. In dem 6-köpfigen Rat ist die Meinung geteilt, eine Abstimmung würde wohl 3:3 ausfallen, der Transfer käme nicht zustande. Diese Information dringt nach draußen (alles dringt nach draußen) und sie gelangt an den Berater des Spielers, über dessen Transfer entschieden werden soll. Nun kennt dieser Berater eines der Aufsichtsratsmitglieder (dich) und weiß, dass dieses Mitglied gegen einen Transfer stimmen würde. Also wird ein Anruf getätigt und dem AR-Mitglied wird dezent mitgeteilt, dass es sein Schaden nicht sein soll, wenn es seine Meinung ändert und für den Transfer stimmt.

Das Mitglied des AR (du) überlegt und denkt sich: „Eigentlich macht dieser Transfer doch Sinn. Der Spieler ist noch relativ jung und hat in der Vergangenheit auch schon gute Leistungen gezeigt. Ok, der Preis ist etwas hoch, aber so ist nun mal der Markt. Ich denke, ich stimme für den Transfer“. Gesagt, getan. Bei der entscheidenden Abstimmung gibt der Aufsichtsrat mit 4:2 Stimmen die Millionen für den Transfer frei, der Spielerberater erhält einige Hundertausend Euro an Provision und der bestimmte Rat (du) eine Plastiktüte voller Hundert Euro-scheine.

Fall 2:

Stellt euch vor, ihr seid der Cheftrainer. Die Saison neigt sich dem Ende zu, die Mannschaft steht irgendwo im Niemandsland der Tabelle. Plötzlich bekommt der Trainer (du) den Anruf eines Spielerberaters. Dieser Berater „erklärt“ dem Trainer (dir), dass sein Mandant seit einigen Wochen nur noch auf Bank oder Tribüne Platz nehmen darf und dies wäre ein Problem. Denn der Vertrag des Spielers läuft aus und für eine Vertragsverlängerung bzw. um sich für einen anderen Verein zu empfehlen, braucht der Spieler Einsatzzeiten. Also erklärt der Berater dem Trainer (dir), dass es sein Schaden nicht sein soll, wenn er den betreffenden Spieler in den letzten 5 Saisonspielen einsetzen würde. Pro Spiel würde es dem Trainer (dir) € 20.000 bringen, wenn der Junge spielt.

Der Trainer (du) denkt nun bei sich: „Eigentlich hat der Spieler in den letzten Wochen wirklich gut trainiert und sich im Training aufgedrängt. Rein sportlich spräche überhaupt nichts dagegen, ihn in den letzten (nahezu bedeutungslosen) Spielen in die Startelf zu stellen“. Gesagt, getan. Der Spieler spielt, der Spieler erhält einen neuen Vertrag und der Trainer (du) erhält in einer Plastiktüte die versprochenen € 100.000. Für den Berater ist das ein Fliegenschiss und der Trainer denkt sich, dass er doch keinem weh getan hat.

So. Und nun kann jeder Einzelne darüber nachdenken, was er getan hätte. Hätte man dem Ganzen widerstanden und moralisch gehandelt? Oder hätte man sich, wie das Aufsichtsratsmitglied oder der Trainer, die Geschichte schön geredet? Ich will diese „Verfahren“ in keinster Weise rechtfertigen bzw. entschuldigen, damit hier keine falschen Vorstellungen aufkommen. Aber sowas passiert und es passiert ständig. Die Frage, was richtig und was falsch ist, stellt sich vielen schon längst nicht mehr, sie ist durch eine andere Frage ersetzt worden. Sie lautet:

Was habe ich davon bzw. wie viel kriege ich dafür?

Oder man macht es so:

Die Vertragsverlängerung hat Lewis Holtby bereits im Mai erledigt: Trotz des Abstiegs bleibt der frühere Nationalspieler beim HSV, vorerst für ein Jahr. Mit dem Club aber wird der 27-Jährige noch länger verbunden bleiben – sogar sein Leben lang. „Wie stark ich mich mit unserem HSV mittlerweile verbunden fühle, möchte ich mit meiner lebenslangen Mitgliedschaft noch mal untermauern“, schrieb Holtby bei Facebook und veröffentlichte dazu ein Video, in dem ihm das entsprechende Mitgliedschaftspaket zugestellt wird.

Holtbys Mitgliedsnummer ist natürlich die seines Trikots: acht. „Fehlt eigentlich nur noch das Tattoo auf der Brust, oder?“, fragt Holtby, der seit vier Jahren beim HSV ist. Das ist dann wohl Geschmackssache.

Wie unfassbar peinlich ich diese PR-Aktion eines Spielers finde, bei dem der HSV die insgesamt 7. Station in 9 Jahren im Profi-Fußball darstellt, muss ich wohl kaum extra betonen. Aber natürlich fällt sie bei exakt den verblödeten Patienten auf fruchtbaren Boden, die bei den oben geschilderten Vorgängen grundsätzlich erklären: „Davon will ich eigentlich gar nichts wissen, ich interessiere mich nur für den Fußball“. Tja, so leicht kann man es sich natürlich auch machen, gell?