Nein, man muss nicht das Spiel des BVB gegen wirklich nicht schlechte Bayern als Maßstab nehmen, dieses Spiel war wohl eines der besten Bundesliga-Spiele der letzten Jahre. Und, by the way, die Mannschaft aus Dortmund repräsentierte einen Altersdurchschnitt, der fast 5 Jahre unter dem der Münchner lag. Akanji (23), Zagadou (19), Hakimi (20), Weigel (23), Sancho (18), Bruun-Larsen (20), das ist das wirklich beeindruckende an dieser Dortmunder Mannschaft, die an die frühen Klopp-Jahre erinnert und mit Lucien Favre auch den richtigen Coach verpflichtet hat. Aber, wie gesagt, das Spiel sollte nicht der Maßstab sein, er kann für den HSV in den nächsten 10 Jahren wahrscheinlich auch kein Maßstab sein.

Vielmehr kann (und sollte) man sich als Zweitligist mit einem Etat von knapp € 30 Mio. an anderen Teams aus der höchsten deutschen Spielklasse orientieren, ich nehme mal die potenziellen Absteiger Düsseldorf (Marktwert € 41,95 Mio.), Nürnberg (Marktwert € 49,93 Mio.) ebenso als Beispiel wie den aktuellen Tabellenletzten aus Stuttgart (Marktwert € 165,30 Mio.). Der aktuelle Marktwert des HSV-Kaders liegt bei € 56,95 Mio., wobei man beachten muss, dass allein die ausgeliehenen Spieler Mangala (€ 2,5 Mio.), Lacroix (€ 1,75 Mio.) und Hwang (€ 7,5 Mio) knapp € 12 Mio. des Marktwertes vereinen. Hinzu kommen die Marktwerte der Spieler, deren Verträge am Ende der Saison auslaufen. Holtby (€ 2,5 Mio.),  Samperio (€ 1,5 Mio.), Jatta (€ 0,5 Mio.) und Lasogga (€ 2,5 Mio.), macht zusammen nochmal € 7 Mio. Bliebe am Ende also eine Mannschaft mit einem Marktwert von ca. € 37 Mio.  (Fiete Arp allein € 7,5 Mio.)

Mit anderen Worten: Im Falle eines Aufstiegs (und davon gehe ich aus), hat der HSV einen Kader von 24 Spielern, einen Marktwert von knapp € 37 Mio. und eigentlich keinen Cent für Verstärkungen, im Gegenteil. Denn eigentlich müsste Sportchef Becker angesichts der prekären finanziellen Situation noch Transfergelder generieren. Ich weiß, was nun einige Strahlungsopfer entgegnen werden. „Ach was, das hat immer irgendwie geklappt, Hoffmann wird schon was einfallen“. Tatsächlich? Was denn genau? Hauseigene Gelddruckmaschine im Keller?

Aber, wie gesagt, dies ist nur die eine Seite der Medaille, denn eigentlich wollte ich heute auf etwas Anderes hinaus. Betrachtet man ein normales Spiel der Bundesliga (z.B. Freiburg gegen Mainz), so muss man erkennen, dass die gesamte 2. Liga und eben auch Tabellenführer HSV Lichtjahre von dem Leistungsniveau dieser durchschnittlichen Spiele entfernt ist. Wirklich alles, sei es Tempo, sei es Ballsicherheit, sei es taktisches Verständnis, sei es technische Abläufe, alles ist in der zweiten Liga nicht eine, sondern teilweise mehr als zwei Klassen qualitätsärmer. Stand heute würde ich beim HSV, der mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem Trainerwechsel diese zweite Liga dominieren wird, maximal die Spieler Pollersbeck, Douglas Santos und Mangala als Bundesliga-tauglich einstufen, alles andere ist größtenteils Zweitliga-Durchschnitt. Und wenn jetzt jemand mit den Namen Hunt, Holtby oder Lasogga kommen möchte….

….mit Hunt und Holtby ist der HSV abgestiegen und Lasogga war nicht mal für die zweite englische Liga gut genug. Für eine 2. Liga in Deutschland, die von ihrer ausgeglichenen Unter-Durchschnittlichkeit lebt, mag das reichen, für die Bundesliga nicht. Und auch hier wird deutlich, was Dietmar Beiersdorfer (#DankeDidi) dem Verein in seinen Jahren als Vorstandsvorsitzender angetan hat. Hatte der HSV bei seinem Amtsantritt noch einen Kaderwert von mehr als € 100 Mio., kommt man heute inklusive der ausgeliehenen Spieler auf ca. die Hälfte, nachdem „Dukaten-Didi“ mehr als € 120 Mio. in den Kader investierte und verbrannte. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.

Wobei – eines sollte man auch nicht vergessen: Der damalige Aufsichtsrat mit den Herren Gernandt, Becken, Bönte, Goedhart, Meier, Nogly/Peters ist in höchstem Maße mitverantwortlich für den Abflug des Vereins. Wenn man als Kontrollgremium einen Vorstand derart fuhrwerken lässt und nicht einschreitet und seiner Aufsichtspflicht nachkommt, kann man nicht so einfach in der Versenkung verschwinden. Ich jedenfalls werden die Namen dieser Herren nicht vergessen.

Wie der Ausweg aus diesem Dilemma aussehen soll? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie es Becker schaffen sollte, ohne Geld den Kaderwert der Mannschaft auf ein Niveau zu heben, welches dem HSV erlaubt, mehr als eine Fahrstuhlmannschaft zu werden. Ich weiß nicht, was Trainer Wolf machen sollte, um aus Spielern wie Vagnoman, Pfeiffer oder Ambrosius Bundesligaspieler formen zu können. Ich weiß nur, dass die eigentlichen Herausforderungen an Vorstand und Trainer erst jetzt beginnen, denn der Qualitätsunterschied zwischen einer guten Zweitliga-Mannschaft und einer Truppe, die dauerhaft in der Bundesliga existieren kann, ist gigantisch.

P.S. Hochinteressantes Interview zum Thema „Football Leaks“ und der fehlenden Empörung in der Stuttgarter Zeitung.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.football-leaks-der-aufschrei-als-geschaeftsmodell.36ded75c-157d-4f2d-97fe-ed5e6fa1b5b4.html

Herr Heil, die Football Leaks belegen, wie groß die Gier und die Skrupellosigkeit von Spielern, Beratern und Funktionären sind. Warum gibt es keinen Aufschrei der Empörung?

Es besteht für die Fans überhaupt kein Grund für einen Aufschrei. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Sogar der Aufschrei der Fans gehört zum Geschäftsmodell des Fußballs. Der Sport ist – aus der Sicht der Fans jedenfalls – zuallererst eine Unterhaltungsmaschine. Die Moralität der Akteure, zumal der Akteure im Hintergrund, spielt dabei überhaupt keine Rolle.