Es ist viele Jahre her, naja, so ungefähr 25 oder so. Ich arbeitete damals in der Anzeigenabteilung der Zeitschrift „AutoBILD“ und nahm im Zuge meiner Tätigkeiten und meiner Karriere-Entwicklung ab und an auch an sogenannten Verlags-Konferenzen teil. Zu diesen Zeiten gab es kein Internet, keine Mails und natürlich auch keine Anzeigenkrise in den Printmedien, aber eine Konkurrenzsituation gab es durchaus. Der damalige Chef-Redakteur der Zeitschrift hieß Peter Felske, von anderen und sich selbst grundsätzlich nur „PeFe“ genannt. Felske war einer der Mitgründer dieses Magazins und ich hatte das große Glück, dass dieser Journalist das Blatt noch zu der Zeit leitete, als ich dort versuchte, Anzeigen zu verkloppen. Aber weiter im Text und zurück zur Verlagskonferenz.

Anwesend bei diesen wöchentlich stattfindenden Konferenzen waren der Verlagsleiter (damals Klaus Kilian, heute erfolgreicher Buchautor und Australien-Kenner), der Vertriebsleiter (Norbert Laband), der Werbeleiter (Schmiedeberg), die Marktforschung, zumeist ein Ressortleiter und eben der Anzeigenleiter oder sein Vertreter, also ab und zu ich. Als kommissarischer Anzeigenleiter erlebte ich diese göttlichen Meetings dann regelmäßig für einige Monate. Nun war es gute Sitte, dass jeder Fachbereichsleiter ein kurzes Statement aus seinem Bereich abgab und dem Verlagsleiter präsentierte, dazu musste man gut präpariert sein, denn Kilian stellte kluge Fragen und es war besser, wenn man darauf auch kluge Antworten hatte.

Anyway, es passierte mehr als einmal, dass sich Klaus Kilian während der Sitzung mit leidendem Blick an seinen Freund und Chefredakteur Peter Felske wand und sagte: „Peter, muss denn das wirklich sein? Kannst du das nicht anders machen? Irgendwie ein wenig freundlicher?“ Und jedesmal gucke ihn PeFe in seiner knorrigen Art an, wischte die Argumente des kaufmännischen Leiters des Blattes beiseite und entgegnete: „Klaus, wenn die ein Scheiß-Auto bauen, schreibe ich – die bauen ein Scheiß-Auto. Ich schreibe nicht, die bauen ein nicht so gutes Auto. Außerdem schreibe ich ja auch, dass sie ein gutes Auto bauen, wenn sie es tun. Basta“ Kilian argumentierte dann immer (auch in meinem Sinne als Anzeigenmann), dass die größten Kunden (und das waren natürlich die Autohersteller) nicht besonders begeistert sind, wenn man schreibt

Der Suzuki Vitara -das japanische Teesieb

oder

FIAT – Fehler in allen Teilen

und die Antwort von Felske war immer die gleiche: „Klaus, ich mache ein Blatt für die Leser, nicht für die Anzeigen-Fuzzis. Wenn meine Leser merken, dass ich ihnen Mist erzähle, kaufen sie nicht mehr. Willst du das?“

Natürlich wollte Kilian das nicht, er wollte Beides, aber Beides gab es nicht. Es gab eben nicht zufriedene Leser, die die Wahrheit über die Karren bekamen und zufriedene Anzeigenkunden, denen ihre Mist-Autos hübsch geschrieben bekamen.  Also kam grundsätzlich, was kommen musste – nach jedem ehrlichen Artikel über eine Fehlkonstruktion wurden von dem betroffenen Autohersteller Anzeigen im Wert von mehreren Hunderttausend Mark storniert und Kilian zitterte um seine Bilanz. Das Lustige aber war, dass diese Stornos immer nur von kurzer Dauer waren, sozusagen als Warnung, aber zwei Wochen später wurden sie wieder eingebucht?

Warum? Weil sich das Blatt den Ruf erworben hatte, einigermaßen unbestechlich zu sein und jeder wusste es. So wurde Mercedes genauso behandelt wie Mazda und BMW kam nicht besser weg als Kia. Natürlich mochten die Hersteller nicht, wenn eines ihrer Modelle zerrissen wurde, aber sie wussten, dass es der Konkurrenz nicht besser ergehen würde, wenn sie schlechte Arbeit abliefern würde. Anderes Beispiel?

Ein damals guter Freund von mir war Test-Redakteur und er war einer derjenigen, der den legendären Elch-Test mit der damals neuen Mercedes A-Klasse durchführte. Die Älteren werden sich erinnern, der Wagen kippte während eines Ausweichmanövers (eben der erwähnte Elch-Test) um und wurde beschädigt. Ganz im Sinne von AutoBILD wurde darüber berichtet, dem sehr guten Kunden Mercedes entstand ein Millionenschaden, weil sie in allen Fahrzeugen der A-Klasse das ESP nachrüsten mussten. Dieser Test fand im hohen Schweden statt und außer den Redakteuren war niemand anderes anwesend. Nun hätte man diesen Unfall nicht publizieren müssen, man hätte das Ergebnis an Mercedes melden und sich einen weißen Fuß machen können. Nach dem Motto: „Wir wissen was, aber weil wir eine so gute Geschäftsbeziehung haben (Zwinker), bringen wir es nicht. Eure Freunde von der AutoBILD“.

Passierte aber nicht. Felske brachte die Geschichte und Mercedes hatte das Problem. Warum? Weil Felske sich seiner Verpflichtung als Journalist bewusst war und die Wahrheit über die Kohle stellte. Weil er ein journalistisches Produkt für denjenige herstellte, für den es gedacht war und nicht für diejenigen, die sich anhängten. Keine Ahnung, ob sowas heute noch in dieser Form möglich ist, aber auch in den 90er Jahren war diese Art des Umgangs mit Kunden nicht Vergnügungssteuer-pflichtig. Aber es war richtig und es war wichtig. Denn eines ist mal klar: Hunderte von Blätter, die es anders gemacht haben, sie längst wieder vom Markt, aber die AutoBILD gibt es immer noch und ich bin froh, in meinem Leben einen Journalisten wie Peter Felske kennengelernt zu haben.