Für mich gehört zur goldenen Regel eines Erwachsenen: Überprüfe dich regelmäßig selbst. Schaue nach, was du in der Vergangenheit gesagt und getan hast und gleiche diese Erkenntnisse mit dem Jetzt-Zustand ab. War es richtig, das so oder so zu machen bzw. zu sagen? Würde ich es heute anders machen und wenn ja, wie? Und vor allem: Was lerne ich daraus? Für jemanden, der regelmäßig oder unregelmäßig publiziert, gilt dies eher noch mehr als für andere Menschen, weshalb ich in Fällen wie dem von Auftragsschreiber Pegelow auch komplett aus der Haut fahre. Für mein Empfinden bzw. in meiner Welt hat man als Journalist eine Pflicht, man ist der Wahrheit verpflichtet, beinahe so, wie ein Arzt dem hippokratischen Eid verpflichtet ist. Aufgrund von journalistischen Artikeln wurden Leute gefeuert, Präsidenten entlassen, Regime gestürzt und Firmen gingen pleite. Will man als Journalist die Verantwortung auf sich nehmen, durch schlampiges Arbeit oder durch die Verbreitung der Unwahrheit Schicksale beeinflusst oder Karrieren zerstört zu haben?

Also, zum Zwecke der Selbstüberprüfung gucke ich des Öfteren in alte Blogs, teilweise lese ich Sachen nach, die ich vor mehreren Jahren geschrieben habe. Bei diesen Gelegenheiten stolpere ich schon automatisch über eigene Bewertungen von Spielern und Offiziellen, über Prognosen und Aussichten. Von mir selbst kann ich allerdings behaupten, dass meinen Schlussfolgerungen diverse Arbeitsvorgänge vorausgehen, ich schaue mir die Leute im Rahmen meiner Möglichkeiten schon etwas genauer an, bevor ich mein Urteil fälle. Und nein, dies soll wirklich kein Blog zum Zwecke der Selbstbeweihräucherung sein, es ist eher die Erkenntnis, dass es Dinge gibt, de ich einfach nicht verstehe und auch nicht verstehen will.

Ich könnte jetzt anfangen, wahrscheinlich 20 bis 50 Beispiele zu nennen, wer Spaß und Zeit hat, kann sich die Arbeit selbst machen. Also einige wenigen:

Beispiel Papadopoulos: Vor seiner Verpflichtung habe ich auf seine Verletzungshistorie ebenso hingewiesen wie auf die Tatsache, dass ihn sowohl Schalke, wie auch Leverkusen und dann Leipzig unbedingt loswerden wollten. Der HSV blätterte überlieferte € 6,5 Mio. auf den Tisch (die noch nicht komplett bezahlt sind) und das Resultat sieht man heute.

Beispiel Hunt: Ich habe beizeiten geschrieben, dass ich den Spieler für durchaus technisch beschlagen halte, aber seine besten Zeiten seien vorbei und auch bei ihm spricht seine gesundheitliche Vergangenheit gegen ihn. Und noch eines: Hunt war weder in Bremen noch beim VfL Wolfsburg ein Spieler, der vorangeht. Er war immer einer aus der Mannschaft, aber garantiert kein Lautsprecher und auch kein Leitwolf. Der HSV nun stattet ihn nicht nur mit einem Vertrag bis zu endgültigen Invalidität aus, er soll im Anschluss auch noch mindesten zwei Jahre im Verein „eingebunden werden“. Hunt! Als was denn bitte?

Diese Liste ließe sich unendlich weiterführen. Über Beiersdorfer, den ich Herrn Rieckhoff ausreden wollte, über Kreuzer, an dessen Befähigung für die Bundesliga ich vor seiner Vertragsunterschrift gezweifelt haben, an Käufen wie van der Vaart (das zweite Mal), Sobiech, Lasogga, Behrami, Müller, Djourou, Olic!, Kostic (für € 14 Mio.), Walace, Halilovic, Hahn, Celber Reis, Salihovic und besonders an katastrophalen Verkäufen. Ich hatte es damals als absoluten Irrsinn beschrieben, Heung-Min Son für lächerliche €10 Mio. nach Leverkusen ziehen zu lassen, ich hätte auch Hakan Calhanoglu nicht verkauft. Der absolute Wahnsinn war dann der Verkauf von Eigengewächs Jonathan Tah für oberpeinliche € 7,5 Mio., damit man sich Brummkreisel Lewis Harry Holtby leisten konnte. Ebenso hatte ich den Verkauf von Milan Badelj bemängelt und die Herren für den Verkauf von Kerim Demirbay an die Wand genagelt. Und ich hätte auch Michael Gregoritsch nicht verkauft. Es ist alles nachzulesen.

Ebenso hatte ich bereits vor seiner Wahl zum eV. Präsidenten geschrieben, dass Hoffmann binnen kürzester Zeit Aufsichtsrats-Chef später erneut Vorstandsvorsitzender werden würde. Wollte keiner glauben.

Mit Prognosen wie diesen geht man ein gehöriges Risiko ein, denn in Zeiten des Internet ist bekanntlich alles zu recherchieren und man kann relativ schnell auf dem Arsch landen. Aber, was mich betrifft – wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann schreibe ich sie auch. Ich hatte einmal davon berichtet, dass ich vor ca. 4 Jahren mehrere Mails mit Herrn Kühne ausgetauscht hatte. In meiner zweiten Mail (liegt mir noch vor) habe ich ihm über jede Führungsfigur beim HSV ein Kurz-Dossier zur Verfügung gestellt. Beiersdorfer, Gernandt, Hilke, Knäbel, Struth usw. Ich habe diese Mail vor einigen Tage nochmal gelesen, ich habe nachbetrachtet mit jeder Silbe richtig gelegen. Aber all das erfüllt mich nicht mit tiefer Befriedigung, sondern vielmehr mit Trauer und Verzweiflung, deshalb auch die Überschrift.

Denn wenn jemand wie ich, ein Amateur, einer, der seine Information lediglich über Lektüre und Gesprächen mit Dritten bezieht, zu diesen Schlussfolgerungen kommen kann, warum können es dann die Entscheidungsträger im Verein nicht? Wie kann es dann sein, dass man immer und immer wieder derart danebenliegen kann, wenn man ein Heer von Sportchefs, Video-Analysten, Scouts etc. beschäftigt, die Millionen kosten und denen ganz andere Ressourcen zur Verfügung stehen als mir? Sehe ich etwas, was andere nicht sehen? Nein, das kann nicht angehen. Jemand, der einen Spieler, der mehrere Millionen kostet und im Anschluss mehrere Millionen verdienen wird, kaufen will, muss diesen Menschen doch komplett durchleuchtet haben. Wenn ich für einen Filip Kostic € 14 Mio. auf den Tisch lege, dann weiß ich als Sportchef vorher, wie der zweite Vorname seiner kleinen Schwester lautet und welche Kinderkrankheiten er gehabt hat.

Also, wie kann das angehen? Wie kann man zwischen 2014 und 2018 insgesamt € 122,3 Mio. in neue Spieler investieren und in über 90% der Fälle komplett danebenliegen? Wie kann ich es als Verein schaffen, in einer Saison insgesamt 4 Cheftrainer bezahlen zu müssen, um dann eventuell doch nicht aufzusteigen? Wie kann ich zulassen, dass ein selbsternannter Nachwuchsguru in 4 Jahren insgesamt € 32 Mio. in einem für mehr als € 10 Mio. errichteten Campus verschleudert und nicht einen Spieler ausbildet, bei dem es für die zweite Liga reicht? Warum kann bzw. konnte ich kleine unwichtige Blogwurst das sehen, aber die Leute, die exakt dafür Hunderttausende kassieren konnten das nicht? Das kann doch nicht sein.

Eines noch.

Unmittelbar nach dem Abstieg bekam ich das Angebot, ein Buch zu schreiben. Einer meiner größten Träume war im Begriff, wahr zu werden. Dann aber erhielt ich vorab den Autorenvertrag und ich habe abgelehnt. Zum Einen, weil mir 6 Wochen für insgesamt 280 Seiten zu kurz erschienen, um tatsächliche Qualität abliefern zu können. Zum Zweiten, weil ich mich am Ende mit dem Thema nicht anfreunden konnte. Ich hätte das oben abgebildete „HSV Mutmachbuch“ schreiben sollen, aber weil ich grundsätzlich ehrlich bin, wären mir keine 34 Gründe, sondern vielleicht zwei oder drei eingefallen, wenn ich mir denn Mühe gegeben hätte. Aber natürlich hätte ich das Buch schreiben können, aber das wäre dann nicht mein Buch gewesen. Ich hätte gegen meine Überzeugung arbeiten und lügen müssen und das war mir das bisschen Geld nicht wert.