Ich kann mich noch gut an das Jahr 2014 erinnern. HSVPLUS. Mitgliederinitiative. Ausgliederung. „Das ist auch mein HSV“. Das Volk begehrte auf und gewann, zumindest für ein paar Minuten. Die ausgerufenen Ziele lauteten

1.Auf den Nachwuchs setzen

2. Schulden abbauen

3. Nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt

4. Strategische Partner einbauen

5. Langsamer, systematischer Neu-Aufbau

Nur wenige Wochen und einen Vorstandsvorsitzenden Beiersdorfer später war alles Makulatur. Es wurden teure Altstars geholt, es wurde Mond-Gehälter bezahlt, unter denen der Verein noch heute leidet. Es wurden keine strategischen Partner eingebunden, sondern die Seele wurde an den sogenannten „Gönner“ verschleudert. Nichts von all dem, wofür so viele Menschen so leidenschaftlich gekämpft hatten, wurde umgesetzt, im Gegenteil, es wurde mit Füßen getreten. Und? Gab es einen Aufschrei der Entrüstung? Gab es Proteste? Einen Scheißdreck gab es. Leute wie ich, die ebenfalls für HSVPLUS gekämpft hatten und die auf diesen Verrat aufmerksam machten, wurden niedergepöbelt. „Nur mit Jungen geht es nicht“ hieß es, obwohl andere Verein vormachten, dass es sehr wohl geht. Aber anstatt aufzubegehren, wanderten die Lemminge zusammen mit Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam Richtung Abgrund.

Es kam das Jahr 2018. Man hatte ein Team, das zwar Namen repräsentierte, aber im Abkassieren stärker war als auf dem Platz und die logische Folge lautete: Abstieg. Der erste Abstieg der Vereinsgeschichte. Beiersdorfer und seine Spießgesellen hatten es tatsächlich geschafft, aus einer Revolution ein Desaster zu machen, ein Verein in Trümmern. Hoch-verschuldet, der Insolvenz näher als dem nächsten Trainingslager, hoffnungslos. Und? gab es sowas wie Empörung? Haben sich die Dauerkarten-Inhaber gewehrt? Mitnichten! Es folgte eine sogenannte „Abstiegs-Euphorie“. Jetzt erst Recht, wir kommen wieder. Es muss nun Schluss gemacht werden mit den teuren Spielern und man muss endlich auf den Nachwuchs setzen.

Gesagt, getan. Man setzte. Allerdings in gewohnter HSV-Manier eben nur oberflächlich und als Fassade, denn die wirklich Jungen, vor allem die aus dem eigenen Nachwuchs, spielten so gut wie nie. Die Herren Hoffmann und Becker erzählten zwar jedem, der es hören wollten, wie jung doch der Kader sei, aber bei genauem Hinsehen war alles nur eine gigantische Show, eine Verarsche im HSV-Style. Einige Sportchefs und Trainer später passierte das, was passieren musste – der direkte Wiederaufstieg wurde verpasst. Und? Irgendeine Reaktion der Hüpfer? Irgendeine Erkenntnis, dass man mal wieder beschissen wurde? Null! Zero! Stattdessen wurde eine Mannschaft von Verlierern am Ende der Saison noch abgefeiert.

Und jetzt? Jetzt wird mal wieder alles anders gemacht. All die Jungen, die Hoffnung auf bessere Zeiten machen sollten, fliegen wieder raus und werden durch 30-jährige Brasilianer von Bundesliga-Absteigern und 28-jährige Zweitligastürmer ersetzt. Der Altersschnitt wird rapide erhöht, das Konzept mit dem eigenen Nachwuchs wird nach nur einer Saison wieder über Bord geworfen, den Campus könnte man im Grunde wieder abreißen. Und? Irgendeine Reaktion vom harten Kern? Natürlich nicht! Der Schlingerkurs der letzten 15 Jahre wird nicht nur kommentarlos hingenommen, er wird noch verteidigt. Wenn man darauf hinweist, was passieren wird, wird man bedroht. Dabei ist bereits jetzt zu erkennen, was kommt. Der HSV wird wieder nicht aufsteigen, ist dann aber im Besitz einer Mannschaft, die weniger als Null Wiederverkaufswert repräsentiert. Oder glaubt jemand, dass sich im Jahr 2020 irgendein Verein für die Herren Hinterseer, Ewerton oder Kittel interessiert? Mit Sicherheit nicht.

Aber über solche Sachen möchte der gemeine Rumpelnicki nicht nachdenken, ist er doch viel zu beseelt von den Lobgesängen der üblichen Hofberichterstatter, die ihr gewohntes Juni-Mantra anstimmen, bei dem alles absolut genial wird, der neue Trainer (Name ist beliebig austauschbar) macht absolut alles richtig und ist der ultimative Heilsbringer. Der neue Sport-Vorturner hat Ideen, die keiner vor ihm je hatte und die neuen Knorpel-Patienten werden bis zum 35. Lebensjahr ohne Probleme Höchstleistungen bringen. Same procedure….

Sie lernen einfach nicht dazu. Sie wollen auch nicht lernen, sie wollen beschissen werden. Schönes Beispiel: Kinsombi. Da erfindet der Kicker einfach mal eine Geschichte, nach der der neue Mittelfeld-Superstar einen Teil der Ablösesumme selbst bezahlt hätte. Natürlich ist der betreffende Redakteur nicht morgens aufgewacht und hatte eine Eingebung, er bekam diese Info vom Verein, der im Anschluss auch nicht dementierte, im Gegenteil. Nun, einige Wochen später stellt sich alles als eine riesengroße Lügengeschichte in guter Fiete Arp-Manier heraus, aber wenn man es als das benennt, was es ist, wird man beleidigt. Anstatt einer absolut gerechtfertigten Empörung, dass man mal wieder von Verein und Medienpartnern beschissen wurde, wird diese Aktion auch noch verteidigt. „Ist doch jetzt egal, der Spieler ist doch jetzt hier. Man muss auch nicht immer nur zurück gucken“. 

Und dann wundern die sich, dass sich nie etwas ändern wird. Sie werden belogen und betrogen, aber da sie keine Reaktion zeigen, werden sie auch in Zukunft belogen und betrogen. Eben weil sich die Granden so sicher sein können, dass sie keine Konsequenzen zu befürchten haben. Nach jeder Saison wird das gerade gescheiterte Konzept umgeworfen und die nächste Sau wird für ein paar Millionen, die man nicht hat, durchs Dorf gejagt. Nicht etwa, weil es Sinn macht, sondern weil man den Anhängern suggerieren möchte, dass man etwas anders macht. Und anders als erfolglos muss ja zwangsläufig gut sein.

Vielleicht werde ich es in den nächsten Tagen tatsächlich mal machen, vielleicht werde ich vorab eine Chronologie der nächsten Saison im Voraus schreiben. Warum? Weil es klar ist, was passieren wird.

Ein Letztes. Am Samstag hatte ich ein Treffen meines Abi-Jahrgangs, wieder einmal ein sensationeller Abend. Im Verlauf des Tages kam man natürlich irgendwann auch auf das Thema HSV und ich bekam einige Fragen gestellt. Erste Frage: „Und? Geht jetzt wieder aufwärts?“ Meine Antwort: „Nein“. Mein Gesprächspartner war erschüttert. „Aber warum denn nicht, sie haben doch jetzt gute Leute geholt“. Meine Antwort: „Welche guten Leute?“. Der HSV-Fan unter meinen Schuldfreunden überlegte kurz: „Naja, der Boldt soll doch ein guter Mann sein“. Meine Antwort: „Woher weißt du das?“ Die einigermaßen zügige Erwiderung:

„Das stand doch in der Zeitung“.

Ich hatte gerade noch so viel Kraft, dass ich Mario auf das Buch „Football Leaks“ hinweisen konnte, welches er natürlich nicht kannte. Zu mehr reichte es nicht mehr.