Das System kollabiert…

Nun also doch. Nachdem man tagelang rumgeeiert war, nachdem man der deutschen Eishockey-Liga, der deutschen Basketball-Liga, den Biathleten und Skispringern dieser Welt und am Ende sogar der NBA und der Formel 1 den Vortritt gelassen hatte, erklärte man seitens der DFL zuerst eine Unterbrechung der Bundesliga und der zweiten Liga bis zum 2. April, bevor man dann im Laufe des gestrigen Tages auch die anstehenden Geisterspiele von Freitag bis Montag abblies. Keine Sekunde zu früh, aber um Tage zu spät. Dann am Ende demaskierte sich der bezahlte deutsche Fußball einmal mehr, besonders wenn man an die Stimme des Meinungs-Vorreiters Karl-Heinz Rummenigge denkt, der da meinte: 

“Es geht am Ende des Tages auch im Profifußball um Finanzen. Wenn die ausstehende Zahlung der TV-Broadcaster ausbleiben, bekommen viele kleinere und mittlere Klubs Liquiditätsprobleme. Es steht ein größerer dreistelliger Millionenbetrag für die 1. und 2. Liga im Feuer.”

Nein, lieber Herr Rummenigge, es geht um Leben. Aber um so entlarvender ist diese Aussage, wenn man sie im Brustton der Überzeugung äußert. So furchtbar dieses Virus ist, so schnell diese Krise gemeistert werden muss, so deutlich zeigt sie aber auch, wohin die Reise, in allen Lebensbereichen, über so viele Jahre gegangen ist. Geld, Geld und nochmals Geld. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und sie zeigt eben auch auch, wie fahrlässig und oberflächlich viele Klubs in den letzten Jahrzehnten gearbeitet haben. 

Dortmunds Geschäftsführer Watzke:  “Wir müssen das jetzt alle gemeinsam solidarisch tragen und am Montag die entsprechenden Ableitungen diskutieren. Gleichwohl gilt – auch abhängig von dem, was am Montag beschlossen wird -, dass sich der deutsche Profi-Fußball in der größten Krise seiner Geschichte befindet. Ich hoffe, dass die Bundesliga-Klubs in den vergangenen Jahren so viel Substanz gebildet haben, dass alle diese Krise überstehen. Eine existenzielle Gefährdung von Borussia Dortmund ist nach allem, was wir heute einschätzen können, auszuschließen.”

Da muss man doch mal nachhaken, oder? Denn immerhin reden wir zur Zeit noch vom Ausfall von exakt 2 Spieltagen, oder? Der aktuelle Spieltag (26.) und der nächste (27.) sind zur Zeit abgeblasen, ab dem 2. April soll nach den heutigen Plänen wieder gespielt werden, der 28. Spieltag beider Ligen fängt am 3. April an, dazwischen war eine Länderspielpause eingeplant. Wir diskutieren also, Stand heute, über den Ausfall zweier Spieltage und das bringt Vereine, die nicht Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen oder Wolfsburg heißen, bereits an den Rand des Kollaps? Bei aller Liebe, aber dann wird es allerhöchste Zeit, dass sich etwas grundlegend ändert. 

Einfach mal so gesponnen. Ein Verein wie der HSV nimmt bei einem Spiel wie gegen Bielefeld (ausverkauft) über den Daumen irgendwas zwischen € 1 Mio. und € 1,5 Mio. ein, bezahlt aber Herren wie Papadopoulos, Wood, Hunt etc. immer noch mehr als € 2 Mio. pro Jahr. Nebenbei leistet man sich einen Wasserkopf von mehr als 300 festen Mitarbeitern, der im Jahr auch mehrere Millionen verschlingen wird. Wenn nun zwei Spiele, von denen eines auch noch auswärts stattfindet, den HSV (und nicht nur den) in solche Nöte bringen sollte, dann läuft etwas unfassbar schief. Denn es zeigt, wie sehr diese Vereine von der Hand in den Mund gelebt haben, mit was für einer heißen Nadel die Finanzen von mehr als 80% aller deutschen Profiklubs gestrickt sind und vor allem auch, in welchem krassen Mißverhältnis die Einnahmen der Verein zu den Einnahmen der Spieler stehen. Anders ausgedrückt: Selbst kleinere Vereine leisten sich im Grunde Teams, die sie eigentlich gar nicht finanzieren können. 

Aber mal weiter gedacht. Wenn nun bereits zwei ausfallende Spieltage zur größten Krise in der Geschichte des deutschen Profifußballs führen werden, wie kriegt man die Kuh vom Eis. Doch bitte nicht dadurch, dass ab einem gewissen Zeitpunkt der Staat mit Steuergeldern, ähnlich wie bei der Bankenkrise, für in Not geratende Fußball-Millionäre und runtergewirtschaftete Vereine herhalten soll. Am Ende wird nur eine einzige Maßnahme, besonders dann, wenn es am 3. April doch nicht weitergehen sollte, die Vereine und den deutschen Fußball erhalten können: Verzicht. Verzicht und Solidarität. Und zwar keine falsche Solidarität in Form von Steuergeldern, sondern Solidarität und Verzicht von Fans und Spielern. Es geht gar nicht anders, die Fans müssen auf jegliche Regressansprüche oder Rückzahlungen verzichten, die Kohle ist weg. Aber das sollte eigentlich nicht so schwer fallen, denn immerhin geht es doch um ihren Herzensverein. Das Gleiche gilt für die Spieler, die immerhin ihre Gehälter bis zum 26. Spieltag schon bekommen haben. Sollte es keine Spiele mehr geben – Verzicht. Die Profis müssen, und es geht gar nicht anders, auf den Rest ihres Jahresgehalts verzichten. Auch hier: Sollte eigentlich nicht so schlimm sein, denn immerhin haben sie doch bis Mitte März das Emblem ihres Klubs beklopft und geküsst. Dann wird man doch wohl auch mal helfen können, wenn es dem Arbeitgeber an den Kragen gehen soll. 

Wenn Watzkes Mutmaßung stimmt, ist diese Krise ein echter Lackmus-Test. Ein Test dafür, wie tief die Verbindungen und Empfindungen innerhalb der großen glücklichen Fußballfamilie tatsächlich ausgeprägt sind. Diejenigen, die nicht zum Verzicht bereit sind, sollten sich im Anschluss nicht mehr Fans nennen. Aber wir sind noch nicht am Ende, Freunde. Denn zu diesem Zeitpunkt offenbart sich die Sinnlosigkeit einer Einrichtung, die viele als das ultimative Qualitätssiegel erkannt haben wollten: Die Lizenzierung durch die DFL. Wie oft habe nicht nur ich in den vergangenen Jahren auf die Sinnlosigkeit dieser Geschichte hingewiesen. Aber: Immer und immer wieder wurde entgegnet, dass der HSV doch eben locker die Lizenz erhalten hat und entsprechend kerngesund sei. Heute nun, mit möglicherweise nur zwei vorerst ausgefallenen Spielen, kann man sagen: Am Arsch.

Denn was war dieser gesamte oberflächliche Lizenzierungs-Prozess wert, wenn man nicht einmal die ausbleibenden Einnahmen aus einem einzigen Heimspiel überstehen kann? Diese Krise zeigt überdeutlich: Die Lizenz ist weniger als nichts wert. Sie impliziert weder gutes Wirtschaften noch Nachhaltigkeit, sie ist in ihrer Form flüssiger als flüssig. Aber vielleicht hat all das auch etwas Gutes. Vielleicht kommt man, wenn sich der Qualm gelegt hat, endlich einmal wieder zurück auf den Boden, sozusagen down to earth. Vielleicht versteht man, dass man in den letzten 20 Jahren zu viel falsch gemacht hat. Zu viele Spiele, noch ein Turnier, noch einen Wettbewerb, immer weiter wachsen, aber halt ungesund wachsen. Alles gehört ab sofort auf den Prüfstand, allen voran die Gehälter von Spielern, Trainern und Offiziellen. Das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben muss deutlich gesünder werden und bei wem es nicht gesund ist, der bleibt in Zukunft draußen. Das sollte das Ziel der Lizenz sein und nicht, ob man in der nächsten Saison seine Rechnungen, notfalls mit Hilfe eines Bürgen, begleichen kann. 

Der professionelle Fußball wird nach dieser Krise ein anderer sein, sein müssen. Vielleicht wird es sogar ein Fußball sein, für den ich mich wieder begeistern kann. Wer weiß? 

Noch was. Auf die Frage, was man als (Sport)-Journalist in diesen Tagen denn tun sollte, eine sehr intelligente Antwort von Professor Horky.

Von | 2020-03-14T07:54:04+01:00 1. März 2020|Allgemein|0 Kommentare

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