Also, ich glaube, jetzt habe ich es verstanden. Die Vögel dort in den Kurven, die sich unter die normalen Fans mischen, bei Bedarf bzw. nach Absprache sogenannte Doppelhalter mit Fadenkreuzen, meterlange Transparente mit übelsten Beleidigungen und anderes krankes Zeug aufhängen oder wahlweise mit 2000 Grad heißen Pyrofackeln Rechtsbruch begehen, sind der Meinung, dass sie es sind, die den „wahren“ Fußball verteidigen und am Ende retten werden. Nieder mit dem Kommerz, nieder mit der Kapitalisierung, nieder mit dem DFB, es lebe die Tradition. Ist ja cool. 

Tradition (von lateinisch tradere „hinüber-geben“ oder traditio „Übergabe, Auslieferung, Überlieferung“) bezeichnet die Weitergabe (das Tradere) von HandlungsmusternÜberzeugungen und Glaubensvorstellungen u. a. oder das Weitergegebene selbst (das Traditum, beispielsweise Gepflogenheiten, Konventionen, Bräuche oder Sitten). Tradition geschieht innerhalb einer Gruppe oder zwischen Generationen und kann mündlich oder schriftlich über ErziehungVorbild oder spielerisches Nachahmen erfolgen. (Quelle: Wikipedia.org)

Wir reden also in diesem Fall über die Weitergabe von Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, richtig? Und die überlieferten und transportierten Überzeugungen sagen, dass man den Kommerz und die Kapitalisierung des Weltfußballs scheiße findet, sich die Zeiten der Vereine im e.V.-Modus zurücksehnt, alle 9 Bundesliga-Partien am Samstag um 15.30 Uhr sehen möchte und am besten für 5 Mark in der Nordkurve stehen will. Um es an dieser Stelle vielleicht nochmal klarzustellen: Auch ich finde die Zersplitterung der Liga über die ganze Woche verteilt nicht gut und auch ich bin der Meinung, dass eine WM in Katar absolut krank ist, aber ich kann den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Und schon gar nicht kann ich die kommende Entwicklung aufhalten, indem ich mich kriminalisieren und mir mit Dietmar Hopp eine Person rauspicke und versuche, diesen fertigzumachen. 

Immer und immer wieder höre in im Zusammenhang mit diesen sogannnten „Protesten“ die Begriffe Tradtion und so. In Hamburg beispielsweise wird oft und gern das Bild des „großen HSV“ bemüht, der ja eine ach so wahnsinnige Tradition vorweisen kann und sich deshalb als groß empfinden kann. Lustigerweise war ich tatsächlich anwesend, als dieser „große HSV“ der letzte Mal einen Titel holte, ich war in Berlin dabei, beim 3:1 gegen den Zweitligisten Stuttgarter Kickers, am 20. Juni 1987! Der Spaß ist nun genau 33 Jahre her und um ihn einigermaßen bewusst mitbekommen zu haben, müsste man Anfang der 80er geboren sein und heute so um die 40 Jahre alt sein. Wenn ich mir nun aber die teilvermummten Gestalten angucke, die dort auf dem Zaun hängen, sind 98% von denen noch nicht mal halb so alt, wie bitte komme ich dann eigentlich auf den Gedanken, eine Tradition verteidigen zu wollen, die ich nur aus dem HSV-Museum kenne? 

Oder, um es mit anderen Worten auszudrücken: All diese Traditions-Begründungen, die Kommerzablehnung etc., all das ist Bullshit. Nichts als vorgeschobene Scheinargumente von irgendwelche irrlichternden Typen mit offenbar zuviel Tagesfreizeit. Jeder!!! von ihnen weiß, dass er RB Leipzig nicht rückgängig machen wird, jeder weiß, dass Dietmar Hopp ca. € 800 Mio. seines Privatvermögens für Dinge wie Krebsforschung und soziale Einrichtungen gespendet hat. Ich muss den Mann nicht auf einen Thron heben und ich muss ihn nicht mögen, aber ausgerechnet ihn nun als Belzebub des modernen Fußballs zu brandmarken, ist nicht nur zu kurz gesprungen, es ist auch vollkommen lächerlich. Aber, wie gesagt, darum geht es überhaupt nicht. 

Es geht vielmehr darum, dass sich junge Männer (oder solche, die es werden wollen) an den Rand dessen begeben wollen, was noch irgendwie durchgelassen wird. Wie weit können wir gehen, bis wir Konsequenzen zu befürchten haben? Wie weit können wir provozieren, zündeln, öffentliche Verkehrsmittel zerstören, andere Fans ins Krankenhaus prügeln, bis es endlich das längst verdiente Echo setzt, von wem auch immer. Wenn ich heute im Tagesspiegel lese, dass diese sogenannten Ultras ein „wichtiger Faktor sind, weil sie im Stadion inzwischen nahezu allein für die Stimmung auf den Rängen verantwortlich sind“, greife ich mir an die Birne. Wo genau ist es denn Stimmung, wenn man in Hamburg bei einem Spiel gegen Sandhausen 90 Minuten lang „Scheiß St. Pauli“ oder „Scheiß Werder Bremen“ hören darf, abgelöst von immer gleichen Ork-Gedröhne „Hamburg, Hamburger SV, hört die Kurve“. Kotz! Ich war 40 Jahre lang Fan, aber diese Opfer würde ich keine Sekunde vermissen. 

Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die Ultras sich einen Spaß daraus machen, den Verband zu provozieren. Am Sonntag waren nicht nur bei Union, sondern auch beim VfL Bochum in der Zweiten Liga Anti-Hopp-Transparente zu sehen. Das für die Geschehnisse in Sinsheim zuständige Polizeipräsidium Mannheim kündigte am Sonntag zudem an, wegen der Vorfälle auf den Rängen eine Ermittlungsgruppe zu bilden. (Quelle: Tagesspiegel.de)

Exakt so ist es und genau darum geht es. Man macht sich einen „Spaß daraus“, einem 79-Jährigen ein Fadenkreuz aufs Gesicht zu pinseln. Man macht sich einen Spaß daraus, ein Spiel bis zum Abbruch zu stören und es ist scheißegal, ob der eigene, ach so geliebte Verein, darunter leidet oder bezahlen muss. Man macht sich einen Spaß aus der permanenten Provokation und man lacht sich volltrunken tot über die Trottel, die immer noch glauben, es ginge um Tradition, Kommerz und eingetragene Vereine. Oder glaubt jemand, keiner der Zündelbrüder hat ein SKY-Abo? Oder keiner von denen guckt sich die nächste WM auf DAZN an? Denn all das dürften sie nicht, wenn sie es ernst meinen würden. 

Bei aller Liebe, aber diese Diskussion ist lächerlich. Man kann nur hoffen, Vereine, Verbände und Behörden behandeln diese Minderheit endlich als das, was sie ist. Kriminell und gefährlich. 

Zum Schluss….

das Letzte! Wo wir schon beim Thema „heucheln“ sind. 

Nachdem Gambias Nationaltrainer monatelang um die Gunst des HSV-Angreifers kämpfte, besuchte er ihn kürzlich in Hamburg. Ein Kennenlernen, das beide Seiten positiv aufnahmen. Das Debüt Jattas für das Nationalteam seines Landes ist aber nicht in Sicht. Vor wenigen Wochen nun folgte das erste Treffen in Hamburg, an dem auch Jattas Agent Efe Aktas teilnahm. Erneut versuchte der Trainer dem Angreifer Einsätze im Nationalteam schmackhaft zu machen, handelte sich aber eine Absage ein. Jatta erklärte ihm, dass er sich derzeit nur auf den HSV konzentrieren wollen und momentan nicht für Länderspiele zur Verfügung stehe. (Quelle: Mopo.de)

Was für ein billiges Schmierentheater. Herr Jatta/Daffeh wird schon seine besonderen Gründe haben, warum er nicht für sein geliebtes Heimatland spielen möchte.