….wenn sie in ihrer grenzenlosen Arroganz dazu überhaupt in der Lage sind. Während der Fußball-losen Zeit hatte ich bereits mehrfach darüber geschrieben, jetzt springen nach und nach die etablierten Medien auf den Zug auf. Natürlich nicht die, die unmittelbar mit am Tropf Profifußball hängen (Mopo, BILD, Abendblatt, Kicker, Sport1 etc.), sondern diejenigen, die sich Ehrlichkeit und Wahrheit erlauben können oder dies zumindest vermuten. Wir hatten das Thema „Fußball-Verdrossenheit“ bereits und wir hatten das Thema „Fußball-Müdigkeit“ so wie wir das Thema „schwindenden Zuschauerzahlen“ schon hatten. Nun taucht gestern im Stern der Artikel von Tim Sohr auf und er beschreibt das Verhalten und die Empfindungen eines Hardcore-Fans beim Anblick aktueller KSV-Spiele. 

Ich fragte ihn, wie das sein kann: Immerhin geht es für den HSV gerade um die Rückkehr in die Bundesliga, ein Ziel von nahezu existenzieller Bedeutung für den Verein. Da tut so ein unnötig verschenkter Sieg doch doppelt und dreifach weh! Oder? „Ich weiß nicht“, sagte mein Kumpel, „ich kann mich nicht aufregen, es ist mir irgendwie egal.“ (Quelle: Stern.de)

Diese Aussage stellt nicht nur die Underperformer aus Hamburg vor ein Riesenproblem, sondern die gesamte Blase Profifußball. Fußball ist Leidenschaft, Emotion, sich als ein Teil der Gemeinschaft empfinden. Wenn diese Dinge nicht mehr vorhanden sind, wenn sich echte Fans nicht mal mehr dann aufregen können, wenn ihr Verein unmittelbar vor Saison-Ende erneut den Aufstieg und die Zukunft zu verspielen droht, dann wird es mehr als gefährlich. Denn diese Gefühle sind nicht beliebig reproduzierbar, wer weg ist, ist weg und kommt auch nicht wieder. Es sind im Grunde die gleichen Empfindungen, die ich auch durchgemacht habe, insofern weiß ich genau, wie es diesem Fan geht. Nach den Relegationsspielen gegen Fürth war ich körperlich so am Ende, als hätte ich selbst gespielt, heute gucke ich mir die Spiele nicht mal mehr an. Sie haben mich verloren.

So gehe es ihm seit der Corona-Pause ganz grundsätzlich bei den Spielen seines Vereins – und damit bringt er eine Stimmung auf den Punkt, die ich innerhalb meines Freundeskreises zuletzt verstärkt beobachte: Das Niveau ist gut, moralische Bedenken haben sich dank des Hygienekonzeptes zerschlagen – aber trotzdem lässt uns der Fußball seltsam kalt. (Quelle: Stern.de)

Schon klar, was jetzt die Vermarkter unter den Hofberichterstattern erwidern werden. Das liegt nur an Corona, sobald die Stadien wieder geöffnet werden, sind sie alle wieder da. Aber genau das glaube ich eben nicht. Zum Einen hat sich, zumindest auf den KSV bezogen, die Ermüdungserscheinung schon länger eingenistet, wie man an den schwindenden Zuschauerzahlen ablesen kann. Zum Anderen wird der Fußball sogar in Zeiten seiner Monopol-Stellung abgelehnt, er ist definitiv irrelevanter geworden. Viele haben bemerkt, dass es ihnen auch ohne Bundesliga ganz gut gehen kann, vielen sogar besser. Hinzu kommt die Erkenntnis bei vielen Fans, dass sie eigentlich nur geduldetes Beiwerk sind, die Zusatzeinnahmen bringen, das dicke Geld (und damit den wichtigen Teil) bringen TV-Einnahmen, Werbung und Sponsoren. Die Erkenntnis der eigenen Entbehrlichkeit hat vielen gezeigt, wo sie für „ihre“ Vereine tatsächlich stehen. 

Ganz zu schweigen von der grundsätzlichen Erkenntnis aus der Ausnahmesituation, an die ein Fußballspiel vor leeren Rängen so radikal erinnert: dass es auf der Welt so viel wichtigere Dinge gibt als Fußball. (Quelle: Stern.de)

War Fußball vielleicht einmal die schönste Nebensache der Welt, so ist er inzwischen nur noch eine Nebensache. Das Problem für Vereine und Verbände: Für Nebensache gibt es nicht mehr diese TV-Gelder. Nicht mehr diese Sponsoren- und Ausrüsterverträge. Weitsicht war jedoch noch nie eine Stärke derjenigen, die sich binnen kürzester Zeit mit Hilfe des Fußballs die Taschen vollgestopft haben. Um die Zukunft sollen sich andere kümmern, die Nachfolger. Schade nur, wenn es keine Zukunft mehr gibt. Um diese Zukunft macht sich Visionär und Manager-Azubi „Bass“ Jansen weniger Sorgen.

Gut geschlafen hatte auch HSV-Präsident Marcell Jansen nicht. Doch nach einer sehr unruhigen Nacht präsentierte sich Jansen am Dienstagmorgen schon wieder analytisch-optimistisch. „Ich sehe einen großen Unterschied zur vergangenen Saison. Da hatten wir in vielen Phasen keine Antworten und haben häufig verdient verloren. Jetzt reden wir über die ärgerlichen Gegentore in der Nachspielzeit. Das ist inhaltlich ein riesiger Unterschied, deswegen bin ich weiterhin guter Dinge“, sagte Jansen am frühen Dienstag zum Abendblatt.

Der Typ hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun.