Um es gleich vorweg zu nehmen – ich bin auch Fan gewesen. Ich habe gefeiert und gelitten, ich habe getrauert und geträumt. Gerechnet, gegrübelt und gepöbelt. Aber vor allem habe ich immer eines gemacht, ich habe verteidigt. Ich als Fan, ich durfte mich über meinen Verein ärgern, aber anderen habe ich grundsätzlich untersagt, sich in irgendeiner Form negativ über meine Idole zu äußern. Und so sehr ich mich auch geärgert habe, ich habe immer nach sehr kurzer Zeit Erklärungen und Entschuldigungen gefunden, die mein Weltbild unterstützten. Waren es die Schiedsrichter, die in wirklich jedem Spiel, welches mein Verein nicht gewinnen konnte, schon vor dem Anpfiff gegen „uns“ eingestellt und im Zweifelsfall bezahlt worden waren. War es der DFB oder die DFL, die „uns“ aufgrund einer unendlich ungerechten Spielansetzung benachteiligt haben oder war es ein launischer Wettergott, der einfach nicht akzeptieren wollten, dass mein Lieblingsstürmer bei einer Außentemperatur unterhalb von 19 Grad nicht in Form kommen konnte. Ich war bereit, jeden Transfer zu feiern und jeden neuen Übungsleiter in die Hall of Fame zu transportieren, zur Not auf den eigenen Schultern. Aber ich habe erst sehr spät gemerkt, dass ich mit genau dieser Einstellung nicht die Lösung des Problems war, sondern einer der Hauptgründe. 

Für Vereine, Spieler, Musiker, Schauspieler und sogar Politiker sind Fans etwas wunderbares, weil sie nicht hinterfragen. Sicher, sie ärgern sich auch mal und finden vielleicht nicht alles, was ihr Götzenbild produziert, zum anbeten, aber sie zweifeln nie am Götzenbild als solches. Und vor allem springen sie in jede Bresche, die sich auftut und verteidigen, als wäre das Idol der eigene Ableger. Wer sich als Unabhängiger oder Kritiker mit einem Fan anlegt, kann nicht gewinnen. Warum? Weil Argumente nicht zählen. Der Fan will keine Argumente hören und er wird sie nicht gelten lassen,als Fans einer Sache bildet man eine Gemeinschaft. Gemeinsam für das Idol, aber vor allem gemeinsam gegen alle Zweifler und Kritiker, als Fan meint man grundsätzlich auf der richtigen, der guten Seite zu stehen. Die Tatsache, dass man seinem Idol damit keinen Gefallen tut, wird ignoriert, denn man verschafft ihm einen Freiraum für jeden Fehler, den er begehen möchte. Ich habe neulich eine kleine Geschichte erlebt, die ich kurz beschreiben möchte. 

Als Freund des Football (NFL) mag ich Coach Esume, der für Sat1 und ProSieben Maxx die Spiele der National Football League kommentiert und analysiert. Esume ist Hamburger wie ich und ist sogar im gleichen Krankenhaus geboren wie meine Tochter und ich, aber ich mag seine Art und ich finde, er hat extrem Ahnung von dem, was er erzählt. Neulich gab es eine Talkrunde auf Instagram zum Thema Rassismus und Esume erzählte von einem Vorfall aus der Schule seiner kleinen Tochter, bei dem die Buchstaben des Alphabets erklärt wurden und neben dem Buchstaben „N“ waren die Bilder eines Nashorns, eines Nagels und eines schwarzen Jungen abgebildet. Völlig zu Recht wurde hier darauf hingewiesen, dass dies aus bekannten Gründen absolut inakzeptabel sei. 

Am nächsten Tag meldete sich Coach Esume erneut und meinte, er wäre mit der Darstellung des ZDF (war Veranstalter der Talkrunde) nicht ganz glücklich war, weil seine Äußerungen bzgl. des Bildes aus dem Zusammenhang gerissen waren, kennt man ja von den Medien. Esume: „Da hat der Junge aus der Social Media-Abteilung wohl nicht zu Ende gedacht“. Okay, dachte ich mir dann, merkst du eigentlich, dass du gerade den selben Fehler begehst? Warum vermutest du als intelligenter und aufgeklärter Mensch, der völlig zu Recht Ungleichbehandlung anprangert, dass es sich bei dem Mitarbeiter dort um einen jungen Mann gehandelt haben muss? Kann in deiner Vorstellung nur ein männlicher Mitarbeiter in einer technischen Abteilung sitzen? Warum kann das keine junge Frau gewesen sein? Ich schrieb also einen Kommentar mit meinen Bedenken und was passierte?

Richtig, die Fans schritten ein. Nicht einer beschäftigte sich inhaltlich mit dem, was ich geschrieben hatte, denn darum ging es gar nicht. Ich hatte es gewagt, eine unbedachte Äußerung ihres Idols Esume zu kritisieren und das darf ich nicht. Die anschließenden Kommentare erspare ich euch, sie sind auch nicht lesenswert, aber ich denke, jeder weiß, worauf ich hinaus will. Der Fan ist der kostenlose Schutzschild des Idols, quasi ein selbstloser Bodyguard. In Zeiten der sozialen Medien ist es sogar so, dass sich der Fan Beifall von Seiten seines Idols erhofft, wenn er ihn selbstlos verteidigt. Leider merken die Fans nicht, wie sie benutzt werden, aber in den meisten Fällen wollen sie es auch gar nicht merken. Viel zu wohl fühlen sie sich in der Rolle des Verteidigers gegen die dunklen Künste. Möchte man etwas erreichen, egal auf welchem Weg, darf man sich mit Unterstützern nicht zufriedengeben, man muss sich Fans verschaffen. Bestes Beispiel der letzten Jahre ist der Widerling Donald Trump. Selbst Rassist und dumm wie 12 Meter Feldweg, ist es ihm gelungen, aus Wählern und Anhängern Fans zu machen. Und auch die merken nicht, wie sie für die falschen Zwecke mißbraucht werden, weil sie sich in ihrer Rolle als Leibwächter zu wohl fühlen. 

Begreifen wird man erst dann, wenn man kein Fan mehr ist, nicht mehr sein will oder nicht mehr sein kann. Wenn einem dann ohne die Fanbrille, ohne die Gemeinschaft der Gerechten auf brutalste Art und Weise auffällt, wofür man eine so lange Zeit leidenschaftlich gekämpft, gestritten und verteidigt hat. Man merkt, wie man beschissen und benutzt wurde und man merkt, dass man für die jahrelange Verarsche auch noch bezahlt hat. Verhängnisvoll: Die Rache enttäuschte Fans ist furchtbar, viel schlimmer als das, was Menschen veranstalten (werden), die kein Fanantiker waren. Irgendwie lustig finde ich immer, wenn ich irgendwo, auf irgendeiner Facebook-Seite oder in irgendeinem Blog oder Forum Stellungnahmen von Frustrierten lese, die in leicht abgeänderten Worten nahezu exakt das wiederholen, was ich die letzten 6 Jahre geschrieben habe. Mit dem einen Unterschied: Sie dürfen das und ich darf das nicht. Sie bekommen Beifall dafür, dass sie meine Gedanken und Ansichten reproduzieren, dabei waren sie es selbst, die mich all die Jahre bekämpft haben. Mich als Hater, Schwarzseher oder Pester bezeichnet haben. Wenn sie nun aber exakt das Gleiche empfinden wie ich und es entsprechend publizieren, dann ist es plötzlich die Offenbarung, die von vielen geteilt wird. Ich nenne das Doppelmoral in Reinkultur, aber auch diese Doppelmoral ist Bestandteil des Fan-Seins.