Die Schuldfrage

Wen überrascht es noch, wie immer zu diesem Zeitpunkt wird in Hamburg die Schuldfrage gestellt, denn dies ist für alle Beteiligten das Wichtigste: Wer hat Schuld? Wer hat (wieder einmal) versagt? An wem kann man sich medienwirksam rächen? Wer muss im Endeffekt über die Planke, damit man diejenigen suchen kann, denen man am Ende der nächsten Saison die Schuld geben kann? Und natürlich ist es ganz wichtig, dass man selbst im Rahmen der Schuldfragen-Klärung nicht in die Schusslinie gerät. Dieses gesamte Procedere beschreibt eines der Hauptprobleme dieses Vereins, denn man ist (wieder einmal) mehr damit beschäftigt, sich zu rächen und anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben resepektive sich selbst zu schützen, als nach Lösungen für die Zukunft zu suchen. Lösungen brauchen Zeit, brauchen Ideen und Kreativität, Lösungen muss man auch gegen Widerstände durchsetzen wollen und man muss sich dabei auch mal mit anderen anlegen wollen. Schuldzuweisungen sind leicht, denn wie immer drängt sich eine Vielzahl von Verdächtigen auf. 

Der Trainer, der es nicht geschafft hat, der Mannschaft ein verläßliches System zu implementieren, das dafür sorgt, dass man Teams mit Drittliga-Format auf Distanz halten kann. 

Der Sportvorstand, der bei den Transfers überproportional oft in die Tonne gegriffen und das wenige Geld leichtfertig verpulvert hat. Stichwort: Netzwerk. Amaechi, Harnik, Hinterseer, Ewerton, Kinsombi, Heuer Fernandes, Letschert. Harnik (Leihe), Schaub (Leihe). Mehr als € 10 Mio. für Platz drei oder vier? 

Die Spieler, die (wieder einmal) weder den Erwartungen gerecht werden noch dem nicht vorhandenen Druck standhalten konnten. Eine Mannschaft ohne Kapitän, aber mit reichlich überbezahlten Söldnern. Kein Charakter, keine Qualität. Der KSV hatte erneut Namen aber keine Qualität. 

Der Aufsichtsrat, der mehr damit beschäftigt war, sich gegenseitig das Wasser abzugraben und den Vorstandsvorsitzenden abzusägen, damit die schlimmsten Versager (Boldt und Wettstein) auch weiterhin in Kühnes Auftrag fuhrwerken können. Unter der Führung eines Emporkömmlings, der immer nur dann präsent ist, wenn’s läuft und wenn für ihn etwas zu holen ist, hat man weder kontrolliert noch geführt, man hat (wieder einmal) versagt. Wie sind eigentlich all die personellen Fehlentscheidungen zu erklären, wo man doch mit Jansen die sportliche Expertise im Rat hat? 

Eine Gruppe kommt jedoch bei all der Jahresabrechnung (wieder einmal) ungeschoren davon, nämlich die Gruppe, die über das nun zu erwartende Massaker größtenteils genüßlich berichtet. Als kleines Beispiel habe ich einen Tweet eingefügt, der das ganze Dilemma aufzeigt. Der “Witzige” an der Geschichte: Der Artikel des Herrn Schiller vom Hamburger Abendblatt erschien am 04. August 2018, unmittelbar nachdem der gerade abgestiegene KSV sein erstes Zweitliga-Heimspiel mit 0:3 gegen Holstein Kiel verloren hatte. “Kein Grund zur Panik – Der HSV ist trotz seiner verpatzten Zweitliga-Premiere auf einem guten Weg”. Nun ja, wohin ihn dieser Weg geführt hat, dürfte allen bekannt sein. Aber sowohl diese Überschrift, wie auch der Inhalt des Artikels und die darauffolgende Berichterstattung ist einer der Hauptgründe für den Erosion dieses Vereins. 

Denn anstatt vom ersten Tag an Alarm zu schlagen, auf Fehler hinzuweisen, Leistung einzufordern, wird mit Watte gepustet. Es werden Transfers bejubelt, neue Mitarbeiter gefeiert, dem neuen Übungsleiter gehuldigt. Jedes Talent war eigentlich schon auf dem Weg nach Madrid oder Manchester, das Nachwuchsleitungszentrum im Volkspark quillt über vor Mega-Talenten. Wettstein kann ungehindert jedes Jahr den nächsten Bilanz-Käse verbreiten, Übungsleiter wie Schnappi Hecking können über diese angeblich so miese Stimmung in Hamburg mosern, es bleibt alles unkritisiert stehen. Der eigentliche Gag ist aber, dass es diese miese Stimmung überhaupt nicht gibt, sie wird als Entschuldigung für Minusleistungen erfunden. Es gibt keinen Druck in Hamburg und es gibt keine überkritische Presse in Hamburg, ganz im Gegenteil. Und weil es sie nicht gibt, weil den Underperformern niemand auf die Finger guckt, müssen sie auch nie mit Leistung zurückzahlen. Es ist seit vielen Jahren eine Wohlfühlzone installiert worden, in der alle bequem miteinander existieren können. 

So lange dies der Fall ist, kann man bis zur Bewußtlosigkeit Schuldige suchen. Und man wird sie finden. Und man wird sie abfinden. Dann kommen die nächsten gehpyten Hoffnungsträger und mutieren zu den Schuldigen von morgen, weil sich das System der Gegenseitigkeit nicht ändert. So lange in Hamburg keine Leistung eingefordert wird, wird sie auch nicht geliefert. Wenn man sagen würde, man dreht sich im Kreis, wäre das weit untertrieben. 

Von | 2020-06-27T21:24:52+02:00 24. Juni 2020|Allgemein|10 Kommentare

10 Comments

  1. Jo Schaefer 24. Juni 2020 um 08:43 Uhr

    Diesem Verein und dessen Struktur ist leider nur via dem Exodus zu helfen. Die jetzige Eigentuemerstruktur, das Top Management, der Wasserkopf in der Verwaltung, die desaströse sportliche Performance und die seit nun fast wieder Jahrzehnten währende unprofessionelle Selbstdarstellung können nur mit dem Vehikel der “Stunde Null” gelöst werden.

    Alles andere wird nicht funktionieren. Darum macht es fuer mich auch keinen Sinn über Schuldfrage und Lösungen zu diskutieren. Das hatten wir schon etliche Male. Ohne jeden Erfolg.

    Es ist sinnlos auch nur einen einzigen Gedanken an das morgen des HSV zu verschwenden. Sinnvolle Entscheidungen werden eh nicht getroffen. Der Club hat keine Vision, keine Führung, keine Struktur, kein Eigenkapital und am allerschlimmsten auch keine Perspektive. Also wird das amateurhafte Gebolze solange weitergehen bis das Licht ausgeht. Leider.

  2. Hasenmelker 24. Juni 2020 um 09:01 Uhr

    Lieber Ulrich, erstmal freue ich mich auf das Buch und gratuliere zu diesem Meilenstein. Ohne Namen keine Revolution – so war ein (wieder einmal) Blog vor einigen Tagen überschrieben. Darüber habe ich nachgedacht, weil nach meiner Meinung hier eines der größten Probleme für einen Change beim HSV liegt. WER(?) sollte sich das antun?
    Jeder der über einigermaßen gute Ideen und Kompetenz dafür verfügt, ist aktuell in einem Job. Für den wird er anderswo gut bezahlt und hat eine Konstante. Mit welcher Intention sollten Fachleute das aufgeben? Um beim weltgrößten Verein in Hamburg zu arbeiten? Der schönsten Stadt der Welt? (Ironiemodus aus) Mitnichten….

    Wer würde mit so viel Macht ausgestattet, um diese ganzen Wohlfühloasen trocken zu legen? Mir fällt niemand ein…

    Die letzte realistische Chance bestand 2014. Rückenwind nach der Ausgliederung für die handelnden Personen. Der ein oder Euro für Anlaufkosten vorhanden. Es war alles bereitet zur Aufstellung eines „neuen“ HSV. Was passierte ist bekannt…
    Selbstoptimierung und Kurzfristigkeit allenthalben. Mutlos, unwirtschaftlich, Konzeptlos…

    Weitere Prognose? Absehbar irgendwas in Richtung Kaiserslautern oder TSV 1860 München. Ein Traditionsverein mit dem Muff der Vergangenheit, der für nichts steht was nach vorn gewandt ist und überwiegend die persönlichen Eitelkeiten einzelner befriedigt und für wenig Leistung immer noch die ein oder andere Brieftasche ganz gut füllt….

    Und Menschen die diesen Verein mehr oder weniger intensiv seit mehr als vier Jahrzehnten verfolgen, wenden sich verwundert ab und fühlen sich jedes verdammte Jahr wie das Murmeltier… (ihr wisst schon) Warum lernen die das nie?

    Der Mitgliedsausweis im Portemonnaie kommt einer Mitgliedskarte in einem SM-Klub gleich, von Familienmitgliedern mitleidig belächelt. Außenstehende zweifeln ob der Obsession für die Peinlichkeiten seines Herzensklubs an der geistigen Gesundheit des Trägers.

    Und es war alles absehbar. Hier vielfach beschrieben, und jedem der sich ein bisschen mit Fußball auskennt und diesen Sport liebt so offensichtlich, dass es schon weh tut. Ich werde nie verstehen, warum dieser Klub immer genau die falsche Weggabelung gewählt hat, wenn es darum ging Dinge zu ändern und sich neu auszurichten. Mittlerweile dreht sich alles im Kreis. Wer immer in eine Richtung abbiegt, kommt irgendwann (welche Überraschung) wieder am Startpunkt an.

    So ernüchternd und aussichtslos sieht’s aus im Juni 2020. Und beim Blick auf die aktuellen Tendenzen nach Einer weiteren sportlichen Katastrophensaison summt man den Roland Kaiser Klassiker „Ich glaub es geht schon wieder los…“
    Ihr wisst schon….

    • Gravesen 24. Juni 2020 um 09:04 Uhr

      Vielen Dank. Du hast die Situation und das Empfinden vieler richtig zusammengefasst.

  3. Rudi 24. Juni 2020 um 09:55 Uhr

    Was mich an dieser ganzen Chose wundert: Kritische Presse gibt es doch im gesamten Fußball-Business so gut wie gar nicht mehr. Daher müssten doch anderswo ähnliche Probleme existieren. Wieso kann z.B. ein SC Freiburg erfolgsorientiert arbeiten? Die Presse dort ist doch wohl auch nicht kritischer als die in Hamburg. Ich gebe Grave absolut Recht, dass die Medien in Hamburg ihren großen Anteil an der Misere haben, aber das allein kann nicht der Grund sein, sonst gäbe es noch viel mehr andere Leistungsverweigerer im Profi-Fußball-Geschäft.

  4. Ralf 24. Juni 2020 um 10:26 Uhr

    Ich will nochmal was zu dem Blog von gestern als Zusammenfassung schreiben. Es ist echt gigantisch in welchen Ecken und Enden Deutschlands der KSV eigentlich eine riesengroße Fan-Base hat, auch wenn sich viele inzwischen völlig zu Recht abgewendet haben, und wenn man dann sieht wo der Club heute steht.Keine Visionen, keine Führungspersönlichkeiten, nur den eigenen Vorteil und finanziellen Zugewinn im Kopf, sportlich am Tiefpunkt angekommen, inzwischen wirklich ein Bild des Schreckens und Grauens.
    Was waren all diese Leute aus allen Zipfeln der Republik einmal stolz auf diesen Verein, ich bin aus der Ecke Baden-Baden und Fan seit 1977 Pokalsieger-Endspiel, damals war ich knapp 9 Jahre alt und heute muss man sich tatsächlich fremdschämen für den Verein. Die wissen gar nicht was sie kaputt gemacht haben mit dieser Misswirtschaft, dabei stünde, sportlicher Erfolg vorausgesetzt, eine Power dahinter die einst sogar Uli Hoeneß mal sagen lies “das er bei entsprechendem Personal und guter Arbeit nur vor einem Verein in Deutschland Angst hätte, dem KSV, heute lacht er sich auch nur noch schlapp darüber!!!!!! Wirklich eine Schande was aus diesem verein die letzten ca. 30 Jahre gemacht wurde!!!!!
    Zum Schluß noch was zum Schmunzeln, wenn sie Sonntag noch Dritter werden, Gott bewahre uns vor Aufstiegsspielen wäre sportlich eine Katastrophe, werden die es noch schaffen zu behaupten das war Kalkül um noch ne Mio zusätzlicher Fernsehgelder abzugreifen??????

  5. Demosthenes 24. Juni 2020 um 10:54 Uhr

    Und die nächste Legendenbildung rollt an. Mopo: “Ganz bitter für den HSV. Für Bielefeld wäre Heidenheims Aufstieg Millionen wert.”

    Ein Luis Vieira Heine schreibselt in der Prä-Insolvenz-Gazette was von TV-Geld-Tabelle, Platzierungen und 2 Millionen, die Bielefeld mehr kassiert, wenn Heidenheim statt des HSV aufsteigen würde.

    Es wird damit impliziert, das wenn Bielefeld am Sonntag gegen Heidenheim verliert, es dieses aktiv, absichtlich und aus Profitgründen tut. Gleichzeitig wird auch die nächste Entschuldigung konstruiert, dass der Nichtaufstieg damit weniger im Verschulden der grottenschlechten Leistungen von Spielern, Trainer und Vereinsführung liegt als vielmehr im unfairen, geldgeilen Verhalten der Arminia.

    Mopo, ihr seid der Knaller! Was zum Teufel verleitet Euch immer noch dazu, diesem Affen Zucker zu geben? Der ist doch schon lange tot!

    Erstens: Warum sollte sich Bielefeld noch ein groß ein Bein ausreißen, die sind doch schon aufgestiegen. Warum sollten die Spieler im letzten Spiel, in dem es für sie um nichts mehr geht, ihre Gesundheit und damit ihren kommenden Bundesligaauftritt riskieren? Warum sollte Herr Neuhaus nach dieser tollen Saison riskieren, die ein oder andere Stütze seines Teams auf die er in der nächsten Saison mehr als angewiesen ist, zu verlieren?

    Zweitens: Heidenheim ist hochmotiviert. Ein Sieg macht den Relegationsplatz sicher und die Württemberger scheinen deutlich motivierter zu sein als der KSV, ihre Chancen darauf auch wahrzunehmen.

    Drittens: Relegation bedeutet nicht automatisch auch Aufstieg, die Millionen sind somit nicht zwingend auf dem Bielefelder Konto, nur weil man verliert.

    Nein, hier gehts um die alte, üble Tour der Mopo-HSV-Berichterstattung. Eine Melange aus peinlichem Gesinnungsjournalismus, elender Legendenbildung und bequemen Entschuldigungsvorlagen für Wohlfühloasen-Underperformer.

  6. atari 24. Juni 2020 um 11:18 Uhr

    Es wurden unzählige Verantwortliche, Mitarbeiter oder Manager ausgetauscht. Mich würde interessieren was das Kernproblem ist. Das Problem sind nicht die bekannten Namen, die ständig scheitern. Es muss im Hintergrund namenlose geben, die ein über Jahrzehnte gewachsenes Konstrukt geschaffen haben, in der jede vermeintliche Führungsperson machtlos ist. Wer oder Was ist es, dass es sogar möglich macht, dass der Hauptmann von Köpenick hier Präsident wird aber nix zu sagen hat?

  7. Hans 24. Juni 2020 um 19:31 Uhr

    Ich glaube, eine der Ursachen, warum sich im Kern nichts wirklich geändert hat nach dem Abstieg, ist die Auffassung, dass dieser Abstieg nur ein Betriebsunfall war, den man nur schnell repariert und dann ist man wieder der “Weltverein”, der man aber im Grunde nie gewesen ist. So hat man darauf gesetzt, mit viel Geld kurzfristig den Wiederaufstieg zu realisieren, anstatt sich einmal eine wirklich langfristige Strategie zu überlegen, die irgendwann Erfolg hat, wobei Erfolg aus meiner Perspektive nicht die baldige Deutsche Meisterschaft oder die CL ist. Es reicht doch, wenn es gelänge, sich nachhaltig in der ersten Liga zu etablieren. Nach Gründung der BL war der HSV lange Jahre eine graue Maus. Und trotzdem sind klangvolle Namen mit dieser Zeit verbunden. Man sollte den Fans nicht schon wieder erzählen, im nächsten Jahr wird alles wieder gut. Nein, es dauert vielleicht noch fünf Jahre oder länger. Der HSV “gehört” nicht mehr in die erste Liga. Das muss er sich erst wieder hart und ehrlich erarbeiten. Ich fürchte aber, es wird immer so weiter gehen, vor allem, wenn es doch noch mit der Relegation klappen sollte. Ich glaube nicht daran, dass ein Aufstieg zum jetzigen Zeitpunkt die Probleme löst. Er würde sie
    einmal mehr verschleiern.

  8. Volli 24. Juni 2020 um 21:08 Uhr

    Wer wissen will warum sich beim HSV nichts ändert, muss sich nur den heutigen Perlen Blog reinziehen!? Dazu noch die Pressekonferenz von Witzboldt! Die wähnen sich auf einem guten Weg???, und haben den Aufstieg noch nicht abgeschrieben. Beim HSV hat sich doch vieles zum Positiven entwickelt, und die diesjährige Saison ist mitnichten mit der letztjährigen zu vergleichen. Unfassbar, diese Verblödung!!!

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