Ich bin in der Vergangenheit immer und immer wieder gefragt worden, was denn das Problem des KSV eigentlich ist. Warum ist man mittlerweile dort angekommen, wo man heute ist? Was ist der Grund dafür, dass heute kaum noch jemand in Hamburg freiwillig nach einem Nummernschild mit der Buchstaben-Kombination HH-SV… fragt, weil es einfach peinlich ist? Woran liegt es? Meine Antwort lautet dann regelmäßig: Es gibt nicht den einen großen Grund, es gibt viele kleine und mittelgroße Gründe und alle zusammen ergeben dann das Bild, welches man aktuell erkennen kann. Gebe es nur einen großen Grund, wäre es leicht, ihn zu identifizieren und zu bekämpfen, aber so leicht ist es eben doch nicht. 

Der HSV kommt nie dort an, wo er gerade ist

Einer der kleineren oder vielleicht sogar der größeren Gründe ist der Umstand, dass große Teile des Vereins immer noch nicht in den Niederungen des deutschen Fußballs angekommen sind und die Realität verleugnen, bis es zu spät ist. Dieses Phänomen zieht sich seit vielen Jahren durch den Verein und beginnt u.a. mit der ständig wiedergekäuten Behauptung, man sei ein „großer Verein“. Nein, ist man nicht, vielleicht war man es mal, aber das liegt mehr als 30 Jahre zurück. Mittlerweile ist man ein Verein, der öfter gegen den Abstieg spielte als um die Meisterschaft, der in 33 Jahren keinen nationalen Titel mehr holte und der inzwischen als fester Bestandteil der der zweiten Liga angesehen werden muss. Fakt ist: Der KSV ist 2020 nichts anderes als Regensburg, Fürth oder Bochum. Doch so lange dies nicht aktzeptiert wird, wird man sich gedanklich immer in einem Paralleluniversum befinden. 

Der Hang zum Märchenerzählen…

„Natürlich werden wir im x-ten Zweitliga-Jahr nicht mehr den teuersten Kader haben können. Aber wir werden mit Sicherheit immer noch einen guten Kader präsentieren können, der um die oberen Plätze mitspielen kann. Und das wahrscheinlich auch noch im fünften, achten oder zwölften Zweitliga-Jahr“, hat Wettstein Ende Mai gesagt.

Dieses Aussage des „KSV-Sanierers“ liegt nur wenigen Wochen zurück ist doch bereits wieder obsolet. Denn nach dem voraussichtlichen Ausstieg von Trikotsponsor Fly Emirates und Kühne als Stadionsponsor wird man den Etat in der nächsten Saison auf irgendwas um die € 20 Mio. senken müssen, damit ist man auf St. Pauli-Niveau angekommen. Das mag den einen oder anderen schmerzen, aber es wäre dringend nötig, es zu akzeptieren und damit umzugehen. Damit aber hat man im Volkspark grundsätzlich seine Probleme, ist man doch all die Jahre mit den Lügenmärchen bestens gefahren. Die Medien haben das Spielchen vom ersten bis zum 33. Spieltag mitgespielt, so lange konnte man es sich in seiner Komfortzone gemütlich machen. Dann gab es das kurze Gewohnheits-Gewitter nach Ende der jeweiligen Saison, um aber unmittelbar in den Hoffnungs-Modus umschalten zu können. Eine echte Aufarbeitung fand nie statt, ein echtes Umdenken ebenso wenig. 

Der Hang zum Größenwahn…

Ich bin frei und werde jetzt erst mal abwarten. In der Zweiten Liga war für mich nur der HSV ein Thema, das habe ich immer gesagt. Ich sehe mich als Erstliga-Trainer. (Hecking)

Mit dieser Aussage beschreibt Hecking ungewollt ein Dilemma des Vereins, denn nicht nur er hielt sich die gesamte letzte Saison für „eigentlich erstklassig“, sondern große Teile des Vereins und der Mannschaft ebenfalls. Spieler wie Pollersbeck, Hunt, Harnik, Letschert, Fein, Kittel etc. waren der Meinung, dass diese Saison nur eine Durchgangsstation zurück ins Oberhaus des deutschen Fußballs sei und als Folge daraus nahm man Mannschaften wie Osnabrück, Heidenheim und Fürth nicht mehr ernst genug. Wie auch, wenn von der Mannschaftsführung ausgestrahlt wird, dass man in dieser Liga eigentlich fehl am Platz ist. Aber Hecking gab, ob nun ungewollt oder bewusst, die nächste Steilvorlage in einem Interview, welches er eigentlich nicht geben wollte. 

„Vielleicht wäre es schwer, so einen Neuanfang mit den Namen Boldt und Hecking gemeinsam zu initiieren“ (Hecking)

Das mag sein, aber einer der beiden Symbole für die Schwierigkeiten eines Neustarts ist halt immer noch an Bord. Es handelt sich um den ebenso vorlauten wie erfolglosen Sportvorstand, der auf seiner Position bei einem mittelmäßigen Zweitligisten ebenso falsch ist wie ein Trainer, der mindestens in der Bundesliga, wenn nicht bei einer Nationalmannschaft arbeiten möchte. Man darf also gespannt sein, wann der Aufsichtsrat auf die Idee kommt, dass auch Boldt der falsche Mann am falschen Ort ist, denn zum KSV passt Boldt so gut wie Christiano Ronaldo zum FC St. Pauli.

Mein dringender Rat: Sagt den Leuten endlich einmal die Wahrheit, hört auf mit den Märchen. Sagt, wie es um die Finanzen wirklich steht, anstatt immer und immer wieder Luftschlösser zu bauen. Sagt den Leuten, wo ihr hinwollt und nicht, wo ihr her kamt. Erzählt nicht das, wovon ihr denkt, dass man es von euch erwartet, denn das tut man nicht. Die meisten Fans sind längst da angekommen, wo der Verein heute steht und machen sich auch keine Illusionen mehr über den IST-Zustand. Seid also endlich ehrlich und verkleidet euch nicht als Borussia Dortmund, wenn ihr lebt wie 1860 München.