Nichts verankert Geschehnisse so fest im Gedächtnis, wie der Wunsch sie zu vergessen.

[Michel de Montaigne]

Es ist exakt 11 Tage her, da geschah das Unfassbare. Der KSV, der durch die Steilvorlage aus Bielefeld gerade einmal einen mickrigen Punkt aus dem letzten Heimspiel der Saison benötigte, um die Relegationsspiele gegen Werder Bremen zu erreichen, verlor gegen den SV Sandhausen mit 1:5. Im Volksparkstadion. Gegen Sandhausen!!!! Mit 1:5!!!! Ich kann mich an Zeiten erinnern, da wurde es als Schmach empfunden und bezeichnet, wenn der Verein im Viertelfinale des DFB-Pokals auswärts bei Mainz 05 im Elfmeterschießen scheiterte. Heute verkacken die überforderten Gehaltsverzichter im wohl wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte der letzten 10 Jahre mit 1:5 und der Katzenjammer hält ganze 4 Tage. Denn knapp eine Woche später wird bereits wieder gehypt. 

„Der neue HSV nimmt Anlauf“ titelt Insolvenz-Münchhausen und obwohl diese peinliche und dümmliche Verlängerung der KSV-Medienabteilung alles andere als maßgeblich ist, ist es doch symptomatisch für das, was wieder einmal in dieser Stadt passiert. Denn wo genau sehen diese und andere Hofschranzen jetzt einen „neuen KSV“? Was ist denn seit dem 28.06.2020 passiert? Es sind knapp 10 Spieler, deren Verträge oder Leihen ausgelaufen waren, verabschiedet worden. Dem alten Übungsleiter Schnappi Hecking wurde mitgeteilt, dass man ihn nicht mehr bezahlen könne und er ritt daraufhin vom Hof. In einer Nacht und Nebelaktion wurde flugs ein relativ unbekannter Coach vom VfL Osnabrück für € 500.000 weggekauft. Das war’s. Und wo genau ist jetzt der „neue HSV“? Oder ist das“neu“ jetzt die vollkommen überraschende Erkenntnis, dass man keine Kohle mehr hat? 

Dennis „the Tapete“ Diekmeier hat in einem Interview auf spox.com folgendes unter der Überschrift „Der HSV ist Stress pur“ gesagt: 

Dieser Druck, der permanent auf einem lastet. Das habe ich nach dem Spiel beim HSV wieder gemerkt, wie viel am sportlichen Erfolg oder Misserfolg dranhängt. Das ist Stress pur, mit einem riesigen Mediendruck. Das ist bei uns in Sandhausen zum Glück komplett anders.

Natürlich werden die immer gleichen Vollpfosten jetzt wieder mit dem Gejaule auf die Medienstadt Hamburg und die oberkritische Presse beginnen, aber sie tun das, weil sie nicht begreifen, dass es genau andersrum läuft. Die Spieler und Trainer fühlen keinen Druck, weil man zu kritisch mit ihnen umgeht, sondern weil man zu unkritisch mit ihnen umgeht. Man achte nur auf die Texte zu Neu-Coach Daniel „the black Kloppo“ Thioune. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der gute Mann es bisher selbst nicht wusste, aber tatsächlich ist es so, dass er über’s Wasser gehen kann. Sogar ein eigenes Prädikat hat er nach weniger als einer Woche erhalten, er ist jetzt der „HSV-Entwickler“. Was immer auch passieren wird in der nächsten Saison, eines ist jetzt schon sicher: Thioune kann diese Erwartungen nicht erfüllen. Aber selbstverständlich gräbt die Mopo binnen Sekundenfrist einen Mann aus, der dem neuen Übungsleiter einen Heiligenschein attestiert. Wenn man allerdings ein wenig zurückdenkt, war dies bei den Herren Hecking, Wolf, Labbadia, Gisdol, Fink, Hollerbach, Slomka und und und nicht anders. Auch da fand sich sehr schnell irgendeine Figur aus irgendeinem Loch, die glaubhaft erklären konnte, dass es genau dieser Übungsleiter sein wird, der den maroden Dino zurück ins Licht führen wird. 

Ich möchte das nochmal verdeutlichen. Ein möglicherweise als solcher empfundener „Medialer Druck“ entsteht in Hamburg nicht etwa, weil bei der geringsten Gelegenheit oder den ersten ausbleibenden Ergebnissen kritisiert wird, sondern weil sämtliche Protagonisten bereits vor ihrer Verpflichtung zu Halbgöttern gekrönt werden. Hieraus entsteht eine Erwartungshaltung bei den Betrachtern, die absolut niemand erfüllen kann. Die Beteiligten wissen das bzw. lernen es schnell, sie können gar nicht so gut und effektiv sein, wie die Abteilung Hofbericht im Vorfeld behauptet hatte. Würde man endlich einmal dazu übergehen, die neuen Mitarbeiter nicht als „HSV-Stars“, Juwelen oder Endzeit-Retter zu betiteln, wäre viel geholfen. 

Was für den Cheftrainer selbst gilt, gilt nicht minder für seine Assistenten. Denn seit gestern ist, bei Merlins Bart, der Herr Polzin der Größte. Also ebenso der Größte, wie es seine Vorgänger Bremser (die Braut von Hecking), Schweinsteiger (brother), Funny Heinemann, Ricardo Moniz und gefühlt 56 andere auch waren. Denn der KSV verpflichtet laut Abteilung Hofbericht nicht etwa Trainer-Assistenten, er verpflichtet grundsätzlich die High End-Lösung aller Trainer-Assistenten. Genauso, wie der aktuelle Sportchef, dessen Netzwerk von Hamburg bis Havanna reicht, nichts als Supertalente verpflichtet, also alles kleine Amaechis. Jeder Spieler, der zum KSV wechselt und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist das ultimative Juwel und war eigentlich auf dem Weg zu Manchester United bzw. Paris S. Germain, bevor es der Mutter aller Sportchefs, Jo WitzBoldt gelungen war, ihn vom nicht vorhandenen Konzept des KSV zu überzeugen.

Es ist oft geschrieben worden, aber das Hamburg von gestern ist das Punxsutawney von heute, man hat das Gefühl, man drehe sich im Kreis, allerdings in jedem Jahr ein wenig schneller. Aktuell ist, wie immer zu dieser Jahreszeit, der Spruch „Wir müssen jetzt nach vorn gucken“ modern, dabei wäre es mehr als angebracht, einmal zwischen 10 und 33 Jahre zurückzublicken, um zu begreifen und zu analysieren, was in all den Jahren falsch gelaufen ist. Diese Analysen finden jedoch nicht statt, vielleicht, weil das Ergebnis einfach zu schmerzhaft wäre. So macht man das, was man immer macht. Man tauscht den Trainer, tauscht ein paar Spieler (natürlich mit Verlust), nennt es „den neuen HSV“ und es geht genauso beschissen weiter wie bisher. Aber dann nicht mehr mit mir. 

Vier Dinge kommen nicht zurück: Das gesprochene Wort, der abgeschossene Pfeil, das vergangene Leben und die versäumte Gelegenheit.

Mein Leben ist zu kurz für diese Scheiße!

Wisst ihr, was mir wichtig ist? Das hier! Meine Tochter hat heute ihre Abschluss-Zensuren im Master-Studiengang Kriminologie an der University of Melbourne bekommen, eine 1 in allen drei Fächern. Ich bin so unendlich stolz. Und ihr habt mit euren tollen Spenden mitgeholfen. Danke!!