Vor wenigen Tage passiert in Hamburg etwas, womit man im Grunde seit Jahren rechnen musste, was man aber noch meinte, irgendwie verhindern zu können: Sowohl Trikot- und Hauptsponsor Fly Emirates wie auch der Sponsor des Stadionnamens, Klaus-Michael Kühne, sprangen zeitgleich ab bzw. machten von bestehenden Ausstiegsklauseln gebrauch. Nun ist es ja hinlänglich bekannt, dass man es im Volkspark mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, besonders dann, wenn es um die wirtschaftliche Situation des Vereins geht. Und so erschien unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Hiobsbotschaften ein sogenanntes Interview mit einem Herrn Schiphorst, welcher als irgendein Vice President bei Sport Five (vorher Lagardere, davor SportFive) firmiert. Dieser Schiphorst verkündete in diesem „Interview“, dass durch die Abgänge der Scheichs und Kühne überhaupt keine Panik aufkommen müsste, denn die Strahlkraft des Ex-Dinos sei ungebrochen und eigentlich würden dem Vermarkter potentielle Sponsoren die Türen einrennen. Also – don’t panic, der KSV wird als großer Sieger aus dieser Situation hervorgehen. Wie immer 😀 

Gestern nun wurde mir von einem aufmerksamen Leser (herzlichen Dank, J.) ein Link zugespielt und hier kann man wunderbar nachlesen, mit welchen Argumenten der Vermarkter neue und mögliche Sponsoren an Land ziehen möchte. Ich selbst arbeite seit nunmehr fast 30 Jahren in genau dieser Sparte und vor dem Hintergrund, dass ich selbst unzählige Male solche Daten zusammengefasst und in verkäuferische Sätze gebaut habe, habe ich mir die „Argumente“ einmal genauer angeguckt. 

Headline:

Die Trikot-Brust des HSV: Ein Premium-Platz für Brands!

Klingt erstmal nett, ist aber leider nicht mehr wahr. Oder anders ausgedrückt – es kommt drauf an, wie man „Premium“ definiert. Ist für einen eventuellen Sponsor „Premium“ gleichbedeutend mit Folter-Performance, Skandalen in Serie, Misswirtschaft, negativen Dauer-Schlagzeilen und beständigem Abstieg in allen Teilbereichen, dann ist der KSV tatsächlich „Premium“. Möchte ich mich als Sponsor an einen Werbeträger mit einem „sauberen“ Image binden, dann bin ich im Volkspark denkbar falsch. 

Erklärende Einleitung:

Keine Frage, der verpasste Aufstieg des Hamburger SV in die Bundesliga bedeutet eine Zäsur für den Verein und die damit verbundenen Aspirationen in wirtschaftlicher und sportlicher Hinsicht. Aber: Solche strukturellen Veränderungen und Einschnitte kreieren häufig ein neues Momentum. Neue Ziele, neue Strategien, neue Ausrichtungen werden festgelegt. Vergangene Elemente werden hinterfragt und adaptiert. Der Blick geht in die positive Zukunft, mit einer klaren Richtung und Kombination aus passenden Mitteln und Personen

Niedlich gemacht, aber durchschaubar ohne Ende, wenn man sich tatsächlich mit dem Verein und seinen Hintergründen beschäftigt. Denn was hier nach Aufbruch, Erneuerung und Wiederauferstehung klingen soll, ist in der Realität der verzweifelte Versuch zu überleben. Das kann man natürlich weder sagen noch verkaufen, aber es stimmt leider. Der KSV ist nämlich keinesfalls auf dem Weg in eine strahlende Zukunft, weil man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, sondern ihm steht nach den zahlreichen Abgängen langjähriger Partner das Wasser bis zum Hals. Und die hier als göttliche Innovation gepriesenen „neue Ziele und neue Strategien“ sind nichts anderes als wirtschaftliche Notwendigkeiten, die dem Klub durch die eigene Mißwirtschaft der letzten Jahre/Jahrzehnte aufgezwungen werden. 

Dreiste Behauptung:

Genau in dieser Phase befindet sich der Hamburger Sportverein, einer der bekanntesten und immer noch beliebtesten Fußballvereine in der Bundesrepublik

Einer der bekanntesten, mag sein. Einer der beliebtestens ist eine glatte Lüge. Denn kaum einem andern Klub schlägt mittlerweile so viel Abscheu und Genugtuung aufgrund des sportlichen Niedergangs entgegen wie dem KSV. Durchforstet man das Internet, findet man über keinen anderen Verein (Ausnahme vielleicht Schalke) soviele gehässige Jokes, Memes und Videos, die den Kub auf die Schippe nehmen und ihn lächerlich machen. Ne Freunde der Sonne, beliebt ist dieser Verein garantiert nicht (mehr). Höchstens dann, wenn man sich auch seine Kosten lustig machen möchte. 

Motivation

In der Folge wird erläutert, wieso genau JETZT der richtige Zeitpunkt ist, um ein – womöglich sogar langfristiges – HSV-Engagement zu realisieren und damit Teil des neuen Aufbruchs und von etwas Besonderem zu werden.

Um Teil eines Aufbruchs welcher Art auch immer werden zu können, müsste es diesen Aufbruch überhaupt geben. Aber es gibt ihn nicht, egal, wie oft der Vermarkter das auch behaupten möchte. Es gibt einen Sparzwang, den Verkauf von Leistungsträgern und Entlassungen auf der Geschäftsstelle, aber garantiert keinen Aufbruch. Als Sponsor dieses Verein sollte es eher eine Abwrackprämie geben als irgendetwas anderes. 

Verdrehung der Tatsachen

Über den HSV wird auch außerhalb der Spielberichterstattung berichtet, er bietet Gesprächsstoff auch über das sportliche Geschehen hinaus, er ist der sprichwörtliche „talk of the town“, was wiederum hervorragende Möglichkeiten für Partner-Brands im Hinblick auf authentisches Content Marketing bietet.

Durch die Beliebtheit und das hohe Interesse der Bevölkerung sowohl lokal als auch international ist der Hamburger SV eines der relevantesten Themen im gesamten Jahresverlauf.

Gesprächsstoff bietet der KSV tatsächlich, allerdings zu 90% im negative Sinne. Also exakt das, was ein Sponsor, der seinen Namen oder sein Produkt in einem positiven Umfeld platziert wissen möchte, nicht gebrauchen kann. Und wenn man schon von „authentischem Content“ sprechen möchte, sollte man freundlicherweise darauf hinweisen, dass auch der eventuelle Sponsor im exakt gleichen negativen Kontext wahrgenommen werden würde wie ein Verein inmitten der Abwärtsspirale. 

Klassisches Eigentor

Fußball im Allgemeinen und insbesondere der Hamburger SV gehen traditionell Hand-in-Hand mit einer intensiven Emotionalität. Diese Emotion überträgt sich erwiesenermaßen auf die werbenden Marken im Umfeld eines Vereins und sorgt für eine Verankerung der Marken im Bewusstsein der Fans:

Kaum eine Emotion ist in den letzten 15 Jahren mehr und nachhaltiger mit dem KSV verbunden als das Gefühl der Enttäuschung, gefolgt von Demütigung und Verzweiflung. Wer tatsächlich seine Marken mit diesen Emotionen verankert wissen möchte, ist im Volkspark genau richtig. Unglücklicherweise ist kein Werbungstreibender, den ich kenne, auf Verankerungen mit derartigen Emotionen scharf. 

Aufgehübschte Zahlen

insgesamt nahezu 2 Mio. interessierte Follower erreicht der Verein auf seinen HSV-Kanälen auf Twitter, Instagram, YouTube, TikTok und Facebook – so viel wie bei keinem anderen Vereine der 2. Liga!

Davon, dass sich die User von Facebook, Twitter, Instagram und Co. gegenseitig überschneiden, ist hier leider keine Rede. Ich selbst folge dem KSV sowohl auf Facebook wie auch auf Instragram, zähle also nach Zählweise der Agentur zweimal. Nett versucht, kläglich gescheitert. Und im Marketing gilt: Wer mit falschen Daten arbeitet, ist raus. 

Nächste Behauptung, die nicht stimmt.

Der HSV ist ein Verein mit Gesicht und einer klaren, kommunikativen Message

Schade, aber genau das ist es, was der KSV eben nicht hat. Eine klare, kommunikative Message. Daran ändern auch der „Hamburger Weg“ oder irgendwelche anderen möchtegern-moderne Parolen nichts, der KSV steht für äußerst chaotische Kommunikation ohne jegliche Message. Als interessierter Werbekunde würde ich als Erstes fragen: Um welche Message soll es sich denn handeln? Wie ich ständiges Versagen erkläre?

Peinlich.

Zusammenfassend muss man festhalten: Der HSV hat in den vergangenen Jahren in allen wirtschaftlichen Bereichen eine stabile und vielversprechende Basis geschaffen. Das offene Hauptsponsorship bietet somit ein wertvolles „Schaufenster“ für interessierte Brands und wenn zudem der sportliche Erfolg zu den Rothosen zurückkehrt, entwickelt sich ein unheimliches Potential, von dem ein präsenter Hauptsponsor in vielfacher Hinsicht enorm profitieren würde.

Der KSV hat in allen wirtschaftlichen Bereichen eine stabile und vielversprechende Basis geschaffen? Aha. Ist damit jetzt eher der rapide Verfall des Mannschaftswerts gemeint oder die Neuverschuldung? Oder doch mehr die nächste Fan-Anleihe, ohne die man insolvent wäre? Selten habe ich Begriffe wie „stabil“ und „vielversprechend“ in einem so unpassenden Umfeld lesen müssen, wie hier. Wenn etwas beim KSV stabil ist, dann die Aussicht, dass der neue Trainer nicht länger als 9 Monate im Amt bleiben wird. „Wenn zudem der sportliche Erfolg zu den Rothosen zurückkehrt“…. 😀 Sehr wahrscheinlich, wenn man den Etat um knapp 30% senken muss, Mitarbeiter freistellt, Leistungsträger verkauft/verschenkt etc. Wer möchte da nicht an eine sportliche Wiederauferstehung glauben? 

Zusammenfassung: Natürlich ist es für einen Vermarkter alles andere als leicht, einen derart beschädigten Klienten im permanenten Selbstzerstörungsmodus positiv zu verkaufen, aber aus meiner Sicht bringt es einen nicht weiter, Märchen zu erfinden, Daten zu schönen und mit dümmlichen und leicht zu wiederlegenden Behauptungen zu arbeiten. Stattdessen hätte man mit der Wahrheit arbeiten soll, auch wenn es weh tut. Denn was tut man? Man sucht einen Haupt-/Trikotsponsor, der mehrere Jahre an Bord bleiben soll/muss. Wenn man einem zukünftigen Partner aber bereits vor der Vertragsunterzeichung Lügenmärchen von blühenden Erdbeerfeldern auftischt, ist es nur eine Frage der Zeit, wann beim Sponsor eine Mischung aus Wut und Frust entsteht, weil ihn die Realität einholt. So aber macht man es wie immer beim KSV, man erfindet. Man erfindet Geschichten, man erfindet Situationen und man erfindet eine Zukunft, die nicht eintreten kann. Insofern passt der Vermarkter natürlich wunderbar zu diesem Verein, aber der Verein passt nicht zu einem Sponsorpartner, der mit Authentizität arbeiten möchte. 

https://beyond-the-match.com/sponsoring/die-trikot-brust-des-hsv-ein-premium-platz-fuer-brands/

Um als ehemaliger HSV-Fan und ehemaliges Mitglied den Suchenden ein wenig unter die Arme zu greifen, habe ich eine Potenzial-Analyse erstellt und einige Unternehmen herausgearbeitet, die als Namensgeber des Stadions in Betracht kommen könnten. Der Name würde dann lauten:

Nordschrott-Arena (Idee eines Leser)

Spotprophets-Arena

Casino24-Arena

Mymoria-Arena (Bestattungs-Institut)

Smava-Arena

Check24-Stadion

Uwe Seelers Autopolitur-Arena

Wir-kaufen-dein-Auto.de-Arena

t.b.c.