Das späte Erwachen?

Zuerst hatte ich gedacht, das könne doch nicht sein. Hat sich dort ein einsamer Abendblatt-Journalist erst verlesen und dann verschrieben? 

 Es ist ein kleines Buch, aber eines, das Aufsehen erregt: Auf 144 Seiten rechnet Birk Meinhardt, zweifacher Egon-Erwin-Kisch-Preisträger und 20 Jahre Reporter der „Süddeutschen Zeitung“, mit seinem Arbeitgeber im Besonderen und dem Journalismus im Allgemeinen ab. „Wie ich meine Zeitung verlor: Ein Jahrebuch“ sollte Pflichtlektüre für Kollegen sein – es ist mal zornig, dann tieftraurig, mal bitter, dann bitterböse. Das Buch ist nicht immer fair und mitunter selbstverliebt, aber viele Punkte treffen: „Das ist ja alles nur noch in eine Richtung gebürstet! Das ist ja ein Dauerzustand geworden: einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit um die Teile zu reduzieren, die nicht zur Haltung passen, und dafür die Teile überzubetonen, die sich mit der Haltung decken.“ 

Ja klar, es handelt sich um Birk Meinhardt, eine echte Größe der deutschen Medienszene und nicht um einen kleinen privaten Blogger, der es mit seinem Hobby doch tatsächlich zu seinem ersten Buch gebracht hat. Aber wer das Buch gelesen hat, wird Parallelen entdecken können. Längst nicht so brillant geschrieben wie vom Reporter der “Süddeutschen”, aber die Richtung ist die gleiche. 

Das journalistische Ich hat einfach mal die Klappe zu halten – es sei denn, es geht um eine Kolumne oder einen Kommentar. Sagen, was ist, heißt der kleine, dieser große Satz von Rudolf Augstein. Er heißt nicht: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Sagen, was ist, meinte Rudolf Augstein und nicht sagen, was sein soll. Oder von dem man meint, dass es die Käufer aka Leser konsumieren wollen. Oder was der Verein bzw. Auftraggeber bezahlt. Oder was man als Fanboy selbst gern hätte, was aber leider nicht der Realität entspricht. Das Abbilden der Wahrheit ist die Aufgabe eines Journalisten, nicht die Erschaffung eines Parallel-Universums, welches es tatsächlich gar nicht gibt. 

Medien leben von ihrer Glaubwürdigkeit. Und die meisten Medien machen – anders als ihnen Populisten so gern wie oft vorwerfen – gute Arbeit. Wenn aber Journalisten zu Aktivisten mutieren, wenn Haltung Unvoreingenommenheit ersetzt und nicht mehr ergebnisoffen, sondern ergebnisgeleitet recherchiert wird, ist Gefahr in Verzug.

Nicht nur Gefahr im Verzug, sondern am Ende auch eine gehörige Portion Mitverantwortung. Dessen sind sich allerdings die wenigsten Journalisten bewusst, am Ende handelt es sich doch auch “nur” um Fußball, oder? Halt! Nur um Fußball? Nur um einen Wirtschaftszweig mit Milliardenumsätzen? Nur um juristische Katastrophen wie im Fall CAS und Manchester City? Nur um die monatelange Inhaftierung des Whistleblowers Rui Pinto (Football Leaks)? 

 Wer nur seine Weltbilder nachzeichnen möchte, hat den Job verfehlt. Es geht darum, dass Birk Meinhardt eben nicht recht behält, wenn er schreibt: „Der Journalismus trägt meines Erachtens eine Riesenschuld an der Verhärtung der Fronten, die er selber beklagt. Er bringt sie maßgeblich mit hervor, und er beklagt sie danach.“

Mir ist wohl bewusst, dass es in diesem Abendblatt-Artikel um ein anderes Thema geht als um den Fußball im Allgemeinen und den KSV im speziellen, aber die Richtung ist exakt die gleiche. Und so frevelhaft falsche und gefälschte Berichterstattung über Themen wie Corona-Demos, Rechtsradikale oder Wirschaftsverbrecher auch ist, so ist sie es über das Thema Fußball mindestens ebenso. Man kann sich als Mitglied einer Redaktion nicht damit rausreden, dass es sich “doch nur um Sport handeln” würde, dafür hängt da deutlich zuviel dran. Im Falle des KSV die Existenz und der Abflug in die sportliche Bedeutungslosigkeit, an der die Hamburger Medien mit ihrer Art der Bericherstattung einen nicht zu unterschätzenden Anteil haben.

Quelle: https://www.abendblatt.de/meinung/article230124580/Medien-leben-von-ihrer-Glaubwuerdigkeit.html

“Och, wir sind doch der Boulevard. Wir machen doch nur Unterhaltungsfernsehen, wir dürfen das”. Klar, aber dann nennt euch nicht Journalisten. Nennt euch Verkäufer oder Märchenerzähler. So wie Herr Pit Gottschalk, seines Zeichens Chefredakteur bei Sport1. 

Ein Journalist, der seinen Tweet mit #NurderHSV abbindet. Unfassbar. 

Von | 2020-08-11T07:26:40+02:00 9. August 2020|Allgemein|5 Kommentare

5 Comments

  1. Demosthenes 9. August 2020 um 11:14 Uhr

    “HH setzt (:::) auf die Zuschauerbank?”
    Was setzt er denn, Geld, Vertrauen, alles auf eine Karte?
    Das Buch von Meinhard klingt lesenswert, danke für den Tipp.

  2. Ex-HSVer im Herzen 9. August 2020 um 11:42 Uhr

    Pit Gottschalk ist auch nur einer von den Arschkriecher-Buddy-Pseudo-Journalisten. Wie man so einen üblen Rechtschreibfehler in einen offiziellen Tweet einbauen kann ist mir einfach nur schleierhaft. Und der Tag ist doch klar! Anbiedern was das Zeug hält. Garantiert den kostenlosen Zugang zum VIP-Bereich.

    Der heutige Journalismus lebt doch nur noch von nichts sagenden Klicks und die daraus resultierende völlig sinnlose & ROI-ineffiziente Schaltung von Werbung. Das Internet und vor allem Social Media ermöglicht jeder noch so unwichtigen Person die Inszenierung und das Gefühl, wichtig zu sein.

    ?

  3. Hein Blöd 9. August 2020 um 11:50 Uhr

    Propaganda, mehr ist das nicht vom Gottschalk.

  4. VSabi 9. August 2020 um 14:44 Uhr

    CHEFREDAKTEUR bei Sport1 und keine fünf Zeilen ohne Rechtschreibfehler, so DUMM kann Herr Gottschalk nicht sein, NEIN es zeigt das Desinteresse!

  5. Wormfood 9. August 2020 um 21:14 Uhr

    Lohnschreiberei als eine Form von intellektueller Prostitution ist nun wahrlich kein neues Thema.

    Zeitungen haben Eigentümer und Zeitungseigentümer haben Interessen. Journalisten, die diese Interessen nicht bedienen wollen, müssen sich mit schlechter bezahlten Jobs abfinden.
    Ein Journalist, der sich von der Uni-Zeitung über die taz zur FAZ hochgedient hat, wird den Deibel tun, die dortigen Herausgeber und Eigentümer zu verärgern.

Die Kommentarfunktion wurde geschlossen.

Unser Archiv