Ein Gastblog von „Kerberos“ 

Es war schon ein denkwürdiger Tag, dieser 28. März 2020 in Deutschland. Das Land befand sich in den Fängen eines mysteriösen Virus, in einer Covid-19-Pandemie von epochaler Wirkung auf das Leben aller Bürger: Grundrechte eingeschränkt, Gesetze und Verordnungen in Teilen außer Kraft gesetzt, Schulen und Kitas flächendeckend geschlossen, öffentliche Veranstaltungen untersagt, Kontaktbeschränkungen im Privatbereich und mit 6.933 neuen virus-infizierten Menschen wurde der Höchstwert in der gesamten Covid-19-Pandemie amtlich bekannt gegeben. Und dann gab es da noch diese Meldung aus Hamburg, die am Ende des Tages nochmals mächtig aufhorchen ließ: Marcel Jansen, amtierender Präsident des Hamburger Sportvereins, hatte nun auch den Vorsitz im Aufsichtsrat der HSV Fußball AG übernommen.

Seinen Amtsantritt als „Boss der Bosse“ beim HSV kommunizierte Marcell Jansen dann eiligst auf einer Pressekonferenz am 30. März 2020 (nachzulesen auf der Homepage des HSV). Dabei bezog Marcell Jansen auch Stellung zur wirtschaftlichen Situation der HSV Fußball AG in der „Corona-Krise“ und führte dabei aus: „Das Team um Finanzvorstand Frank Wettstein hat in dieser Hinsicht in den letzten Jahren einen richtig guten Job gemacht, so dass wir sehr gut aufgestellt und gerüstet sind. Die aktuelle Stabilität macht uns Hoffnung, dass der HSV gut durch die Corona-Krise kommt. „. Und auch bezüglich Eigenkapital und weitere mögliche Anteilsverkäufe nahm Marcell Jansen deutlich Stellung. Das Thema Eigenkapital sei immer ein wichtiges Thema und führte zur 24,9%-Grenze bei Anteilsverkäufen aus: „24,9 hat eine lange Historie, die festgeschrieben wurde. Das war kein neues Thema.“

Aus heutiger Sicht darf festgestellt werden, dass Marcell Jansen zu seinen Amtsantritt als Aufsichtsratsvorsitzender der HSV Fußball AG ein ganzes Bündel wohlfeiler Phrasen zum Besten gab, die bemessen an der Aussagekraft über die tatsächliche Situation der HSV Fußball AG an Substanzlosigkeit nicht zu übertreffen sind. Denn heute, kein halbes Jahr später, propagiert der Präsident des Hamburger Sportvereins Marcell Jansen – adressiert an die Fans und Mitglieder des HSV – in verschiedenen Printmedien gänzlich unverblümt und ungeniert, dass weitere Anteilsverkäufe, auch über die 24%-Grenze hinaus, zur Existenzsicherung der HSV Fußball AG zwingend erforderlich seien.

Ach so: es wurde also in der HSV Fußball AG in den letzten Jahren herausragend gearbeitet und solide gewirtschaftet – doch nun will dieses „hinterhältige“ Covid-19-Virus zerstören. Die Botschaft an die Mitglieder des Hamburger Sportvereins ist ebenso klar wie schändlich: eine Ja-Stimme für eine Satzungsänderung zu weiteren Anteilsverkäufen, auch über die 24,9%-Grenze hinaus, ist eine Stimme für die Zukunft des HSV – eine Nein-Stimme wird hingegen auf ewige Zeiten den unweigerlichen Untergang des HSV zu verantworten haben. Trumpismus pur.

Denn was hat sich aus wirtschaftlicher Sicht der HSV Fußball AG tatsächlich durch die Covid-19-Pandemie seit dem 30. März 2020, dem Tag der denkwürdigen Pressekonferenz des Marcel Jansen, verändert. Wenig, denn es wurde und wird wieder Profi-Fußball gespielt. Die Saison 2019/20 konnte schlussendlich vollständig zu Ende gebracht werden und die Saison 2020/21 wird mit Sicherheit gespielt werden. Die TV-Gelder für die Saison 2019/20 flossen und werden gesichert auch in der kommenden Saison 2020/21 fließen. Das Transferfenster wurde angepasst und der Transfermarkt treibt bereits unfassbare Blüten wie eh und je. Einzig auf Zuschauer musste nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs für die Restsaison 2019/20 verzichtet werden und wird auf noch nicht absehbare Zeit auch weiterhin verzichtet werden müssen.

Doch kann dieser Covid-19-bedingte Umstand wirklich die zwingende Notwendigkeit für die HSV Fußball AG zu weiteren Anteilsverkäufen begründen? Für ein Unternehmen, das nach Aussage seines Aufsichtsratsvorsitzenden Marcell Jansen gut aufgestellt und gerüstet ist und dessen Finanzvorstand Frank Wettstein noch im Januar 2020 mit stolz geschwellter Brust auf ein Eigenkapital in Höhe von 41.1 Mio. (Eigenkapitalquote 24,7%) verwiesen hatte.

Eine Prognose für die kommende Saison 2020/21 in Bezug auf eine mögliche Ertragsminderung durch sogenannte „Geisterspiele“ ist selbstverständlich nur auf Grundlage historischer Bilanzdaten und sachgerechter Annahmen für die Zukunft möglich.

– in der Bilanz der Saison 2015/16 sind 35.3 Mio. als Einnahmen aus Spielbetrieb ausgewiesen (neben den Eintrittsgeldern sind hier auch die Einnahmen aus Catering, Mieten, etc. erfasst). Demgegenüber werden 17.7 Mio. als Aufwendungen aus Spielbetrieb ausgewiesen – mithin beträgt der Überschuss aus Spielbetrieb 17.6 Mio. In der Saison 2015/16 wurden 17 Bundesliga-Heimspiele mit einen Zuschauerschnitt von 53.700 bestritten. Im DFB-Pokal schied der HSV in der ersten Runde in einem Auswärtsspiel aus.

– in der Bilanz der Saison 2016/17 sind 38.8 Mio. als Einnahmen aus Spielbetrieb ausgewiesen. Demgegenüber werden 19.4 Mio. als Aufwendungen aus Spielbetrieb ausgewiesen – mithin beträgt der Überschuss 19.4 Mio. In der Saison 2016/17 wurden 17 Bundesliga-Heimspiele mit einen Zuschauerschnitt von 52.341 bestritten. Im DFB-Pokal bestritt der HSV die beiden ersten Runden als Auswärtsspiele und dann das Achtel- und Viertelfinale als Heimspiel.

– in der Bilanz der Saison 2017/18 sind 36.2 Mio. als Einnahmen aus Spielbetrieb ausgewiesen. Aufwendungen aus Spielbetrieb werden seit der Bilanz 2017/18 nicht mehr separat ausgewiesen und sind auf der Grundlage vorhergehender Bilanzausweisungen mit 50% der Einnahmen aus Spielbetrieb anzusetzen – mithin beträgt der kalkulierte Überschuss aus Spielbetrieb 18.1 Mio. In der Saison 2017/18 wurden 17 Bundesliga-Heimspiele mit einen Zuschauerschnitt von 50.657 bestritten und der HSV stieg direkt in die 2.te-Liga ab. Im DFB-Pokal schied der HSV in der ersten Runde in einem Auswärtsspiel aus.

– in der Bilanz der Saison 2018/19 sind 33.4 Mio. als Einnahmen aus Spielbetrieb ausgewiesen. Aufwendungen aus Spielbetrieb werden seit der Bilanz 2017/18 nicht mehr separat ausgewiesen und sind auf der Grundlage vorhergehender Bilanzausweisungen mit 50% der Einnahmen aus Spielbetrieb anzusetzen – mithin beträgt der kalkulierte Überschuss aus Spielbetrieb 16.7 Mio. In der Saison 2018/19 wurden 17 2.te-Liga-Heimspiele mit einen Zuschauerschnitt von 48.889 bestritten. Im DFB-Pokal bestritt der HSV die beiden ersten Runden sowie das Viertelfinale als Auswärtsspiele und das Achtel- sowie Halbfinale als Heimspiele.

– die Bilanz der Saison 2019/20 liegt noch nicht vor. In der Saison 2019/20 wurden 17 2.te-Liga-Heimspiele bestritten – davon 12 mit einem Zuschauerschnitt von 47.317. Im DFB-Pokal bestritt der HSV die erste Runde als Auswärtsspiel und schied in der zweiten Runde in einem Heimspiel aus.

Auf der Grundlage der historischen Bilanzdaten und unter der Annahme der Durchführung von 17 Liga-Heimspielen sowie 1 Pokal-Heimspiel (bei einem anzunehmenden Zuschauerschnitt von 45.0000) in der Saison 2020/21 als sogenannte „Geisterspiele“ wird die HSV Fußball AG covid-19-bedingt einen Überschuss aus Spielbetrieb in Höhe von ca. 15 Mio. nicht realisieren können.

Wie aber ist es möglich, dass bei einem gut aufgestellten und gegen die „Corona-Krise“ gerüsteten Unternehmen mit einer Bilanzsumme von 167.8 Mio. und einer Eigenkapitalquote von 24,7% das pandemiebedingte Ausbleiben eines Überschuss´ aus Spielbetrieb in Höhe von ca. 15 Mio. das gesamte Unternehmen in der Existenz bedroht und eine Kapitalerhöhung zwingend erforderlich wird? Ein solide geführtes Unternehmen, dass immer noch 300 Mitarbeitern herumwerkeln lässt, sein Direktorium mit neuen Posten und Pöstchen aufbläht und selbst bei neu zu verhandelnden Spielerverträgen keine selbstverpflichtende Gehaltsobergrenze bestimmt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Covid-19-Virus den Protagonisten der HSV Fußball AG als „Bösewicht“ wie gerufen kam. Zu keiner Zeit war die Chance der Protagonisten auf ein sorgloses „weiter so“ größer als heute und nun gilt es, diese Gelegenheit auf Gedeih und Verderb zu nutzen.

Und so gilt es auch heute weit weniger die Frage zu klären, ob der Hamburger Sportverein auf seine ¾-Mehrheit in der HSV Fußball AG grundsätzlich verzichten könnte und wenn ja, unter welchen Restriktionen. Denn das eine ¾-Mehrheit bei einem Verein nicht als Voraussetzung für Erfolg erforderlich ist, zeigt der FC Bayern München exemplarisch auf. In München hielt lange Zeit der Verein die ¾-Mehrheit und die 3 Investoren hielten jeweils 8,33% der Stimmanteile. Mit der Kapitalerhöhung hat der Verein seine ¾-Mehrheit aufgegeben – nur darf jetzt jeder der 3 Investoren max. 12,49% der Stimmanteile halten, so dass sich nur alle 3 Investoren gemeinsam mit einer Sperrminorität gegen mögliche Interessen des Vereins in der Hauptversammlung stellen könnten.

Bei der HSV Fußball AG ist jedoch eine Kapitalerhöhung in der aktuellen Konstellation untrennbar mit einem „weiter so“ verbunden und dieses „weiter so“ würde unweigerlich für die Fortschreibung von sportlichem und wirtschaftlichem Misserfolg stehen.

Betrugen die Einnahmen aus Sponsoring in der Saison 2015/16 noch 29.1 Mio., so hatten sich diese Einnahmen bereits in der Saison 2018/19 einschließlich des Sponsorings für Trikot und Stadionnamen mit 15.4 Mio. nahezu halbiert. Und das Auslaufen der Sponsorenverträge über Stadionname und Trikot nach der Saison 2019/20 war seit ewigen Zeiten bekannt (noch bevor das Covid-19-Virus überhaupt seinen Namen erhalten hatte). Ein Trauerspiel, denn die HSV Fußball AG läuft nun Gefahr, in der kommenden Saison 2020/21 lediglich noch Sponsoring-Einnahmen im einstelligen Millionenbereich generieren zu können oder unter finanziellem Druck ungünstige Verträge mit Sponsoren abschließen zu müssen.

Die Einnahmen aus der medialen Verwertung betrugen noch in der letzten Bundesliga Saison 2017/18 über 40 Mio. Und dies, obgleich auf Grund des Erstrunden-Ausscheidens im DFB-Pokal keine nennenswerten Einnahmen aus diesem Wettbewerb erzielt werden konnten. Für die kommende Saison 2020/21 darf die HSV Fußball AG im dritten Jahr der 2.ten Bundesliga nun lediglich noch mit einer Zuteilung von TV Gelder in Höhe von 19.5 Mio. rechnen und auf zusätzliche Einnahmen aus dem DFB-Pokal hoffen. Weder für den Bundesliga-Abstieg noch für die 1:5-Klatsche gegen den SV Sandhausen – beides ursächlich für das Halbieren der Einnahmen aus medialer Verwertung – wird das Covid-19-Virus in die Verantwortung genommen werden können.

Unbestritten viren-unbelastet ist auch das Sachvermögen der HSV Fußball AG. Hypothekenbelastet ist hingegen das Stadion der HSV Fußball AG als Besicherung des Schuldscheindarlehens über 40 Mio. zzgl. Zinsen und Kosten und somit de facto unverkäuflich. Sofern der in Medien kolportierte Instandhaltungs-Rückstand in Höhe von 20 Mio. tatsächlich zutreffend ist, sollten die Lichter im Stadion an der Müllverbrennungsanlage am besten sofort gelöscht werden.

Die vorstehende Darstellung der wirtschaftlichen Situation der HSV Fußball AG ist bei weitem nicht abschließend und könnte nahezu nicht enden wollend fortgeschrieben werden. Der Aufsichtsratsvorsitzende Marcel Jansen vertritt nun ja die Meinung, dass die HSV Fußball AG gut aufgestellt und gerüstet sei, weil das Team um Finanzvorstand Frank Wettstein in den letzten Jahren einen richtig guten Job gemacht habe – eine vor dem Hintergrund der Fakten doch sehr exklusive Auffassung von erfolgreichem Vorstandswirken. Überdies aber auch eine Auffassung, die berechtigte Zweifel an der Befähigung eines Marcel Jansen zum Aufsichtsratsvorsitzenden der HSV Fußball AG und Präsidenten des Hamburger Sportvereins begründet.

– In der Bilanz der Saison 2015/16 musste lediglich ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 0.2 Mio. ausgewiesen werden. Dies war jedoch ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass im Zuge der Konzernumbildung dem Stadion eine Wertzuschreibung „verpasst“ wurde in deren unmittelbarer Folge in der Bilanz der HSV Fußball AG ein sonstiger betrieblicher Ertrag in Höhe von 14.6 Mio. aus Umwandlung ausgewiesen werden konnte. Dies bewahrte damals den Finanzvorstand Frank Wettstein davor, einen Jahresfehlbetrag in Höhe von 14.8 Mio. in der Bilanz 2015/16 ausweisen zu müssen.

– In der Bilanz der Saison 2016/17 musste dann ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 13.4 Mio. ausgewiesen werden. Auch dieses Ergebnis war ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 26.5 Mio. – überwiegend begründet im Forderungsverzicht des Investors Klaus-Michael Kühne – in der Bilanz ausgewiesen werden konnten. Dies bewahrte erneut den Finanzvorstand Frank Wettstein davor, einen exorbitanten Jahresfehlbetrag in Höhe von 29.9 Mio. in der Bilanz 2016/17 ausweisen zu müssen.

– neue Bilanz, altes Spiel. In der Bilanz der Saison 2017/18 musste ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 5.8 Mio. ausgewiesen werden. Auch dieses Ergebnis war erneut nur dem Umstand geschuldet, dass sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 30.9 Mio. – wieder überwiegend begründet im Forderungsverzicht des Investors Klaus-Michael Kühne – in der Bilanz ausgewiesen werden konnten. Dies bewahrte den Finanzvorstand Frank Wettstein abermals davor, einen desaströsen Jahresfehlbetrag in Höhe von 36.7 Mio. in der Bilanz 2017/18 ausweisen zu müssen.

– In der Bilanz der Saison 2018/19 musste dann schließlich noch ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 8.0 Mio. ausgewiesen werden. Dieses Ergebnis war ebenfalls dem Umstand geschuldet, dass immerhin noch sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 3.5 Mio. – überwiegend begründet in kleineren Forderungsverzichten – in der Bilanz ausgewiesen werden konnten. Dies bewahrte den Finanzvorstand Frank Wettstein, einen Jahresfehlbetrag in Höhe von 11.5 Mio. in der Bilanz 2018/19 ausweisen zu müssen.

Eines dürfte an dieser Stelle bereits deutlich erkennbar geworden sein. Ein „weiter so“ der HSV Fußball AG mit den bekannten Protagonisten bedeutet aus sportlicher Sicht die Forstsetzung von „Pleiten, Pech und Pannen“ und wirtschaftlich betrachtet die Fortschreibung eklatanter und desaströser Misswirtschaft. Die nunmehr seit langer Zeit überfällige Transformation und Reorganisation des HSV erscheint unter der Führung der aktuellen Protagonisten ausgeschlossen, denn sie treten bereits seit Jahren nachhaltig den permanenten Beweis ihrer persönlichen Unfähigkeit zum Umdenken und Umsteuern an.

Eine Abschlussbemerkung zum Eigenkapital der HSV Fußball AG in Höhe von 41 Mio.: das Eigenkapital der HSV Fußball AG besteht ausschließlich noch aus dem Markennamen „HSV“ – einem selbstgeschaffenen immateriellen Sachvermögen, das mit knapp 42 Mio. aus der „Stillen Reserve“ gehoben und in der Bilanz aktiviert wurde. Alles nur noch Schall und Rauch – die HSV Fußball AG ist heute nur noch eine substanzlose Hülle – eine Tüte „Luft“.

Und genau dieser Umstand ist es, der die eigentlich entscheidende Frage aufwirft und die Mitglieder des Hamburger Sportvereins bezüglich einer Satzungsänderung zu weiteren Anteilsverkäufen in der aktuell konkreten Konstellation nachdenklich machen sollte: welcher seriöse Investor kann unter den gegebenen Umständen ein Interesse daran haben, viel Geld für eine Tüte „Luft“ zu bezahlen, wenn selbst die Tüte bereits fremdfinanziert ist?