Der Fußball tötet sich!

Neulich hatte ich eine überaus interessante Diskussion mit einem Freund, der sich doch tatsächlich ein Pokalspiel zwischen einem Zweit- und einem Fünfligisten angetan hat. Seine frustrierte Meinung nach dem Abpfiff: “Alter, war das schlecht. Das tut in den Augen weh, wenn du das siehst. Nicht nur die unterklassige Mannschaft, auch die Profis. Das ist ja überhaupt nichts”. Stimmt, das ist überhaupt nichts. Und es dokumentiert am Ende nur das, was man besonders in der zweiten Liga und darunter zu sehen bekommt, wenn man es dann sehen möchte: Technisch unterentwickelte Fußballer neutralisieren sich gegenseitig, selbst weit unterlegene Mannschaften schaffen es, ein Spiel lange offen zu gestalten, teilweise sogar mit einem lucky punch zu gewinnen. Warum ist das so?

Es ist so, weil das System bzw. der Fußball selbst dabei ist, sich zu töten. Heute ist es aufgrund der Athletik und des Laufvermögens der meisten Akteure möglich, technische Nachteile größtenteils aus dem Spiel zu nehmen, das Spiel ist durch Härte, permanentes Pressing oder defensive Disziplin statisch geworden. Zur Folge hat dies, dass die Individualisten aussterben. Erinnert man sich an frühere Zeiten (und man muss gar nicht bis Charlie Dörfel oder Ente Lippens zurückdenken), da gab es international aber auch in der Bundesliga reichlich Individualisten, die in der Lage waren, Spiele mit einer 1 gegen 1-Situation zu entscheiden. Dribblings, Körpertäuschungen, Finten, wenn man Spieler wie Ronaldinho denkt, an Thierry Henry etc. Alles so gut wie vorbei, heute killt die Athletik und die Systemtreue die Schönheit des Spiels. 

Wir haben denn im Verlauf der Diskussion überlegt, welcher Spieler in der Bundesliga noch in der Lage ist, einzelne spektakuläre Aktionen zu kreieren und sind eventuell bei Jadon Sancho hängengeblieben. Dieser überzeugt allerdings mehr mit seiner Antrittschnelligkeit, hat er den dafür notwendigen Raum nicht, kommt auch nicht mehr viel. Dies hat zur Folge, dass die Spiele, besonders in der zweiten Liga, immer austauschbarer und langweiliger werden. Eine Mannschaft wie der KSV, zumindest in der letzten Saison noch mit einem, für die Liga, Monster-Etat, stand sich quasi in jedem Spiel selbst im Weg. Warum? Weil Spieler mit weniger individueller Klasse, aber mit der nötigen Kondition und Systemtreue die technischen Vorteile eliminieren konnten. Steht ein Team diszipliniert in der Defensive, spielt man den Ball gefühlte 4.000 Mal zwischen Außenverteidigern, Innenverteidigern und Torhüter hin und her, hat am Ende 87% Ballbesitz und verliert durch einen abgefälschten Schuss in der 89. Minute. 

Aber das ganze hat noch eine andere Konsequenz. Dadurch, dass die Spiele immer langweiliger und unansehnlicher werden, muss das Event rund um das Match herhalten, um die Fans von tristen Treiben auf dem Rasen abzulenken. Treffen mit Kumpels, Diskussionen, Bier, all das hat inzwischen die Wichtigkeit des eigentlichen Anlasses abgelöst, man kommt vielfach gar nicht mehr wegen des eigentlichen Spiels ins Stadion. Und hier beginnt nun ein Riesenproblem, denn in Zeiten von Corona gibts das beliebte Drumherum nicht, geblieben ist nur der pure Fußball und der ist armselig. Dies fällt auch mehr und mehr denjenigen auf, die sich das Gebolze nun im TV antun müssen und sich fragen, warum sie eigentlich im Volksparkstadion jahrelang Champions League-Preise von € 80 und mehr in der zweiten Liga für ein Event bezahlt haben, welches sie selbst eigentlich erst zum Erlebnis machten. 

Fakt ist: Auch nach Corona wird der (Zweitliga)-Fußball nicht besser, aber dann wissen viele Anhänger, was ihnen dort geboten wird. Ob sich das dann immer noch so viele Hüpfer wie in der Vergangenheit geben wollen, wird die große Frage sein. 

Ach ja, es gibt wieder eine Tipprunde

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Von | 2020-09-24T17:20:15+02:00 14. September 2020|Allgemein|9 Kommentare

9 Comments

  1. Maddin 14. September 2020 um 08:08 Uhr

    Dazu fällt mir ein: Was früher eine “Blutgrätsche” war nennt sich heute “taktisches Foul”. Bei 75% aller gelben Karten wärst du früher zum Duschen gegangen.

  2. Hannes Grundmeyer 14. September 2020 um 08:44 Uhr

    Das letzte Spiel, dass ich im Volkspark live gesehen habe, war ein Pokalspiel im Frühjahr vor 2 Jahren, welches der HSV damals knapp gewonnen hat. Ich war auch mit ein paar Kumpels da und natürlich gabs auch 1-2 Bierchen, aber eigentlich stand bei uns immer der Fußball im Vordergrund. Fußball war das allerdings nicht, was uns da geboten wurde. Die Beschreibung des Spiels kann man aus Graves Text sehr gut entnehmen. Das war so schlecht, in der Kreisklasse wird zwar langsamer gespielt, ansonsten gabs aber keine Unterschiede.
    Wir haben die letzte halbe Stunde gezittert, dass nicht doch noch der Ausgleich fällt. Aber nicht, weil wir uns so sehr einen HSV-Sieg gewünscht haben, sondern weil wir eine Verlängerung dieses Grottenkicks um eine halbe Stunde nicht ertragen hätten. Das war ein Flutlichtspiel in der Woche und es hätte so ein schöner Fußball-Abend werden können. Aber dieses Rumgestochere hat uns den Rest gegeben.
    Wir waren seitdem nicht mehr im Stadion und keiner von uns ist auch nur auf die Idee gekommen, wieder hinzugehen.

  3. Hein 14. September 2020 um 09:20 Uhr

    Ist tatsächlich so …
    Im Handball würde es sowas nicht geben… da hätte ein vergleichbares spiel wie in deinem Beispiel ( sicher todesfelde gegen Osnabrück)
    Einen klaren Sieger für die höherklassige Mannschaft…
    Warum ist das so … die fussballer sind doch alle besser ausgebildet als vor 20 oder 30 jahren … macht der kopf so wenig mit ?

  4. Hanover1958 14. September 2020 um 10:07 Uhr

    Interview mit DFL-Seifert im Kicker: “In der Zielgruppe der 16-24 jährigen verliert der Fussball stark an Bedeutung…” Bezieht sich allerdings auf die Konkurrenz Premier League und Netflix. Weitere Beispiele: “Alabas Berater ist Geldgierig.” Gesagt vom Steuer-Uli.

  5. Volli 14. September 2020 um 11:17 Uhr

    Kann mich kaum noch daran erinnern, wann ich mir ein Spiel von der ersten bis zur 90 Minute angesehen habe. Traurig, aber mich langweilt dieses Gebolze nur noch. Gilt aber auch für viele anderen Sportarten, für die ich mich mal begeistern konnte. Vielleicht liegt es auch einfach an dem Überangebot an Sportübertragungen im TV. Man ist einfach satt!

  6. Thomas S. 14. September 2020 um 11:19 Uhr

    Genau mein Reden – diesen Fußball braucht kein Mensch! Jeder Spieler ist nur noch ein austauschbares Rädchen im System. Deswegen wäre man gut beraten, nicht nur darauf zu gucken, wie viele immer noch ins Stadion wollen, sondern wer, und ob dies wirklich noch wegen oder eher trotz des dargebotenen Fußballs geschieht (wie bei jungen, sich selbst feiernden Ultras oder älteren Sauf-Rentnern).

    Auch früher gab es eher langweilige Phasen, in denen die Defensive der Offensive überlegen war. Man denke nur an den EM-Titel der griechischen Maurermeister 2004. Aber nie war die Kluft zwischen Hype und Realität so groß wie heute.

  7. Sebastian 14. September 2020 um 11:38 Uhr

    “Alles so gut wie vorbei, heute killt die Athletik und die Systemtreue die Schönheit des Spiels. ” Gilt das nur für zweite Liga abwärts oder deiner Meinung nach auch in der 1.?

    • Gravesen 14. September 2020 um 11:44 Uhr

      Das gilt auch in (großen) Teilen für die Bundesliga, allerdings ist dort die Qualität der Spieler um ein Vielfaches größer als in der zweiten Liga und darunter. Meiner Meinung nach ist der qualitative Unterschied zwischen Bundesliga und zweiter Liga auch mehr als eine Liga.

  8. Marc Lorenscheit 14. September 2020 um 13:13 Uhr

    Ich habe mir letzte Saison einige Heimspiele von Preußen Münster (Abstieg aus der 3. Liga) im Stadion mit meinen Jungs angeschaut. Ich habe absolut keinen Unterschied zu Spielen z.B. zwischen KSV und Bochum o.ä. feststellen können. Aber es war deutlich günstiger.
    Das letzte große Spiel, dass ich gesehen habe (und auch das einzige in den letzten 4 Jahren) war letzte CL-Saison BVB-Barcelona im September 2019. Dort bin ich natürlich für meine Kids hingegangen und auch um einmal Messi live erleben zu können. Denn gerade Spieler wie er (oder die von Grave erwähnten) machen den Reiz des Fußballs aus. Leider war er kurz davor verletzt und hat nur die letzten 20 Min. oder so mitgespielt und war eigentlich auch neben der Spur, bis auf eine Aktion. Im Rückspiel war er dann wohl deutlich besser, habe ich aber nicht gesehen.
    Ich stimme völlig zu, Fußball ist völlig uninteressant geworden. Typen, Ausnahmespieler gibt es kaum bis gar nicht mehr. Es wird fast nur noch körperlich agiert, sodass man sich die Kicks größtenteils nicht mehr anschauen kann. Da gucke ich mir lieber die U11 meines Sohnes am Wochenende an. Den Kids sieht man noch die Begeisterung für das Spiel an und das kommt auf dem Platz dann auch so rüber. Alles andere kann man getrost vergessen. Ich bin froh, dass ich Sky gekündigt habe und mich auch sonst nichts mehr in die Stadien zieht. Das Geld kann ich viel besser anlegen und die Zeit sowieso.

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