Es ist einige Jahre her, da gab es die Sportübertragung nicht, die ich mir nicht angucken musste. An den Wochenende, denn normalerweise finden wichtige Sportereignisse am Samstag oder Sonntag statt, war mein Zeitplan so angelegt, dass ich all die Dinge, die ich zu erledigen hatte, dann erledigen konnte, wenn nichts sportliches in der Glotze lief. Dies betraf die gesamte Bandbreite von Einkäufen, Gartenpflege, Treffen mit (Sport-desinteressierten) Freunden, Nahrungsaufnahme etc. Wenn ich selbst Sport machte, achtete ich darauf, es zu machen, wenn andere es gerade nicht taten. Kurzum – ich war ein absoluter Sportfanatiker. Und während ich Ereignisse wie Skisprung, Formel 1 oder Freiwasser-Schwimmen noch mit einer angedeuteten Neutralität betrachten konnte, so war ich, was meinen Verein betraf, fanatischer als fanatisch. Hatte der KSV verloren, war der Rest meines Wochenendes im Eimer, Schuld waren wahlweise die Schiedsrichter, die DFL oder das Wetteramt. Dann wurde ich erwachsen…

Ich denke, es war gar nicht einmal eine Frage des Alters, sondern vielmehr eine Frage der Entwicklung, meiner und die des professionell betriebenen Sports. Ein Beispiel: Wenn es meine Zeit zu lies, verpasste ich kaum eine Etappe der Tour de France, ich fand es absolut faszinierend, wie Menschen über ihre Grenzen gehen konnten. Überhaupt war dies aus meiner heutigen Sicht der eigentliche Grund für meine Sport-Begeisterung – ich bewundere Menschen, die talentierter, engagierter, fleißiger oder mit mehr Herz bei der Sache waren als andere und diese deshalb im sportlichen Wettkampf besiegen konnten. Der Bessere stand am Ende oben und nicht der, der mehr Geld dafür bekam. Doch nach und nach fing meine Beziehung mit dem Sport an zu kriseln, die folgenden Angaben erheben keinen Anspruch auf korrekte chronologische Abläufe. Denke ich heute an die Tour de France, denke ich an Jan Ullrich und an Lance Armstrong, nicht an Rudi Altig. Ich denke nicht an den Col de Tourmalet, sondern an Profiteure, die sich ihre Triumphe auf illegalem Weg beschafft haben. Und ich denke an Marco Pantani, der dafür sein Leben ließ. Angucken tue ich mir das nicht mehr. 

Denke ich an Leichtathletik, dann denke ich nicht mehr an Klaus Wolfermann, sondern an bis in die Haarspitzen gedopte Kenianer. An russisches Staatsdoping, nicht im Jahr 1988, sondern 2021. Nordischer Skisport, gesperrte Nationen wie Russland, österreichisches Blutdoping. Und das sind nur die, die man erwischte. Ich behaupte, dass man heutzutage in Ausdauer-Sportarten wie Ski-Langlauf, Lang- und Mittelstreckenlauf und natürlich auch beim Gewichtheben etc. ohne „Hilfsmittelchen“ nicht mehr unter den Top 50 der Welt auftreten kann. Das Schlimme ist: Eigentlich weiß das jeder. Aber okay, ich hatte ja immer noch meinen Fußball und der war sauber. Dann kam Hoyzer und auch er war nur die Spitze des Eisbergs. Babak Rafati. Robert Enke. Der Fußball, mein Fußball, hatte eine Unschuld verloren, die er wahrscheinlich nie hatte. Denke ich heute an Fußball, denke ich nicht an Fritz Walter, sondern an gekaufte Sommermärchen, an unverzollte Rolexuhren, an eine WM in Katar (was für ein Wahnsinn), an Josef Blatter und an 6.500 versklavte Arbeiter,  die in den letzten 10 Jahren im Emirat sterben mussten, weil Scheichs durch weltweit übertragene Sportveranstaltungen ihr Image (und ihre Konten) polieren wollen. 

Denke ich an den KSV, dann denke ich nicht mehr an Athen 1983, ich denke an Football Leaks, an „Alles andere ist Propaganda“, an Volker Struth und Düdü Beiersdorfer. Unmittelbar, nachdem ich an Kevin Keegan denke, denke ich an Witzfiguren wie Mutzel und Boldt und ich bilde mir ein, das solche Clowns früher bei meinem Verein nicht möglich gewesen wären. Aber das bilde ich mir ein, es gab sie immer, nur wollte ich sie nicht sehen. Heute, aber wahrscheinlich schon seit vielen Jahren, geht es in keiner Sportart mehr um den Sport oder um Leistung oder Medaillen, es geht ums Geld und nichts anderes. Wer mehr Geld hat, steht oben und bekommt noch mehr Geld dafür. Es gibt Spielerberater, die leisten in meinen Augen weniger als eine Klofrau im Volksparkstadion, aber sie bekommen zweistellige Millionensummen. Für nichts. Oder dafür, dass sie die Eltern von 14-Jährigen bequatscht haben und ihnen was in Aussicht gestellt haben? Richtig, Geld. 

Heute will ein 12-Jähriger nicht mehr Fußball-Profi werden, weil er irgendwann einmal Weltmeister werden, sondern weil er mit 23 Millionär sein will. Bundbemalte Arme und Bentley, anstatt Pokale und Urkunden. Ich habe mit 11 Jahren angefangen, in einem Verein zu kicken und über Geld habe ich mir keine Sekunde Gedanken gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil man 1975 mit diesem Sport nicht unendlich reich werden konnte, aber vielleicht deshalb, weil mich der Sport immer mehr interessiert hat als das Konto. Glücklicherweise haben sich zumindest Teile dieser persönlichen Einstellung gehalten, ich erkenne dies an meinem Blog. Lieber ehrlich sein und dafür beleidigt werden, anstatt PR-Märchen erfinden und dafür gefeiert werden. Lieber selbst dafür bezahlen, als von einem Sponsor, der den Inhalt bestimmen will, bezahlt zu werden. Lieber Nr. 9 in der Rangliste von Deutschlands größten Fußballblogs sein und aufrichtig zu bleiben, anstatt als Nr. 3 das Blauen vom Himmel zu lügen. Wäre dieser Blog ein Läufer, so würde er in einem 5.000 Meter-Lauf wahrscheinlich zwei Runden vor Schluss überrundet werden, aber er war im Endlauf. Und er war sauber. 

Was den Fußball betrifft, so hat er das große Problem, dass ihm Corona in brutalster Art und Weise die Maske von der hässlichen Fratze gerissen hat. Ansonsten hätte es vielleicht noch ein paar Jahre gedauert, bis den zahlenden Fans aufgefallen wäre, dass sie im Grunde nur nettes Beiwerk, aber keinesfalls wichtig sind. Die Erkenntnis vieler, dass die große glückliche Fußballfamilie ebenso in einer kranken Blase lebt wie die ihn unterstützenden Hofberichterstatter-Medien, kam später, aber sie kam. Und diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten.