Für jemanden, der über einen Verein berichtet, ist es mindestens genau so wichtig, ab und an einmal über den Tellerrand zu blicken wie für jemanden, der sich für einen Anhänger oder Fan hält. Denn oftmals ist der Blick auf den eigenen Verein oder auch die eigenen Spieler derart verstellt, dass man eine erwartbare Leistungs- und Ergebnisdelle gar nicht versteht, obwohl sie sich eigentlich lange zuvor angekündigt hatte. Ich möchte es einmal verdeutlichen: Berichtet man im Wesentlichen über den KSV, dann hat man in erster Linie nur die „eigenen Spieler“ vor Augen. Man kennt die Namen und die Lebensläufe, weiß, woher diese Spieler kamen und mit welchen Vorschusslorbeeren sie von den örtlichen Hofberichtern ausgestattet waren. Wie oft durften wir in Hamburg in all den Jahren erfahren, dass der nächste Ü30-Superstar oder das übernächste Atom-Juwel eigentlich schon auf dem Weg nach Mailand oder Madrid war, bevor es dem Sportchef mit dem weltgrößten Netzwerk gelungen war, den Kracher von einem Wechsel nach Hamburg zu überzeugen. Im Gegenzug wissen die Meisten von uns über die Spieler von Konkurrenten wie Fürth, Bochum oder Kiel zu gut wie gar nichts, zur Not kennt man nicht einmal die Namen der Leistungsträger.

Dieses Unwissen blendet die Sinne, denn viele meinen, weil sie die Namen der Anti-Fußballer des eigenen Vereins kennen, sind die anderen, die sie nicht kennen, leistungsschwächer. Dass dies ein Trugschluss ist, erkennt man, wenn man sich die Noten der Spieler anguckt. Ein Beispiel: Nimmt man die Rangliste nach 23 Spieltagen, so stehen unter den Top 10 der Zweitligaspieler insgesamt drei Akteure von Holstein Kiel (Gelios/1, Lee/6, Bartels/9), drei Spieler aus Fürth (Raum/3, Seguin/6, Hrgota/8), ein Bochumer (Riemann), einer vom KSV und einer aus Aue. Kein Spieler des selbsternannten Aufstiegsfavoriten aus Hamburg. Der erste Spieler des KSV thront auf Rang 39 und heißt Ambrosius, auf Rang 65 folgt Herr Dudziak, 70. ist Simon Terodde. Vor Ambrosius stehen namhafte Akteure wie Vrenezi (Regensburg), Hüsing (Heidenheim), Wahl (Kiel) oder Reis (Osnabrück). Allesamt Spieler, die wohl nur eingefleischten Zweitliga-Enthusiasten ein Begriff sein dürften. Es kommt jedoch noch schlimmer…

Als ich auf der Suche nach den kostengünstigen Säulenspielern war, musste ich scrollen wie ein Weltmeister. Auf Platz 90 fand ich dann Zitterfuß Ulreich, laut der Kicker-Statistik übrigens zweitschlechtester Torhüter der Liga. Ihm folgt unmittelbar auf Patz 166 unser aller Himbeer-Toni Leistner mit einer Durchschnittsnote von 3,73. Kein Wunder, dass es nicht mehr rund läuft, wenn dieser Abwehrgigant verletzt ausfällt. Nach 23 Spieltagen belegt der KSV nach Durchschnittsnoten aller Spieler übrigens den 7. Platz, noch hinter Aue, Heidenheim und Karlsruhe. 

Deswegen sagte Sportdirektor Mutzel am Tag danach: „Sven Ulreich hat uns ein paar Mal im Spiel gehalten. Er hat eine sehr gute Partie gemacht und da sehe ich auch keine andere Perspektive.“ Doch es gab auch andere Perspektiven. „Bild“ und „Mopo“ bewerten Ulreichs Leistung mit einem „ausreichend“, im nicht gerade für überdurchschnittlich gute HSV-Noten bekannten „Kicker“ gab es nur eine 4,5. In der Notenschnitt-Rangliste des Fachmagazins für alle Torhüter, die mindestens 50 Prozent der Spiele gemacht haben, wird nur Würzburgs Fabian Giefer (3,83) schlechter bewertet als Ulreich (3,4) (Quelle: Abendblatt.de)

Ich kann mich erinnern, dass ich in diesem Blog diese Verpflichtung bereits vor dem ersten Einsatz kritisch gesehen habe, denn meiner Auffassung nach agierte Ulreich in München, wenn er denn mal spielen durfte, hinter einer der besten Abwehrreihen Europas und nicht hinter einem fragilen Gebilde aus Maltafüßen wie in Hamburg. Das aber wollte damals niemand hören bzw. lesen. Was ich aber eigentlich damit sagen will: Der KSV ist längst nicht so gut (besetzt), wie es die Gehaltszahlungen sagen und wie es uns die Hofberichterstatter verkaufen wollen. Da man aber zumeist nur den Blick auf den eigenen Verein hat, ist dieser getrübt und häufig fällt man auf die Nennung der vermeintlich „großen“ Namen rein, während bei anderen Vereinen Spieler hervorragend performen, die einen Bruchteil des Gehalts der Hamburger Grobmotoriker einstreichen. Dies wäre aber die Aufgabe von Sportvorstand, Sportdirektor, Sportchef, Chef-Scout etc. gewesen, endlich einmal solche Spieler zu finden. Auf Kicker wie Ulreich, Terodde, Leistner oder Gjasula kommt wirklich jeder, der abnimmt, wenn der richtige Berater anruft. Auch und besonders aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass all die überbezahlten Herren mit den Initialen auf den Trainingsjacken seit Jahren einen beschissenen Job machen. Und Besserung ist nicht in Sicht. 

Wenn nun aber die Nummer Rom 2.0 droht und Selbstvermarkter Boldt seinen Namen in Frankfurt, Berlin oder Schalke ins Spiel bringt, nur um zu demonstrieren, wie begehrt er doch ist und wie froh man in St. Ellingen sein kann, ihn unter Vertrag zu haben, sollte man umgehend die Reißleine ziehen. Der Mann kann, außer eine widerwärtige Arroganz an den Tag zu legen, wirklich gar nichts. Wie man an den Noten ablesen kann. Ach ja, Ralle Rangnick. Wie verzweifelt man in Hamburg und Umland mittlerweile ist, lässt sich unschwer an den Reaktionen einige Strahlungsopfer ablesen, die in kollektive Schnappatmung verfallen, wenn der Schwabe das Wort „Hamburg“ in den Mund nimmt. Rangnick ist nun wirklich alles, aber garantiert nicht der Mann, den man beim KSV braucht. Vergessen? RR hatte sowohl in Hoffenheim wie auch in Leipzig und eigentlich auch auf Schalke nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung, der KSV dagegen ist nahezu insolvent. Außerdem geht mir dieses ständige Gewimmer nach dem „einen starken Mann“ inzwischen derart auf die Eier. Niemand, weder Rangnick, noch Sammer und auch nicht Klopp könnten den Verein in die Spur bringen, wenn dieser nicht zuvor seine Strukturen überdenkt und ändert. Also: Erst den Verein ändern (wie z.B. Moritz Schäfer es geplant hatte) und dann den starken Mann holen. Nicht andersrum. 

Ob das jemals passiert, wird man sehen. Ich jedenfalls werde weiterhin schlumpfig vor mich hingrinsen 😀 

しょうがない