Die Älteren unter uns werden sich erinnern, wir schrieben den 14.03.1997, es war die 89. Spielminute. Das Hinspiel im Stadtderby hatte der KSV noch deutlich mit 3:0 für sich entscheiden können, im Rückspiel gegen den FC St. Pauli, welches ebenfalls im Volksparkstadion gespielt wurde, führte der Verein aus St. Ellingen mit 2:1. Der Sieg schien sicher, dann geschah das Unfassbare. Kapitän Richard Golz (sorry Richie für den Ausflug in die Geschichte) versuchte einen Flachpass, traf einen St. Paulianer, Querpass zu Scharping, 2:2. Keine 3 Punkte im ewigen Duell, sondern nur ein mickriges Pünktchen. 

Als es dem HSV trotz besser werdender Kombinationen über die Achse Kmetsch-Spörl nicht gelang, den Sack zuzumachen, wurde Pisarew mit dem Ausgleich für sein großes kämpferisches Engagement belohnt. Dennoch wandte sich das Blatt wieder zugunsten der „Gäste“, als Kmetsch mit seinem verdeckten Freistoß die neuerliche Führung besorgte. St. Pauli am Boden, doch HSV-Keeper Golz verschaffte der Mannschaft vom Millerntor mit seinem kapitalen Patzer doch noch einen Teilerfolg. (Quelle: Kicker.de)

Richard Golz erhielt am nächsten Tag im Kicker die Note 5, genauso wie übrigens ein gewisser Hasan Salihamidzic, aber für den hatte dieses Ergebnis eher keine Konsequenzen.  Für Torhüter Golz (und Kapitän) Golz schon, denn er spielte die Saison noch unter Schimpf und Schande zu Ende, verlor in der Saison 1997/98 seinen Stammplatz an Hans-Jörg Butt, bevor er dann 1998 ins Exil zum SC Freiburg wechselte, dort blieb er dann bis 2006. Was aber hatte sich der bis dahin untadelige Golz zu Schulden kommen lassen, dass ihn die eingefleischten KSV-Fans in einer Zeit ohne Blogs und Podcast zur Hölle wünschten? Er hatte einen Fehler gegen den Stadtrivalen St. Pauli gemacht und einen sicheren Sieg verhindert. Das wurde Ende der 90er Jahre nicht verziehen. Niemandem. Und heute? 

Am 01.03.2021 verliert der KSV (mal wieder) gegen St. Pauli, diesmal mit 0:1. Diesmal in der zweiten Liga. Torhüter Ulreich spielt wieder einmal wie ein fußballerischer Analphabet, bekommt vom Kicker die Note 4,5. Durch dieses Ergebnis ist der überlebenswichtige Wiederaufstieg erneut stark gefährdet, der KSV steht nach dem Spiel auf Platz 4. 

St. Pauli war Derbysieger – und der HSV musste in der Nachspielzeit noch einen weiteren Rückschlag verarbeiten: Kapitän Leibold beging an der Seitenlinie eine Tätlichkeit an Burgstaller und musste nach erneutem Videobeweis mit glatt Rot vom Platz (90.+5). (Quelle: Kicker.de)

Und? Interessiert das irgendeine Sau tatsächlich? Fordert irgendein Honk den Kopf von Zitterfuß Svenni oder von Rotsünder Leibold? Bullshit, es kratzt kein Schwein mehr. Schlimmer noch, Nachtreter Leibold wird teilweise noch abgefeiert, weil er „sich gewehrt hat“, was für ein Irrsinn. Was aber zeigt uns das? Zunächst einmal zeigt es, dass sowas wie kritisches Denken oder gar ein Anspruch im Volkspark irgendwann zwischen 1997 und 2021 über die Wupper gegangen ist. „Stadtderby verkackt? Ist doch egal, ich muss noch zu Penny“. Was früher 10 Tage vor und 6 Tage nach dem Match eine ganze Stadt elektrisierte, muss heute von den hofberichtenden Kriechermedien verzweifelt künstlich gehyped werden, sonst weiß kaum noch einer, dass es überhaupt stattfindet. Das Ergebnis selbst ist wie das Spiel bereits 32 Minuten nach Abpfiff vergessen und zwei Wochen später weiß kaum noch eine Sau, wie das Match ausgegangen ist. 

Der KSV als Verein aber auch der Rest der Fußballwelt ist unmaßgeblich geworden und das liegt nicht an Corona. So wie die Ablösesummen, die Gehälter, die Beraterhonorare und die Wettbewerbe gewachsen sind, ist das Interesse geschrumpft. Dieser Sport im Allgemeinen und der KSV im Speziellen ist kein echter Bestandteil des täglichen Lebens mehr, es ist irgendein (teures) Produkt geworden, dass man sich vielleicht ab und zu mal leistet, welches aber nicht mehr lebensnotwendig ist. Ich jedenfalls habe mich in den 90ern irgendwie wohler gefühlt, auch wenn mein Verein damals eine echte Horrortruppe hatte. Aber das war damals noch mein Sport, heute ist es nichts mehr.