In knapp drei Wochen wird der Mann 70 Jahre alt und normalerweise ist dies ein Alter, in dem man kürzer tritt, seine Freizeit genießt, Reisen unternimmt oder sich seinen Enkelkindern widmet. Horst Hrubesch hat das nicht gemacht, er hat das genaue Gegenteil getan. Er hat sich in das wohl schlimmste Haifischbecken des deutschen Fußballs begeben und es wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum er sich das nach seiner eigenen aktiven Karriere beim KSV und der anschließend nicht minder erfolgreichen Karriere beim DFB antun musste. Denn Hrubesch musste schon am Tag seiner Unterschrift gewusst haben, dass er das, was von ihm erwartet wird, nicht wird leisten können. Nicht etwa, weil er nicht will und auch nicht, weil er nicht kann, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil nicht mal er zaubern kann. Aus einem heruntergewirtschafteten Verein, durchsetzt mit Intriganten, Lügnern und Selbstoptimierern kann man in der Zeit, die ihm in seiner aktuellen Funktion noch bleibt, nichts erschaffen und ich möchte auch erläutern, warum nicht. 

„Natürlich spielt man hier mit einer größeren Qualität.“ Sagte EM-Teilnehmer Josha Vagnoman (20) auf die Frage, wie er die deutsche U21 und den HSV im Vergleich sehe.

Wir müssen ein wenig in der Zeit zurückgehen, ich meine, es war das Jahr 2012, also am Anfang der Blog-Geschichte von HSV-Arena. Die Profis trainierten noch in Ochsenzoll, dort war auch die Heimat der Nachwuchsmannschaften. Eines schönen Tages machte ich mich auf den Weg Richtung O’Zoll, auf den Plätzen dort hatte ich selbst einige Jahre gespielt und trainiert. Ich stand da also am Rand eines der zehn Plätze und guckte mir ein Trainingsspiel einer U14 oder so an, als neben mir ein Mann in mittleren Jahren auftauchte. Da wir die einzigen Zuschauer waren, kamen wir ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass der Mann beim Verein angestellt war, es handelte sich um den damaligen Skandinavien-Scout des KSV. Das fand ich natürlich außerordentlich interessant und stellte ein paar Fragen, die auch sehr offen und sehr inhaltsreich beantwortet wurden. Zwei Geschichten aus diesem Gespräch sind mir in Erinerung geblieben, beide handelten von Spielern, die zum damaligen Zeitpunkt noch in der Jugend ihrer Klubs spielten. Der Mann erzählte mir zum Beispiel folgendes: „Wir haben vor einigen Jahren, vielleicht drei, in Dänemark einen Spieler gesehen, von dem sofort zu erkennen war, dass der was wird. Natürlich haben wir uns um ihn bemüht als er ca. 15 Jahre alt war, aber wir hatten keine Chance. Der Junge kostete damals schon mehr als € 500.000 und an den KSV haben er und sein Berater keinen Gedanken verschwendet“. Der Name des Spielers war: Pierre-Emile Höjberg. Er ging 2012 nach München, spielt heute für Tottenham und hat einen Marktwert von € 20 Mio. 

Die zweite Geschichte, die mir der Mann erzählte, fand nicht im Ausland, sondern direkt vor der Tür in Bremen statt. „Wir haben da einen Jungen gesehen, der wird eine Rakete, da gehe ich jede Wette ein. Einnert so ein wenig an den jungen Marco Reuss. Sauschnell, technisch klasse, zukünftiger Nationalspieler. Aber da haben wir auch keine Chance, der ist nach Wolfsburg gegangen und wird ähnliches kosten wie Höjberg, wenn er nach Leverkusen geht.“ Julian Brandt wechselte als 17-Jähriger zu Bayer 05, spielt heute für Dortmund und Deutschland und hat einen Marktwert von € 30 Mio. Was ich damit sagen will: Es ist nicht so, dass die Scouts des KSV diese Spieler nicht sehen oder kennen, denn das tun sie, keine Frage. Sie hatten aber bereits zu Zeiten, in denen der KSV noch in der Bundesliga spielte, nicht den Hauch einer Chance, solche Spieler zu kriegen und zwar sowohl aus finanziellen wie auch auch sportlichen Gründen. Heute dümpelt man im dritten Jahr in der zweiten Liga und hat überhaupt eine Kohle mehr. Und auch ein Horst Hrubesch kann aus einem Ackergaul keinen Weltstar machen. 

Aber was kann er überhaupt tun? Wenig. Er kann aus den Möglichkeiten, die der Verein noch hat, das Bestmögliche versuchen, in dem er dem vorhandenen „Spielermaterial“ seine Arbeitsethik vorlebt. Einstellung, Fleiß, Bereitschaft. Natürlich sollte dies eigentlich selbstverständlich sein, wenn man mit seinem Beruf vielleicht irgendwann mal Millionen verdienen möchte, ist es aber nicht. Jedoch zu denken, dass der KSV in der nahen Zukunft irgendwelche echten Juwelen produziert und keine Amaechis oder Vagnomans o.ä., das ist lächerlich. Diese Jungs sind nun einmal zwei oder drei Klassen unter dem angesiedelt, was mit 14 – 16 Jahren nach Leipzig, Freiburg, Gladbach oder auch zu Union Berlin geht und diesen selbstverschuldeten Abstand wieder wettzumachen, das dauert viele viele Jahre und es gibt keine Garantie, dass es tatsächlich funktioniert. 

Aber warum dann Hrubesch? Ganz einfach, Hrubesch war ein gelungenes Manöver von Heimschläfer Boldt, um an seiner eigenen Vereins-Legende zu arbeiten. „Guckt mal, ich habe es geschafft, ich habe euch Hrubesch verschafft. Das ist vorher noch keinem gelungen“. Mag sein, aber es ist auch irrelevant, denn weder der Verein KSV noch der Name eines fast 70-jährigen haben irgendeine Strahlkraft, die ein Nachwuchsstar oder dessen Berater das große Geld vergessen läßt, dass er woanders schon relativ früh einstreichen kann. Das sind vielleicht die feuchten Träume von rosa Ü85-Hüpfern, sie haben aber leider nichts mit einer ausschließlich monetär ausgerichteten Profit-Gesellschaft zu tun. Was also bleibt ist eine Politik der ganz kleinen Schritte, eine Politik, die mit viel Aufbauarbeit, viel persönlichem Investment und mit einem sehr langem Atem verbunden ist. Ich bezweifel, ob Herren wie Boldt oder Mutzel diesen langen Atem mitbringen und ob Hrubesch den Job auch noch mit 80 machen möchte, bezweifel ich noch mehr. 

Tatsache ist: Hrubesch wäre am Tag der Ausgliederung, im Jahr 2014, der richtige Schritt gewesen. 2020 ist er nicht wesentlich mehr als eine PR-Aktion.