Ich weiß es nicht zu 100%, aber ich glaube, es war Jürgen Klinsmann, der für Hertha BSC den Begriff „Big City Club“ erfand, einhergehend mit dem Anspruch, dass sich ein Großstadt-Verein auch wie ein großer Verein zu verhalten habe. Große Ansprüche, große Ausgaben, große Worte. Leider folgten danach keine großen Taten, im Gegenteil. Die Berliner schmissen mit Windhorsts Geld um sich wie mit Kamellen, am Ende stand Abstiegskampf bis zum vorletzten Spieltag. Wie man mit einem Team, das auf dem Papier und laut Transfermarkt.de einen Kaderwert von € 220 Mio. repräsentiert, überhaupt in eine solche Situation geraten konnte, ist eines der großen Rätsel unserer Zeit. 

1983, beim ersten Duell zwischen Schaaf und Funkel, war Kramer gerade mal elf Jahre alt und die Welt eine andere, auch im Fußball. Pokalsieger wurde der 1. FC Köln, Meister und Europapokalsieger der Landesmeister wurde der Hamburger SV. Seitdem haben die Geißböcke nichts mehr gewonnen, sind aber sechsmal abgestiegen. Und der HSV, der immerhin 1987 nochmal den Pokal, danach aber auch nichts mehr holte, versucht sich seit drei Jahren vergeblich und immer verzweifelter an der Bundesliga-Rückkehr. Mittlerweile sind selbst die hämischen Kommentare über das anhaltende Versagen der Hanseaten kaum noch zu hören, das traurige Bild des abstürzenden Bundesliga-Dinos erzeugt fast nur noch Mitleid. Zur beliebtesten Zielscheibe für Hohn und Spott ist dagegen in den vergangenen zwei Jahren Hertha BSC geworden. (Quelle: spox.de)

Aber – die Berliner sind nicht allein. Von den 18 größten bzw. einwohnerreichsten Städten Deutschlands kann weniger als die Hälfte von sich behaupten, sie wären Heimat eines Bundesliga-Vereins. (Stand: 22.05.2021). Ich habe diese Städte und ihre Einwohnerzahl einmal aufgeschrieben, um die Situation zu verdeutlichen. 

Berlin (3,6 Mio.), Hamburg (1,8 Mio.), München (1,5 Mio.), Köln (1,1 Mio.), Frankfurt (0,76 Mio.), Stuttgart (0,63 Mio.), Düsseldorf (0,62 Mio.), Leipzig (0,60 Mio.), Dortmund (0,59 Mio.), Essen (0,58 Mio.), Bremen (0,57 Mio.)Dresden (0,56 Mio.), Hannover (0,54 Mio.), Nürnberg (0,52 Mio.), Duisburg (0,40 Mio.), Bochum (0,37 Mio.), Wuppertal (0,35 Mio.), Bielefeld (0,33 Mio.).

Man sieht: Die Größe einer Stadt allein garantiert noch lange keinen erfolgreichen Fußball. Dagegen haben es deutlich kleinere Gemeinden geschafft, sich und ihren Verein seit Jahren in Deutschlands höchster Spieklasse zu etablieren. 

Wolfsburg (0,12 Mio.),  Leverkusen (0,16 Mio.), Mönchengladbach (0,26 Mio.), Freiburg (0,23 Mio.), Sinsheim (0,03 Mio.), Augsburg (0,29 Mio.), Mainz (0,22 Mio.), Gelsenkirchen (0,26 Mio.)

Bemerkenswert: Sollte es der 1. FC Köln geschafft haben, die Klasse zu halten, wäre Hamburg die einzige Millionenstadt Deutschlands ohne einen Bundesliga-Klub. Weiten wir das ganzen europäisch aus und gucken uns an, wie die Situation in anderen Ländern Europas aussieht. Wir betrachten die 15 größten Städte des Kontinents. 

Moskau (12,5 Mio.) – Spartak Moskau, ZSKA Moskau, Lokomotive Moskau, Dynamo Moskau

Istanbul (9,7 Mio.) – Galatasaray, Fenerbahce, Kasimpasa, Besiktas, Istanbul Basaksehir

London (8,9 Mio.) – FC Arsenal, der FC Chelsea, West Ham United, Tottenham Hotspurs,FC Watford, Crystal Palace

St. Petersburg (5,4 Mio.) – Zenith St. Petersburg 

Berlin (3,7 Mio.) – Hertha BSC, Union

Madrid (3,3 Mio.)- Real, Atletico, Getafe

Kiew (3 Mio.) – Dynamo

Rom (2,8 Mio.) – AS, Lazio

Paris (2,1 Mio.) -St.Germain

Minsk (2 Mio.) -Dynamo, Energetik, FC, FK Isloch

Wien (1,9 Mio.) –  Rapid

Hamburg (1,8 Mio.) – 

Traurig, aber wahr. Als 12.-größte bzw. bevölkerungsreichste Stadt Europas ist Hamburg die einzige „Big City“ ohne Erstliga-Klub. Nach Hamburg folgen übrigens die Städte Bukarest, Warschau, Budapest, Barcelona, München, Mailand, Belgrad und Prag, von denen die Meisten mehr als einen Erstligisten beherberigen. Allein diese Kurz-Übersicht verdeutlicht, wie viel man wohl in der angeblichen Sportstadt Hamburg und ganz besonders im Volkspark verkehrt gemacht haben muss, um diesen Zustand zu erreichen. 

Daher schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon 2015 von der „Agonie der Bundesliga-Dinos“: „Zu viel Eitelkeit, zu wenig Kompetenz. Zu viel Beharrung, zu wenig Erneuerung. Die großen Klubs wie der Hamburger SV, Hannover 96 oder Hertha BSC Berlin  finden keine Mittel mehr, um ihren Niedergang aufzuhalten.“

„Tradition behindert“, kommentierte die FAZ die traurige Bestandsaufnahme am Freitag.

„Es ist ein Drama. Wenn wir diese Mannschaften dauerhaft in der Bundesliga hätten, wäre sie noch populärer und attraktiver“, sagte Uli Hoeneß bereits vor zwei Jahren. Die Schuld dafür liege aber nicht bei bösen Mächten: „Das ist oft ein Managementproblem.“

Noch drastischer drückte es der Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch von der HHL Leipzig Graduate School of Management aus. „Die Traditionsvereine bekommen über kurz oder lang Probleme, weil sie mit ihren Strukturen nicht zurechtkommen. Die werden in einigen Bereichen immer noch wie Pommesbuden geführt“, sagte er der Welt.

„Wo es kompliziert wird: wenn Fans und Boulevardpresse mitreden und mitregieren, klassisches Merkmal von Traditionsfirmen“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung

Im Unterhaus dagegen drängen sich künftig die einstigen Topklubs vergangener Zeiten: Vielleicht mit Bremen und Köln sowie aus der dritten Liga 1860 und Rostock, sicher mit Schalke, Dresden und dem HSV sowie den Ex-Erstligisten Düsseldorf, Nürnberg, Hannover, Karlsruhe, Darmstadt, St. Pauli und Paderborn. „Die Liga wird gerade zum Sammelbecken altehrwürdiger Klubs, die mit sich selbst nicht klarkommen“, schrieb die SZ.

Viele traurige Wahrheiten, die hier in diesem Blog seit Jahren thematisiert wurden. Natürlich ist der HSV nicht allein, aber er ist und bleibt das traurigste Beispiel und der größte Verlierer in der Gruppe der Verlierer. Denn nur in Hamburg wurden Fremdgelder (Kühne) in dieser Größenordnung, in dieser Rekordzeit und mit diesem krankhaften System vernichtet und größtenteils bewusst verschleudert. Aber natürlich gibt es die üblichen Unbelehrbaren, die es einfach nicht realisieren wollen. Sie versuchen sich z. Zt. die angeblich schönste und beste zweite Liga aller Zeiten schön zu saufen, aber auch dieser Plan hat einen entscheidenden Haken. 

Daher könnte die Vorfreude einiger Fans auf dieses Wiedersehen der alten Größen schnell verpuffen, denn angesichts des Überangebots von selbst erklärten Aufstiegskandidaten wird es am Ende logischerweise mehr Verlierer als Gewinner geben. (Quelle: Spox.de)

Die einzig offene Frage bleibt damit: Wann begreifen auch die Letzten, dass weder die Entwicklung noch die aktuelle Situation des Vereins ein gottgegebener Zufall oder eine Verkettung von unglücklichen Ereignissen war, sondern das Produkt von jahrelanger Mißwirtschaft, fehlerhafte Eigenwahrnehmung, exzessiver Selbstoptimierung und eklantanter Überschätzung der eigenen Größe. Inzwischen ist der Verein so tief in die Gülle geritten worden, dass es kein Zurück mehr geben kann und wird und jedesmal, wenn mich jemand fragt: „Was können wir denn noch machen, um den Turn around zu schaffen“, antworte ich: „Such dir ein anderes Hobby“. 

Ein letzter Satz noch…

Und das nicht zuletzt, weil sie sport­lich und wirt­schaft­lich – ob selbst­ver­schuldet oder nicht, sei mal dahin­ge­stellt – in einer Spiel­klasse, die zuneh­mend von Inves­to­ren­klubs domi­niert wird, nicht mehr wett­be­werbs­fähig sind. (Quelle: 11Freunde.de)

Und was genau soll der KSV sein? Ein Traditionsverein, der einzig und allein auf seine Werte und seine glorreiche Vergangenheit baut? Moment man! Zig-Millionen von Kühne – verbrannt! Zwei Fan-Anleihen – verbrannt! Vereinsgrundstück an die Stadt verkauft – verbrannt! Dieser Klub soll mir nichts von Tradition vs. Investorenklubs erzählen, ist er doch seit Jahren schon selbst einer. Der KSV aus Hamburg ist inzwischen die größtmögliche Lüge im bezahlten deutschen Fußball! 

Schöne Pfingsten euch allen.