Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.(B.Brecht)

Ich habe darüber nachgedacht, wie es früher war, also das mit der Berichterstattung. Vielleicht habt ihr Lust, mir und meinen Gedanken zu folgen. Ich habe überlegt, wie die journalistische Berichterstattung vor dem Jahr 2012 ausgesehen hat. Wie wurden Sachverhalte beschrieben, wie wurde mit der Wahrheit umgegangen. Ich meine die ganzjährige Wahrheit, denn diese unterscheidet sich gravierend von der temporären Wahrheit oder von der Wahrheit, die man turnusmäßig einmal im Quartal aus der Schublade holt, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Betrachten wir also die Presselandschaft vor dem Jahr 2012, was hatten wir? Wir hatten, HSV-bezogen, die BILD, die Mopo, das Hamburger Auftragsblatt, den überregionalen Kicker und elektronisch den Blog „Matz Ab“, aus der Not geboren und zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Alleinstellungsmerkmal versehen. Sie alle hatten eines gemeinsam, die Art und Weise der Berichterstattung. Die Herangehensweise, die chronische Unlust an der Recherche, den Hang, voneinander abzuschreiben. Und natürlich dem immer gleichen Schema zu folgen, welches lautete: Jeder neue HSV-Spieler ist per se ein Juwel, ein Torgarant, eine Säule der Nation und jeder wird den HSV in Regionen führen, von denen der Führer träumt. Jeder unmittelbar vor Saisonstart verpflichtete Neu-Coach hatte den Extrem-Überblick, war Schleifer, Motivator, Laptoptrainer und zukünftiger Nationalcoach von Andorra in einer Person. Ganz zu schweigen von den jeweils herrschenden Sportchefs, denn jeder von ihnen war im Besitz des ultimativen Netzwerks, lebte ehemals in einer WG mit Volker Struth und kannte sowohl den argentinischen wie auch den thailändischen Markt wie seine Westentasche. Im Trainingslager vor der Saison wurde wahlweise in Dubai oder auf irgendeinem Gletscher geackert wie nie zuvor, die Spieler waren fit ohne Ende und hatten Luft für 12 Runden. Und dann änderte sich alles. 

Denn plötzlich gab es da zwei Schreiber, die machten es anders. Der Eine war Jung-Journalist und schrieb eine wöchentliche Kolumne für das Online-Portal goal.com, der Andere betrieb einen Blog, den niemand liest. Obwohl sie Beide allein auf weiter Flur waren, von den Platzhirschen ausgegrenzt, vom Verein teilweise bekämpft und von Hohlhüpfern bedroht wurden, änderten sie ihre Geisteshaltung nicht, denn sie waren der Meinung, dass eine realistische Betrachtungsweise der Geschehnisse nicht nur ehrlich wäre, sie sei auch notwendig und überfällig. Aus diesen beiden Idealisten entstand etwas, was sowohl rosa Salafisten wie auch dem Verein gewaltig gegen den Strich geht, es entstand eine Bewegung der Kritiker. Plötzlich konnten die Hofberichterstatter nicht mehr schreiben was sie wollten, plötzlich wurde der Inhalt ihrer Produkte genauer betrachtet. Der HSV musste zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr nur Abnicker unter seinen Anhängern gab, sondern plötzlich auch Menschen, die sich trauten, die Wahrheit zu sagen. Nachzufragen. Antworten einzuklagen. Mit anderen Worten: Die lustigen, bequemen Zeiten waren vorbei. 

Dabei waren diese beiden Vorreiter selbst aus den Reihen der Fans und Anhänger hervorgegangen und die Wurzel ihrer Kritik war von Anfang an der Versuch, einen besseren Verein zu haben. Einen Verein mit einer Identität und keinen Verein der hohlen Sprüche. Einen Verein mit Haltung und USP und keinen Verein der beliebigen Austauschbarkeit. Einen Verein mit Werten und keinen Verein ohne Wert. Das Ziel war es, sowohl Berichterstatter wie auch Vereinsfunktionäre für das zu sensibiliseren,was tatsächlich ist und nicht, was sein soll. Vor der Zukunft muss die Gegenwart liegen und diese muss eine verarbeitete Vergangenheit ablösen. Das Ziel war nie die Kritik um der Kritik Willen, sondern die Schaffung eines Bewußtseins für die wahren Umstände. Mein Antrieb war immer: „Was bringt es einem Fan, wenn ihm jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt der immer gleiche Quatsch von den immer gleichen Leuten untergejubelt wird? Ist die Wahrheit als Kern einer Berichterstattung nicht verpflichtend?“ Die Erfahrungen, die wir Beide in den letzten 9 Jahren gemacht haben, waren bedeutsam. 

Denn auf der einen Seite standen und stehen diejenigen, die einem niedere Beweggründe unterstellen, wenn man nicht, wie sie es gewohnt waren, Scheiße als Gold verkauft. „Als Fan (und Berichterstatter) hat man gefälligst zu jubeln und grundsätzlich positiv zu berichten, sonst ist man nicht nur kein Fan, man ist sogar der Feind“. Auf der anderen standen diejenigen, die auf eine Berichterstattung wie die unsrige scheinbar gewartet hatten. Die gespürt hatten, dass man sie all die Jahre für dumm verkauft hatte und die nun den Beweis bekamen. Beispiel: Wenn der HSV einen Spieler namens Ludovit Reis verpflichtet,  dann berichten die üblichen Verdächtigen von dem Juwel, welches man vom großen FC Barcelona loseisen konnte. Ein Quantensprung quasi und eine unvorstellbare Leistung der sportlich Verantwortlichen. Wenn ich über Herrn Reis berichte,schreibe ich: 21 Jahre alt, ein Jahr bei der zweiten Mannschaft des FC Barcelona trainiert und gespielt,wurde dann nach einem Jahr in die zweite Liga nach Osnabrück verliehen. Dort erzielte er als Mittelfeldspieler ein Tor und eine Vorlage. Im Jahr nach dieser Leihe will ihn die zweite Mannschaft des FC Barcelona nicht zurück, sondern gibt ihn erneut in die zweite Liga zum HSV ab. Ich schreibe weder, dass der Mann blind ist,noch schreibe ich, dass er der Durchschnittstruppe des HSV nicht helfen kann, aber ich schreibe die Fakten auf. Das, was die Hofberichterstatter schreiben, sind PR-getriebene Wunschträume, die sich in Hamburg zu 99% nicht erfüllen werden. Was ist nun ehrlicher? Den Fans und Anhängern gegenüber? 

Stand heute schreibt der damals junge Kollege kaum noch und auch meine Zeit als Blogger neigt sich dem Ende zu. Allerdings ändert unser Schicksal nichts an dem, was wir geschaffen haben, wir haben nämlich ein verändertes Bewußtsein geschaffen. Vielleicht nicht bei allen und vielleicht nicht bei vielen, aber bei einigen und das reicht bereits. Denn diese Wenigen geben unsere Philosophie weiter und können diese auch mit den „Erfolgen“ der letzten Jahre und den Fakten beweisen. Wir haben beide jeweils ein Buch über das Thema geschrieben, auch diese Werke werden nicht verschwinden. Tatsache ist: Wir haben etwas entwickelt und geschaffen, nämlich etwas, was es vorher in dieser Form nicht gab – eine Kultur der Kritik. Diese Kultur wird bleiben, auch wenn wir nicht mehr schreiben sollten. Die Fans und Leser werden den Ausführungen der Hofberichter deutlich skeptischer gegenüberstehen und den immer gleichen PR-Texten des Vereins keinen unmittelbaren Glauben mehr schenken. Sie werden anspruchsvoller, verlangen mehr für ihr Geld, sind kritischer. Wir (und unsere Leser) sorgen dafür, dass sich alle mehr Mühe geben müss(t)en, um zu überleben und allein dafür hat sich der Einsatz gelohnt. Wenn ich mit meiner Arbeit einen kleinen Teil dazu beigetragen haben sollte, dass sich der Verein verbessert, habe ich alles richtig gemacht.