Es gibt Dinge beim HSV, von denen mancher möchte, dass sie in Vergessenheit geraten. Damit das nicht passiert, werden wir hier immer wieder Fragen stellen. Richtige, wichtige Fragen. Und nicht solche, wie sie gestern auf der Pressekonferenz vor dem Dresden-Spiel von Teilen der Pressemeute an Tim Walter gingen:

„Haben Sie denn schon einen Lieblingsort in unserer Stadt?“ (Luka Prinz; Radio Energy)

„Haben Sie schon Uwe Seeler kennengelernt?“ (Thorsten Vorbau; NDR)

„Haben Sie in den vergangenen Tagen eine zweite, neue Lieblingssportart entdeckt, wie Kanu-Slalom oder Dressurreiten?“ (Lars Pegelow; 90,3)

Wow, das klingt eher nach ’ner Homestory im „Goldenen Blatt“ als nach einer Fußball-PK. Aber auch beim heutigen Blog-Thema versagt die Hamburger Presse komplett. Es geht um den Verkauf des Stadiongrundstücks. Lange haben wir von Stadt und Verein nichts mehr dazu gehört. Wobei die Gründe dafür durchaus unterschiedlich sein dürften. Der Senat will auf keinen Fall den Anschein einer verbotenen Beihilfe erwecken und der Vereinsvorstand hat eine Heidenangst, dass nach dem Stand der Sanierung und dem Verbleib des Geldes gefragt wird.

Fein, wir fragen trotzdem: Herr Dressel, Herr Wettstein, wie ist der Stand der Dinge? Ist Geld überwiesen worden und wenn ja, wieviel? Sind schon die gesamten 23,5 Mio Euro auf Vereinskonten oder fließt das Geld nach Sanierungsfortschritt, wie in der Mitteilung an die Bürgerschaft vereinbart? Und wie hoch ist überhaupt der Anteil, der von der Gesamtsumme für die Stadionsanierung verwendet werden muss? 

Alles Fragen, die man als Vertreter der vierten Gewalt bei Spiegel, Bild, Mopo oder NDR den Verantwortlichen stellen könnte. Macht aber keiner.

Rekapitulieren wir kurz die Fakten: Am 16. September 2020 unterzeichnen der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die HSV AG einen sogenannten „Letter of Intent“ und eröffnen den überraschten Hamburger Bürgern, dass die Stadt dem Verein das Stadiongrundstück abkauft. Für 23,5 Mio Euro. Das Stadion selbst bleibt im Besitz der HSV AG. 

Damals sagten die Verantwortlichen:

„Es geht jetzt darum, die Voraussetzungen zu schaffen, das der HSV die Sanierung des Stadions aus eigener Kraft schultern kann und der Kauf der Stadt ein Haushaltsrisiko nimmt.“ (Senator Dressel, SPD)

„Das ist kein HSV-Rettungsschirm.“ (Frank Wettstein, HSV)

Auch der Bund der Steuerzahlen hat dazu was gesagt: „Die Stadt ist nicht der bessere Profifußballverein. Wir hoffen, dass wir einen Blick auf den von der Stadt heute angekündigten Vertrag werfen dürfen, um ihn dann einer genauen Prüfung unterziehen zu können. Die Steuerzahler haben nicht die Aufgabe, für Fehler im Management von Fußballvereinen geradezustehen.“

Das dritte Statement klingt für mich am sinnvollsten. Sicher durften die den Vertrag vor Unterschrift prüfen (Zwinkersmiley). Und überhaupt, das muss man sich mal vorstellen: Der Verein sagt den Stadtvätern, leider könne man durch die Corona bedingten Mindereinnahmen die für die EURO 2024 notwendigen Nachrüstungen nicht bezahlen. Die Stadtväter haben nun die Wahl, entweder auf die Teilnahme an der EM 2024 zu verzichten und sich ein halbes Jahr vor der nächsten Bürgerschaftswahl gründlichst zu blamieren oder in ein Stadion zu investieren, das der Stadt gar nicht gehört. Ein Schelm, wer dabei an Erpressung denkt.

Drei Fragen beschäftigen mich bei dem Grundstücksverkauf besonders.

  1. Was ist mit den Grundschulden in Höhe von 70 Mio Euro?

Jeder, der schon mal ein Grundstück ge- oder verkauft hat weiß, was ein Grundbuch ist. Im Grundbuch werden sogenannte Grundpfandrechte eingetragen. Zum Beispiel zur Sicherung von Krediten. Werden die Kredite dann nicht bedient, kann ein Gläubiger im Zuge einer Zwangsvollstreckung das Grundstück verkaufen, um die Erlöse zur Tilgung der Schuld zu nutzen. Üblicherweise erwirbt ein Käufer ein Grundstück lastenfrei, d.h. ohne Grundpfandrechte. Das kann, muss aber nicht so sein. Ein Grundstück kann auch mitsamt eingetragener Grundpfandrechte erworben werden. Wie ich bereits an andere Stelle schrieb: In Drucksache 22/1825 – Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft – vom 16.10.2020 heißt es in Anlage 2, Eckpunkte, Ziffer 6 – Zustimmung zur Belastung: „Der Grundstückseigentümer stimmt schon heute der einmaligen Belastung des Erbbaurechts mit Grundpfandrechten bis zur Höhe von insgesamt 70.231.328 Euro zu, wenn bestimmte Vorgaben erfüllt sind (u.a. Bewilligung der Grundpfandrechte zur Finanzierung der Instandsetzung und Modernisierung des Stadions, Auszahlung nach dem Darlehensvertrag nach Baufortschritt, Abschluss einer Gläubigervereinbarung zum Schutz der Interessen der FHH, Ausschluss von Neuvalutierung der Grundpfandrechte).“ Das bedeutet, die Stadt übernimmt mit dem Grundstück auch die Schuldverpflichtungen des Vereins. Somit würde die Stadt, also wir alle, haften, wenn der Verein seinen Zahlungen aus welchen Gründen auch immer, nicht nachkommt. Mehr noch: Der Verein hätte die Stadt voll bei den Eiern. Bräuchte man nächstes Jahr doch mehr Geld für die Euro 2024 (oder für Abfindungen, Spielergehälter, Transfers) reicht der knappe Hinweis, ohne zusätzliches finanzielles Engagement Hamburgs drohe der AG die Insolvenz und der Stadt damit der Verlust des Grundstücks. Ein übles Szenario.

  1. Wie weit ist der HSV mit der so notwendigen Sanierung des Stadions?

Laut Wettstein muss unter anderem folgendes saniert werden: Das LED-Flutlicht, die Stadionbeschallung, Serverräume, Sanitärräume und das Stadiondach. Ok, Herr Chefsanierer, wie sehen die Planungen aus, wann geht’s los, was wird gemacht, wie beeinflusst das den Spielbetrieb und die Zuschauer, was sind die Kosten?

  1. Hat die Stadt in Wahrheit nicht doppelt bezahlt?

1998 verschenkte die Stadt Hamburg das Grundstück an den Verein für eine Mark. 23 Jahre später kaufte sie dasselbe Grundstück für 23,5 Mio Euro zurück. Hmm, Rechenaufgabe: Wenn ich ein Auto im Wert von 100.000 Euro besitze, es verschenke und dann 20 Jahre später das Auto vom Beschenkten für 100.000 Euro zurückkaufe, dann habe ich in Wahrheit 200.000 Euro bezahlt. Für ein und dasselbe Auto. So gesehen bedeutet das zurückgekaufte Stadiongrundstück eher 47 Mio Euro an Kosten für den Hamburger Steuerzahler. Mein lieber Herr Dressel, auf so einen Kracherdeal muss man erstmal kommen! Und bitte, komm mir jetzt keiner damit, Pauli hätte ja auch  so einen Deal bekommen. Die Zecken haben zwar einen neuen Erbpachtvertrag erhalten, aber keine Kohle aus einem Grundstücksverkauf. Allerdings hätten sie bestimmt auch gern das Millerntor für ’ne Mark gekauft.

Wie gesagt, bei der sonst so mitteilungsinkontinenten Hamburger Medienlandschaft herrscht zu diesem Thema absolute Darmverstopfung. Aber vielleicht gibt es ja den ein oder anderen Leser hier, der mehr darüber weiß. Dann nichts wie raus damit. Kommentare, Feuer frei.