Es kam mit Ansage. Die fünfte Niederlage in acht Spielen. Im Derby gegen St. Pauli. Irgendwie haben es alle geahnt und befürchtet. Aber dank einer scheinbar nicht totzukriegenden Hoffnung haben die HSV-Fans wieder mal alle Augen zu und Daumen gedrückt, dass es anders ausgeht.

Ist es aber nicht.

St. Pauli hat den HSV am Freitag streckenweise vorgeführt wie eine Schülermannschaft. Und dass die Spiele gegen Dresden und Braunschweig alles andere als souverän waren, ist ein offenes Geheimnis.

Soweit eigentlich nichts Neues. Auch in den vergangenen Jahren hat der Verein regelmäßig seine Fans enttäuscht, erlag unerklärlichen Leistungseinbrüchen und hat jedes einzelne seiner Saisonziele verfehlt, den Wiederaufstieg sogar dreimal in Folge. Stattdessen hat man Millionen aus dem Fenster geworfen, schreibt seit Jahren tiefrote Zahlen und wechselt seine Trainer öfter als Helm-Peter seine Unterhosen.

Woran liegt es, dass seit mehr als einem Jahrzehnt das „V“ in HSV nicht für Verein sondern für Versager steht? Was ist die Ursache dieser Dysfunktionalität? Wer ist schuld an diesem Horror namens HSV? 

Nehmen wir die einzelnen Teile dieser Höllenmaschine mal genauer unter die Lupe.

 

1.) Der Spielerkader

Saison 2018/2019

Pollersbeck, Mickel, Behrens, Ambrosius, Bates, Santos, Jung, Knost, Lacroix, Papadopoulos, Pfeiffer, Sakai, Vagnomann, van Drongelen, David, Ferati, Holtby, Hunt, Jairo, Janjicic, Köhlert, Kwarteng, Mangala, Özcan, Arp, Drawz, Hwang, Ito, Jatta, Lasogga, Narey, Opoku, Winzheimer

Kader: 33

25 Zugänge, 23 Abgänge

Fluktuation: 70 %

 

Saison 2019/2020

Heuer Fernandes, Mickel, Pollersbeck, Ambrosius, Beyer, Ewerton, Gyamerah, Jung, Knost, Leibold, Letschert, Papadopoulos, Vagnomann, van Drongelen, Amaechi, Dudziak, Fein, Hunt, Jairo, Kinsombi, Kittel, Kwarteng, Moritz, Schaub, Harnik, Hinterseer, Jatta, Narey, Pohjanpalo, Wood

Kader: 30

17 Zugänge, 20 Abgänge

Fluktuation: 66 %

 

Saison 2020/2021

Ulreich, Heuer Fernandes, Mickel, Oppermann, Ambrosius, Gyamerah, Hein, Jung, Leibold, Leistner, Vagnomann, van Drongelen, David, Dudziak, Fabisch, Gjasula, Heil, Heyer, Hunt, Kinsombi, Kittel, Kwarteng, Onana, Jatta, Narey, Terodde, Winzheimer

Kader: 28

13 Zugänge, 15 Abgänge

Fluktuation: 50 %

 

Saison 2021/2022

Heuer Fernandes, Johansson, Mickel, Oppermann, Ambrosius, Bates, Gyamerah, Leibold, Leistner, Muheim, Schonlau, Vagnomann, David, Dudziak, Heyer, Kinsombi, Kittel, Meffert, Reis, Rohr, Suhonen, Glatzel, Jatta, Kaufmann, Meißner, Opoku, Winzheimer

Kader: 26

Bis jetzt

10 Zugänge: Johansson, Schonlau, Muheim, Meißner, Meffert, Rohr, Reis, Suhonen, Glatzel, Kaufmann

11 Abgänge: Ulreich, Terrode, Hunt, Narey, Onana, van Drongelen, Jung, Gjasula, Amaechi, Heil, Dudziak

 

Jede Saison wurde mindestens die Hälfte des Spielerkaders ausgetauscht. Es gaben sich die Klinke in die Hand: Bayernstars, Deutsche Meister, Pokal-, UEFA-/Super-Cup-Sieger, gestandene Erstligarecken, skandinavische Juwelen, Premier-League-Talente, Torkanonen-Jäger, Säulenspieler, Mentalitätsmonster, Muttersöhnchen, Spieler, die Teile ihrer Ablöse selber zahlten (Zwinkersmiley), U17, -18, -19 und -21 Nationalspieler, WM-Teilnehmer, millionenschwere Bankdrücker, undundund.

Eine Hundertschaft an den verschiedensten Spielertypen, jung, alt, national, international, neu, erfahren und meist mit Verträgen ausgestattet, deren Honorare weit über den Leistungen lagen. Und die man zum Abschied entweder verschenken musste oder gezwungen war, sie mit üppigen Abfindungen loszuwerden.

Und dennoch müsste nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit mindestens ein Teil dieser Spieler für den Job geeignet sein. Zumindest theoretisch hätte unter den vielen Blinden auch der ein oder andere Profi sein müssen, der sich nicht verschlechtert, sondern der Leistung zeigt und den Verein nach vorn bringt. Viele konnten auch gar keine Versagenskontinuität reinbringen, da sie schon nach einem Jahr wieder weg waren.

Natürlich sind die Spieler schuld, wenn man 3-Tore-Führungen herschenkt oder sich mit einem 0:5 gegen einen mittelmäßigen Zweitligisten im eigenen Stadion bis auf die Knochen blamiert. Aber um allein den Spielern die Schuld für drei Jahre kontinuierlichen Versagens zu geben, fehlt es den Spielern an Kontinuität. Es waren einfach zu viele unterschiedliche Typen, um so komplett zu versagen. Unter normalen Umständen hätten ein paar von denen positiv einschlagen müssen. Aber selbst diejenigen, denen man es zugetraut hätte, wie Terodde oder Pohjanpalo, haben irgendwann ihren Einbruch gehabt.

 

2.) Die Trainer

Saison 2018/2019: Titz, Wolf, Goebbels, Kilian, Stremlau, Müssig, Capel

Saison 2019/2020: Hecking, Bremser, Schweinsteiger, Rabe, Müssig, Capel

Saison 2020/2021: Thioune, Hrubesch, Polzin, Rabe, Müssig, Capel

Saison 2021/2021: Walter, Hübner, Polzin, Tapalovic, Höh

 

Jede Saison wurden Cheftrainer und Co-Trainer fast komplett gewechselt. Es versuchten sich Fußballrevolutionäre, Laptop-Novizen, alte Erstliga-Hasen, inklusionsversessene Spielerversteher und rauhbeinige Schleifer. Nach der Methode „Aus jedem Dorf ein Köter“ hat der HSV verzweifelt versucht, ein Rezept gegen das Scheitern zu finden. Geholfen hat‘s nix.

Das soll nicht heißen, die Herren Cheftrainer hätten keine Fehler gemacht. Die wurden gemacht und das oft sogar mit System. Der eine hatte ein extrem ausgeprägtes Händchen dafür, ein Spiel mit unverständlichen Einwechselungen zu vercoachen, der andere kannte nur ein System und war dementsprechend leicht auszurechnen für die Gegner. Aber auch hier fällt auf, dass keiner der Trainer länger als ein Jahr, d.h. kontinuierlich für die Mannschaft verantwortlich war. Nur der Misserfolg, der klebt am Verein, als wäre er festgewachsen.

 

3.) Die Vereinsführung

Saison 2018/2019: Boldt, Mutzel, Wettstein, Jansen

Saison 2019/2020: Boldt, Mutzel, Wettstein, Jansen

Saison 2020/2021: Boldt, Mutzel, Wettstein, Jansen

Saison 2021/2021: Boldt, Mutzel, Wettstein, Jansen

 

Nanu, da schau mal einer an: Die einzige Konstante neben dem permanenten Versagen des Vereins sind die Bosse.

Wenn es jedes Jahr 50 bis 75 Prozent Erneuerung in der Mannschaft gibt, kann kontinuierliches Versagen nicht ursächlich an der Gruppe der Spieler liegen.

Wenn es jedes Jahr 100 Prozent Fluktuation auf der Cheftrainer-Position und viele Co-Trainerwechsel gibt, kann kontinuierliches Versagen nicht ursächlich an der Gruppe der Trainer liegen.

Wenn seit drei und mehr Jahren ein und dieselben Gestalten für die sportliche und finanzielle Führung des Vereins verantwortlich sind, bleibt nur eine logische Schlussfolgerung. Verantwortlich für den langjährigen und anhaltenden Misserfolg sind folgende Personen:

 

Jonas Boldt – Vorstand Sport, Medien, Kommunikation und Fankultur, beim HSV seit 2019

Michael Mutzel – Direktor Sport, beim HSV seit 1. April 2019 (kein Scherz)

Frank Wettstein – Vorstand Finanzen, Recht, Personal, Organisation und Infrastruktur, beim HSV seit 2014

Marcel Jansen – seit 2018 Aufsichtsrat, seit 2020 Aufsichtsratsvorsitzender HSV Fußball AG, seit 2020 Präsident HSV e.V., wiedergewählt 2021

 

Also genau die Gruppe, die auf der Mitgliederversammlung des e.V. von der Menge mit Applaus bedacht wurde. Und von denen hinterher in den Zeitungen zu lesen war, wie eindeutig der Wahlerfolg, wie souverän die Reaktion auf einen Zwischenruf und wie zuversichtlich trotz Mega-Umsatzeinbruch der Finanzchef ist.

Und daran merkt man, dass es noch eine vierte Gruppe gibt, die für das kontinuierliche Versagen verantwortlich ist: Fans und Fan-Presse.