Was ist eigentlich los im unendlichen Fall unserer Nr. 18? Gestern entzückte der HSV alle Fans mit folgendem Filmchen aus der Reihe „Hummel, Hummel! Mors, Mors!“:

 

Was für ein sympathischer junger Mann. Jetzt wissen wir, dass er lieber Apfelsaft als Tee trinkt, Papa sein lustigster Mitspieler war und dass Superkanja mit Fufu das Lieblingsgericht ist (mag ich übrigens auch sehr gern). Ein guter Typ. Ein gutes Interview. Ein guter gemachter Film.

Frage: Warum bringt der HSV ihn grade jetzt raus? Ist das nur ein Stück nette Eigen-PR oder steckt mehr dahinter?

Eines ist sonnenklar: Der Fall Jatta/Daffeh liegt nicht bei den Akten. Nicht bei der Staatsanwaltschaft, nicht bei der BILD und auch nicht beim HSV. Und obwohl seit dem Aufkommen der Identitätsfrage mehr als 2 Jahre vergangen sind, hat man das Gefühl, groß passiert ist nix. Die Ausgangssituation ist bekannt und seitdem hat sich nicht viel geändert. Der Verein steht hinter Bakka und der Rechtmäßigkeit seiner Dokumente, jedenfalls solange ihm juristisch nichts Gegenteiliges nachgewiesen wird. Die Normalo-Fans, Brüllorks und Ultras, die sonst nicht grade für ihren soziologischen Liberalismus bekannt sind, bleiben bei den alten argumentativen Plattitüden „Es zählt nur der Mensch, außerdem zahlt er Steuern, iss’n toller Fußballer und hat die Raute im Herzen“. Nun, ja…

Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile ein im dritten Jahr laufendes Verfahren und machte vor ein paar Monaten mit einem denkwürdigen Gutachten auf sich aufmerksam. Das Institut für Biologische Anthropologie der Universität Freiburg hat Filmaufnahmen ausgewertet und einen Gesichtsabgleich von alten und neuen Fotos vorgenommen und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass es sich bei Jatta und Daffeh „höchstwahrscheinlich“ um ein und dieselbe Person handelt. Das man dafür Anthropologen bemühen muss. Ich sag’ ja immer, holt Daffeh in Gambia vors Handy und lasst ihn mit Jatta Facetimen und das Thema ist gegessen. Egal, mindestens genauso bemerkenswert wie der Institutsname ist die Tatsache, dass dieses Gutachten als Beweis vor Gericht zugelassen wurde und darüber hinaus Jatta schwer belasten soll. Das war im Mai.

Kurz danach wurde Bakkas Uhlenhorster Wohnung durchsucht und Telefone und Computer beschlagnahmt. Das ist allerdings schon ein anderes Kaliber, so einen Beschluss gibt’s nicht ohne Grund. Seitdem herrscht Funkstille. Von dieser Seite.

Laut hingegen ist Bakkas Anwalt Thomas Bliwier geworden. Nachdem er letztes Jahr noch gefordert hat, das Verfahren einzustellen, ist ihm nun was ganz Freches eingefallen: Er fordert die Staatsanwaltschaft auf, in Gambia zu ermitteln und die Existenz Daffehs festzustellen. Den Spieß umdrehen nennt man das wohl. Es liegen allerdings zahlreiche Hinweise auf Daffeh vor, so dass dieses Manöver wohl einzig den Zweck hat, Zeit zu gewinnen. Ermittlungen in Afrika können seeeeehr lange dauern. Und das Ergebnis hängt von vielen Faktoren ab, wobei sachliche Richtigkeit nicht immer das Wichtigste ist. Eines muss man ihm lassen, der findige Herr Anwalt hat sich eine überraschende Argumentation ausgedacht, die da lautet: Wenn es keinen Daffeh gibt, kann Jatta nicht Daffeh sein. In Bayern würde man sagen: „Er is’ scho a Hund!“

Wie gehts nun weiter? Jatta/Daffeh ist seit 2015 in Deutschland und seit 2016 beim HSV. Seitdem hat er 109 Spiele absolviert, 15 Tore geschossen und 10 Vorlagen serviert. Er wäre nicht der erste Afrikaner, der zugibt, sich mit falschem Namen (und Alter) ein Bleiberecht in Deutschland erschlichen zu haben. Es sei nur Katompa Mvumpa vom Vfb Stuttgart genannt, den Fußballdeutschland lange Zeit als Silas Wamangituka kannte. Als 2019 Zweifel an der Identität des Spielers Wamangituka aufkamen, wies der Stuttgarter Verein die Vorwürfe wie folgt zurück:

„Dem VfB Stuttgart liegt nicht nur der Reisepass des Spielers vor, sondern auch die Spielerpässe der zuständigen Fußballverbände, die seine Karriere bis in das Jahr 2010 zurück vollständig abbilden. Wir sahen und sehen weiterhin keinen Anlass, an der Echtheit oder der Richtigkeit dieser Dokumente zu zweifeln.“

Mit fast identischem Wortlaut reagierte auch der HSV bei Jatta.

Anfang Juni 2021 offenbarte Katompa Mvumpa in einer Presseerklärung auf der Website des VfB Stuttgart, dass sein Name nicht Wamangituka Fundu, sondern Katompa Mvumpa und sein Geburtstag nicht der 6. Oktober 1999, sondern der 6. Oktober 1998 sei. Katompa Mvumpa sieht sich als „Opfer von Machenschaften eines ehemaligen Spielervermittlers“. Was ist daraufhin passiert? Wenig. Der DFB sperrte Mvumpa wegen unsportlichen Verhaltens für drei Monate und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro. Weitere juristische Konsequenzen sind nicht bekannt. (Leider ist es mir nicht gelungen herauszufinden, wer dieser ominöse Spielerberater ist.)

Was passiert nun mit Jatta wenn sich herausstellt, dass er in Wahrheit doch Daffeh ist? Welche Strafe erwartet ihn? Muss er Deutschland verlassen? Und können die Gegner des HSV dann beantragen, dass alle Spiele mit Jatta/Daffeh annulliert werden? Wenn es nach dem Fall Wamangituka/Mvumpa geht, geschieht nichts dergleichen. Umso unverständlicher, dass der HSV und Bakka nicht endlich reinen Tisch machen.

Geht es bei Jatta vs Daffeh eigentlich noch um Recht und Gesetz oder hat die BILD das letzte Wort?