Beginnen wir mit einem Spielbericht:

 

Am Ende fühlte sich der HSV ein wenig wie ein Verlierer. Die Rothosen führten bis zur 45sten Minute der ersten Halbzeit – und kassierten schließlich doch noch das 2:2. Deshalb tat sich Trainer Tim Walter nach der Partie schwer, das Resultat einzuordnen. Tim Walter konnte natürlich nicht behaupten, dass er mit einer solch verrückten Dramaturgie gerechnet hatte. Ein 2:2 lässt sich schließlich kaum prognostizieren, doch zumindest ein bisschen bestätigt fühlte sich Hamburgs Coach schon. „Ich habe schon zu Hause gesagt, dass ich Hochachtung vor dem Gegner habe“, sagte Walter. Wie viel Respekt angebracht war, zeigten schließlich die 90 Minuten. Die Lilien stellten den HSV immer wieder vor große Probleme – häufig allerdings auf Kosten der defensiven Hoheit. „Die Mannschaft will nach vorne spielen“, betonte Walter voller Anerkennung, „dabei entstehen Lücken – so wie bei uns.“ Deshalb sahen die Zuschauer einen offenen Schlagabtausch und zahlreiche Treffer. „Hut ab vor beiden Mannschaften“, sagte Walter.

 

Klingt vertraut? Ist es auch, nur anders als der geneigte Leser denkt. Diese Worte schrieb der „Kicker“ am 9.11.2018 über das Spiel Holstein Kiel gegen Paderborn. Vor drei Jahren! Walter war da noch Trainer von Kiel. Ich habe lediglich die Teamnamen getauscht und den Spielstand angepasst. Warum ich das gemacht habe? Um zu zeigen, dass sich Walters spezieller Spielstil seit fast 3 Jahren nicht weiterentwickelt hat. Er lernt einfach nicht dazu.

Walters Art, Fußball zu spielen, ist geprägt von häufigen Positionswechseln, viel Ballbesitz und hohem Laufpensum. Im besten Fall werden zahlreiche Torchancen kreiert, das Spiel ist abwechslungsreich und hat ein hohes Tempo. Das kann zum Spektakel werden und viel Spaß machen beim Zuschauen. Und dagegen ist ja auch erstmal nichts einzuwenden, mir hat das Spiel am letzten Samstag auch gut gefallen und ich habe mich gut unterhalten.

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dieser Fußball ist hoch riskant. Gegen Schalke und Bremen hat er funktioniert, gegen Dynamo, Pauli, Darmstadt und Heidenheim ging er daneben. Es gab zwei Unentschieden, die sich wie Niederlagen anfühlten. Es gab ein Stadtderby-Debakel, das schlimm war. Und es gab ein Chancen- und Lattenknaller-Festival, das torlos endete. Ein Spektakel zwar, aber eines wie Flasche leer. Tim Walter kennt leider keinen Plan B und schon gar keinen Plan C oder D.

Auch im Training setzt Walter das Spektakel fort. Verlierer müssen die Siegerautos waschen, mit der Nase über den Rasen rutschen oder sich Bälle auf den Arsch schießen lassen. Ein außergewöhnlich buntes und bemerkenswertes Treiben, aber halt auch nur viel Spektakel ohne konkreten Trainingszweck. Oder was genau trainiert man, wenn man dem Teamkollegen Ohrschnipser verpasst oder ihn im Spalier auf den Allerwertesten klopft?

Die Presse steigt natürlich voll drauf ein, berichtet ausführlich von Walters Trainingsmethoden und dem Spieltags-Spektakel auf dem Pitch. Selbst Tage später schreibt man noch über Spiele und füttert das Biest, bis die Augen bluten. Hier ein kleiner Querschnitt der BILD-Zeilen der letzten Tage:

 

Elfer, Gelb-Rot – Schiri macht Duksch und Schonlau sauer

HSV: Torwart Heuer-Fernandes – Vom Abstellgleis zur Aufstiegs-Lok?

HSV – Kann Tim Walter der erste Trainer-Treffer werden?

Gelb-Rot: Irre Grätsch-Attacke auf HSV Torwart

Felix Magath: Ich wäre mit Hamburg schon dreimal aufgestiegen

HSV zwischen Spektakel und Debakel, wohin führt der Weg?

 

Und die neueste Wahnsinns-Meldung zum HSV:

 

Enola Gomes liebt Ludovit Reis: Mein Mann ist HSV-Star, ich suche einen Job.

 

OK, Spaß beiseite. Aber man sieht sofort, Spektakel funktioniert super. Spektakel bietet viel Futter für schmissige Schlagzeilen. Spektakel macht Spaß und unterhält. Die Fans und die Presse. So gesehen ist Walter-Fußball wie Fast Food: Gefällig für die Massen, schmeckt jedem und macht Spaß. Aber er sättigt nicht, ist nicht gesund und auch nicht nachhaltig. Und wie bei der Kette mit den gelben Bögen steht seit Jahren dasselbe auf der Karte. Es gibt nix Neues.

Der entscheidende Nachteil von Walter-Fußball ist: Wenn vorn die Hundertprozentigen verballert werden und man hinten eine Schießbude ist, dann sieht‘s übel aus. Hatten wir ja auch schon in der Saison. Aber eigentlich spielt auch das dem Spektakel nur in die Karten.

Und damit komme ich zu meinem Punkt: Walter wurde von Boldt und Jansen nicht geholt, um etwas zu entwickeln oder einen neuen HSV aufzubauen. Das ist nur dummes Gequatsche von den Vereinsflaschen. Der einzige Grund, warum man ihn geholt hat, ist dieser spektakuläre aber hochriskante Spielstil. Nicht, um aufzusteigen, sondern um Schlagzeilen zu machen, Sendeminuten zu produzieren und das Stadion zu füllen. Wettstein steht das Wasser so bis zum Hals, dass er jede Mark aus Ticketverkäufen und Stadionumsätzen mit Bier, Bratwurst und Werbung zum Überleben braucht. Darum die verzweifelten Rufe nach mehr Zuschauern. Der HSV will mehr Geld aus den TV-Töpfen und wie geht das besser, als mit hohem Zuschauerinteresse. Und wie bekommt man das besser und schneller als mit Walter-Fußball?

Es ging nie um Spielkonzepte, langfristigen Aufbau (Geduld, Geduld!), junge Eigengewächse oder eine Entwicklungsmannschaft. Und das ist das eigentliche Debakel: Die sportliche Zukunft des Vereins wird dem Spektakel geopfert. Warum?

Spektakel bringt Profite. That’s it!