Spieltag 9, der HSV musste ins Schmerzgebirge. Machen wir uns klar, mit wem man es zu tun hatte: Aue war Tabellenletzter und das einzig sieglose Team in der Saison. Die Mannschaft von Übergangstrainer Marc Hensel hat lediglich vier Punkte aus neun Spielen geholt, was der schwächste Start von Aue in der Zweitligageschichte ist.

Hamburg hingegen reist nicht nur mit dem Bus an, sondern auch mit dem zweitteuersten Kader der Liga. Knapp 40 Millionen gegenüber gut 10 Millionen. Wird sich dieser dramatische Unterschied im Spiel wiederspiegeln? Ich nehme die Antwort mal vorweg: Nein, und zwar im Sinne von Null Komma gar nicht.

Walters Startelf war keine Überraschung: Kapitän Schonlau kehrte nach Rotsperre zurück und stand neben Gyamerah, David und Leiboldt in der Abwehrkette. Davor Meffert, Heyer, Kinsombi und in der Spitze Kittel, Glatzel und Wintzheimer, der, nach Nürnberg wenig überraschend, den flauen Jatta ersetzte. Kein Vuskovic, Suhonen, Kaufmann oder Meißner. Im Westen also nichts Neues.

Wie sagte Walter nochmal in der PK vor dem Spiel?

„Grundsätzlich hat ja Aue vielleicht nicht ganz die fußballerischen Möglichkeiten, um dann das ganze Spiel so zu gestalten, dass sie mit uns mitspielen.“

Aha, dachte sich Aue, das wollen wir doch mal sehen. Gleich nach dem Anpfiff gab es eine Phase, in der Aue den HSV stark bedrängte. Es wirkte fast so, als wollte man es den Nürnbergern nachmachen und mit einem schnellen Tor Hamburg in Rückenlage bringen. Das verstärkte sich noch, als David ein Schuss des Gegners am Bein abprallte und nur knapp am eigenen Tor vorbeikullerte. HF wäre ohne Chance gewesen. Im weiteren Spielverlauf konnte man bei Hamburg dann beobachten, wie kurze Ecken nichts einbringen (wann, zur Hölle, lernen sie es und lassen den Scheiß endlich wieder sein), viel hintenrum gepasst wird (Super Ballbesitz- und Passquote!) und Wintzi große Probleme mit Ballannahme und Chancenverarbeitung hat. Soweit also alles beim Alten.

 

Dann, in Minute 21, passiert es: Aues erster gute Angriff über links sitzt und David macht das Kack-Tor des Monats, indem er mit einer Kopfabwehr den eigentlich schon auslaufenden Jonjic anköpft und der Ball von diesem ins Tor abprallt. Aue führt 1:0.

Was für eine Slapstick-Aktion! Was ein Billard-Tor!! Nur der HSV!!!

75 % Ballbesitz, kaum Abschlüsse und null Torchancen des Gegners bisher und dann sowas. Aber wenn man eines gelernt hat im Saisonverlauf, dann das: Beim spektakeligen Walter-Fussball kann einfach alles passieren. Und sein Satz in der PK stimmte, Aue fehlen die fußballerischen Mittel. Dem HSV aber leider auch. Denn ab da lief der HSV mal wieder einem Rückstand hinterher und verlor zusehends den Faden. Stockfehler häuften sich, es gab viele Ballverluste im Mittelfeld, das Spiel verflachte zusehends. Man sah kaum Bewegung ohne Ball und Kombinationen seitens des HSV hatten Seltenheitswert. Aber das kennen wir ja schon.

Verhaltensauffällig zeigte sich wieder mal „Der wahre Zehner“ Sonny Kittel, der nach aggressiven Schubsereien mit einem Gegenspieler völlig zu Recht die Gelbe sah. Unnötig und überflüssig. Er hatte diesen Jarolim-Moment ja auch schon gegen Nürnberg. Walter muss schnell gegensteuern, damit das nicht voll in die Hose geht, wenn Sonny beim nächsten mal seine Emotionen nicht im Griff hat.

In der Nachspielzeit der ersten Hälfte kam Gueye dann nochmal völlig frei vorm Hamburger Tor zum Ball und hatte das 2:0 schon auf dem Kopf, haute aber daneben. Reines Glück für den HSV, dass das Ding nicht rein ging. Aue schon vor dem Kopfball zunehmend giftiger, entschiedener, willensstärker. Die merkten, hier geht was.

Zur zweiten Halbzeit brachte Walter dann Jatta für Wintzheimer und Reis für den bis dahin total unauffälligen Mo Heyer. Es wurde aber nicht besser. Aue stand tief und Hamburg fehlten im Mittelfeld die Mittel und in der Box die Kreativität. Selbst als der Schiedsrichter Aues Messeguem nach Foul an Kittel mit einer für mich etwas seltsamen roten Karte vom Platz stellte, konnte der HSV aus 20 Minuten in Überzahl keinen Profit ziehen.

Bis zu Minute 4 der Nachspielzeit, denn da fiel Kack-Tor Nummer 2. Karlsson köpfte völlig frei und unbedrängt ins eigene Netz statt ins Seitenaus. Aue verschenkt den ersten Sieg und zwei Punkte. Kannste Dir nicht ausdenken, sowas.

Fazit: Der HSV zeigte sich mittellos, willenlos, würdelos, hilflos und torlos. Selten war ein Punkt geschenkter als dieser. So wird das nichts. Nicht mit dem Aufstieg und auch nicht mit irgendeiner Entwicklung von Mannschaft oder Spielern.

Walters Fußball ist entschlüsselt. Selbst unterklassige Gegner stellen sich bestens drauf ein. Und sie haben es leicht, denn Papa Tim fehlt ein Plan B. Die Fähigkeit, im Spiel die eigene Taktik zu ändern, um Fehler abzustellen und dem Gegner was entgegenzusetzen. Für mich war dieses Spiel der neue Tiefpunkt der Saison. In der Sylvesterallee sollten spätestens jetzt alle Alarmglocken läuten. Aber wir kennen Boldt und Mutzel, die leider eines mit ihrem Chefcoach gemeinsam haben: Sie haben auch keinen Plan B.  Und da man die Spielpause in Hamburg erfahrungsgemäß nicht nutzen wird, um die Fehler abzustellen, bleibt alles so, wie es ist. Dem HSV droht, diesen Spieltag noch bis auf Platz 8 abzurutschen und ich freue mich jetzt schon auf Düsseldorf, Paderborn und Holstein.