Oft fragt man sich, was anders hätte laufen müssen, oder? Wie der HSV nach Jahren des Darbens, der sportlichen Enttäuschungen, des wettbewerblichen Niedergangs die Kurve hätte kriegen können, spätestens nach der erfolgreichen Ausgliederung im Jahr 2014. Was wollte man nicht alles besser bzw. anders machen als zuvor und hat es am Ende dann doch bewußt oder unbewußt, geplant oder zufällig erneut krachend verkackt. Man hat in leichtfertigster Art und Weise zig-Millionen verbrannt, im Klo runtergespült oder in falsche Spieler und miese Berater gesteckt, anstatt einen Plan zu entwickeln, der vielleicht nicht vom ersten Tag erfolgreich, aber mittel- und langfristig alternativlos war, heute ist es leider zu spät dafür. Dabei gibt es genügend anschauliche Beispiele, die man vielleicht nicht 1:1 hätte kopieren müssen, die aber als Anschauungs-Objekt hätten dienen können. Dies in Kombination mit der „Weltstadt“ Hamburg, der hanseatische Attitüde, dem norddeutschen Understatement, das hätte nicht nur klappen können, es wäre der Beginn zu einer Geschichte gewesen, der viele gefolgt wären. Niemand hätte vom ersten Augenblick an überragende Erfolge erwartet oder gefordert, hätte man den neuen Weg nur ehrlich und transparent erklärt. Aber all das wollte man nicht in Hamburg, man wollte den schnellen Erfolg (Beiersdorfer), man wollte selbst kassieren (alle), man wollte den eigenen Job sichern und den eigenen Vertrag verlängern (ebenfalls alle), anstatt das Richtige zu tun. 

„Nur mit Jungen geht es nicht“ ist ein Satz, der in Hamburg oft und gern strapaziert wurde und der ebenso falsch wie dümmlich ist. Denn es geht sehr wohl, man braucht halt nur die richtigen Jungen und man braucht die Übungsleiter, die mit diesen richtigen Jungen umgehen und sie stetig verbessern können. Der HSV hat Beides nie gefunden, wahrscheinlich hat er auch nie wirklich ernsthaft danach gesucht. Dabei wäre es eigentlich gar nicht so schwer gewesen, ich ziehe einfach mal ein Beispiel, um zu verdeutlichen, wie der Stand der Dinge war. 

In der Saison 2014/15 hatte der HSV eine Mannschaft mit einem Kaderwert von € 115 Mio. Allerdings hatte man zum damaligen Zeitpunkt auch 38!!! Lizenzspieler unter Vertrag. Der durchschnittliche Marktwert eines HSV-Spieler betrug damals, zu Bundesliga-Zeiten und vor 7!!! Jahren fast exakt € 3 Mio. Euro. Insgesamt beschäftigte der HSV damals 15 Spieler die älter als 26 Jahre waren. 15 von 38. Im Jahr 2021 hat der Kader von RB Salzburg einen Marktwert von € 154 Mio., allerdings beschäfigt man lediglich 29 Profis, also 9 weniger als der HSV. Der durchschnittliche Transferwert eines RB-Profis beträgt € 5,3 Mio. Nun muss man natürlich berücksichtigen, dass sich der Fußball in den letzten 7 Jahren maßgeblich entwickelt hat. Die TV-Einnahmen sind gestiegen, die Sponsorengelder auch, von den Transfersummen ganz zu schweigen. Es verbietet sich aus meiner Sicht also nicht, die (Markt)-Werte beider Klubs miteinander zu vergleichen. Betrachtet man jedoch den Kader der Österreicher, so fällt auf, dass von den 29 Profis ganze 5 Spieler 26 Jahre und älter sind, aber insgesamt 18 Spieler sind 21 Jahre und jünger. Und RB ist national das Maß aller Dinge, spielt in der Champions League und verkauft jedes Jahr seine besten Spieler für absolute Unsummen. 

Daka (€ 30 Mio.), Mwepu (€ 23 Mio.), Szobozslai (€ 23 Mio.),  Hwang (€ 9 Mio.), Haaland (€ 20 Mio.), Dabbur (€ 17 Mio.), Schlager (€ 15 Mio.), Samasseku (€ 14 Mio.), Lainer (€ 12,5 Mio.), Wolf (€ 12 Mio.), Pongarcic (€ 10 Mio.), Haidara (€ 19 Mio.), Caleta-Car (€ 19 Mio.), Lazaro (€ 10,5 Mio.). Und dies ist nur die Bilanz der letzten drei Sommer-Transferperioden. Ich möchte bewusst auf einen Transfervergleich zum HSV verzichten, der Unterschied ist einfach zu brutal. 

„Nur mit Jungen geht es nicht?“ Warum setzt sich dann RC Salzburg in Österreich jedes Jahr gegen Vereine wie Klagenfurt, Altach oder Rapid Wien durch, die deutlich ältere Kader unter Vertrag haben? Ganz einfach, weil sie eben die richtigen Jungen gefunden haben und weiterhin finden. Wenn RB einen Spieler wie Haaland oder Upamecano abgibt, hat der Verein bereits einen designierten Nachfolger im Auge und meistens unter Vertrag. Dies erfordert natürlich ein perfektes Scouting, beste Kontakte und eine echte Idee von dem, was man vorhat und plant. Alles Dinge, die der HSV nie hatte und meinte, nie nötig zu haben. In Hamburg agiert man immer noch nach dem Hand-in-den-Mund-Prinzip, es gibt keine Strategie, keinen Plan, keine Transparenz und entsprechend keinen Erfolg. Unmittelbar nach der Ausgliederung hätte man in Hamburg mit einer Abwandlung des Salzburger Modells beginnen müssen, die Voraussetzungen waren da und die Fans wären dem Plan bedingungslos gefolgt, hätte man sie durch ehrliche Information mit ins Boot geholt. Ich habe all das bereits vor und auch nach der Ausgliederung geschrieben und gefordert, aber stattdessen wurde an der Sylvesterallee weitergewurschtelt und man holte Spieler wie Lasogga (€ 8,5 Mio.), Behrami (€ 6 Mio.), Müller (€ 4,5 Mio.), Cleber Reis (€ 3 Mio.), Holtby (€ 6,5 Mio.), Ekdal (€ 4 Mio.), Hunt (€ 3 Mio.), Walace (€ 6,5 Mio.), Halilovic (€ 5 Mio.). Allesamt Spieler, von denen bereits am Tag ihrer Verpflichtung klar war, dass sie unmittelbar helfen sollten, mit denen man aber keinen Transfergewinn würde erzielen können. 

Wenn man dann doch mal einen Spieler holte wie Kostic (€ 14 Mio.) oder Douglas Santos (angebliche € 6,5 Mio.), die sich noch in der Entwicklung befanden und erkennbare Klasse mitbrachten, dann verschlechterte man diese Spieler beständig, so dass die Transfererlöse mehr als überschaubar waren (Douglas Santos) oder bei einem Spieler wie Filip Kostic ins Bodenlose fielen (€ 6 Mio.). Man sieht, beim HSV mangelte es an allem. An einer Idee, an dem Willen, etwas wirklich zu verändern und durchzuziehen. An einem Scouting, an wirklich kompetenten Trainern. Man baute keinen Verein auf, der für die Entwicklung von Top-Talenten steht, die in Hamburg den nächsten Schritt machen könnten, man baute einen Verein auf, der dafür stand, dass man mit unterdurchschnittlichen Leistungen überdurchschnittlich gut kassieren konnte. Man bildete das Image eines Vereins, bei dem man als Profi im Winter seiner Karriere nochmal richtig absahnen könnte und es im Grunde egal ist, ob man in der Bundesliga, gegen den Abstieg oder im Mittelfeld der zweiten Liga dümpelt. Heute nun, im Herbst 2021 und im Mittelfeld der zweiten Liga ist es zu spät für all dies. Heute hat man sein Verreinsgelände verkauft, hat sich Steuergelder erschlichen, hat die zweite Fan-Anleihe an der Backe und macht trotzdem jedes Jahr mehrere Millionen Minus. Heute gestaltet man nicht (hat man eigentlich nie), heute verwaltet man sich, bis das bittere Ende kommt. Und es wird kommen, ganz sicher. 

Transferausgaben 2014/15 – 2017/18

HSV: € 120,6 Mio.

RB Salzburg: € 28,49 Mio.

Transfereinnahmen 2017/18 – 2021/22

HSV: € 60,0 Mio.

RB Salzburg: € 296,2 Mio.

Marktwert-Entwicklung 2014 – 2021

HSV: – € 77,8 Mio. 

RB Salzburg: + € 73,37 Mio.

Trainer 2014 – 2021

HSV: Slomka, Zinnbauer, Knäbel, Labbadia, Gisdol, Hollerbach, Titz, Wolf, Hecking, Thioune, Hrubesch, Walter

RB Salzburg: Roger Schmidt, Hütter, Zeidler, Letsch, Oscar, Rose, Marsch, Jaissle

Noch Fragen?

Ach ja, sorry. Natürlich ist Salzburg die wesentlich attraktivere Stadt für ausländische Talente und die österreichische Liga steckt die Bundesliga dreimal in die Tasche. Und wer heute noch denkt, dass man all diese notwendigen Schritte doch auch in der zweiten Liga nachholen könnte, weil jetzt ein 70-jähriger Horst Hrubesch sich im heimischen Bostedt gelangweilt hat und nun im Campus sitzt, der irrt. Es ging auch damals nicht vorrangig darum, ein Talent nach dem anderen zu „produzieren“, sondern sie doch geschicktes und gezieltes Scouting zu finden und für einen Verein zu begeistern, der sich den Ruf als „Talent-Seher“ und Entwickler erarbeitet hat. Dies jedoch wird dem Verein nie mehr gelingen, der Ruf ist für alle Zeiten im Eimer. Wie ehrlich man selbst im Jahr 2021 noch mit dem Thema Nachwuchs und Talenten in Hamburg umgeht, kann man unschwer an den billigst gefakten Durchhalteparolen ablesen, mit denen man oberflächlichen Beobachtern einreden möchte, man hätte einen ach so jungen Kader und würde ständig mit einer besseren U21 auf den Platz gehen. Bullshit. Die Startelf des HSV ist auch in dieser Saison nicht jünger als früher oder jünger als die Konkurrenz und es ist einfach nur armselig, wenn man ständig versucht, diese Bilanz zu schönen, weil man in der 85. Minute zwei 19-Jährige einwechselt. Auch dies ist, wie alles an diesem Verein, peinlichstes Blendwerk, aber es wird von immer mehr Fans und Anhängern durchschaut. 

Für das Spiel, das Nord-Derby, gegen Holstein Kiel sind bisher läppische 25.000 Karten verkauft und sollte es heute Abend in Paderborn in die Hose gehen, werden es garantiert nicht viel mehr. Alles selbstverschuldet, null Mitleid.