Ein Interview mit Sportvorstand Jonas Boldt von Anfang September auf hsv.de über Transfers, Aufstieg und Spielphilosophie. Das ist noch nicht so lang her, dennoch kann man manche Aussagen bereits an den Fakten und Geschehnissen messen. Und genau das wollen wir heute mal tun:

„Der HSV hat in den Jahren zuvor auf dem Transfermarkt wirtschaftlich nicht immer gut gearbeitet, dafür müssen wir immer noch ein bisschen Tribut zollen.“

Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber das ist natürlich auch die billigste Entschuldigung von allen. Immerhin ist der Mann seit März 2019 für die sportliche Seite verantwortlich und hat sich mit Hecking, Thioune und Walter bereits dreimal verschätzt, was den Aufstiegstrainer betrifft.

„Seit ich hier bin, ist es eine Vorgabe, dass wir Gelder einnehmen müssen. Die einfachste Weise ist durch Transfers, auch wenn wir die Spieler gerne gehalten hätten. Wir haben mit Douglas Santos und Amadou Onana zwei Top-Transferverkäufe aus der 2. Liga heraus getätigt, die es je gegeben hat.“

Wie schön, Onana fiel dem HSV quasi in den Schoß. Das man so einen Top-Transfer überhaupt durchführen konnte verdankt der Verein einer Dame namens Melissa. Die Schwester von Amadou hat ihn nicht nur zum HSV gelotst, sondern auch den Weiterverkauf an OS Lille gestemmt. Da musste Supervorstand Boldt keinen Finger für rühren.

„Wir hatten in den vergangenen Transferfenstern jeweils einen Transferüberschuss, haben die Gehaltskosten heruntergeschraubt und trotzdem eine schlagkräftige Truppe am Start.“

Jetzt, wo man die Bilanz veröffentlicht wurde, darf man sich wundern: Welche Gehaltskosten wurden denn „heruntergeschraubt“? Hunts Vertrag ist ausgelaufen. Die kollabierenden Säulen Leistner und Gjasula wurden mit Abfindung vom Hof gejagt. Das Missverständnis Ulreich endete ebenfalls vertragsgemäß. Und bei Top-Torschütze Terrodde hat man schlicht und einfach gepennt. Was sagt Boldt denn zu den Neuzugängen wie Doyle und Vuskovic?

„Es geht nicht darum, Transfers zu machen, um diese zu präsentieren, sondern nur welche, die für den Kader sinnvoll sind.“

Das ist nett gesagt, alles andere wäre ja auch Quatsch. Aber das „Scheich-Schnäppchen“ Doyle und der „Kroaten-Ramos“ Vuskovic hatten bis jetzt sehr überschaubare Einsätze, besonders im Vergleich zu den Kosten, für die sie geholt wurden.

„Das Schlimmste ist, wenn man etwas stur durchzieht und sich die Augen zuhält.“

Also so, wie Walter das zur Zeit praktiziert. Wird es denn gegen die Überraschungsmannschaft der Liga und den Tabellenzweiten Jahn Regensburg nun endlich einen Plan B geben?

„Die Kritik bezieht sich auf Schablonen, in denen viele denken, weil sie es sehen wollen. Man kann nicht immer alles zu 100 Prozent erklären, aber die Menschen, die sehr gut zuhören, erkennen eine Idee dahinter.“

Kritiker sind Schablonendenker, die keinen Durchblick haben. So einfach kann man es sich machen.

„Es wird sehr viel schwarzweiß gesehen. Aus den gleichen Gründen gab es für uns die Chance, einen Sebastian Schonlau oder Jonas Meffert zum HSV zu holen, weil sie sich verändern wollten. Für diese Spieler ist der HSV kein Downgrade, sondern ein Upgrade.“

Oha, Downgrade hört man ungern in Verbindung mit Spielern, die zum Verein kommen. Ist das wirklich schon die Einschätzung, die man gegenüber dem HSV in der Branche hat? Was ist denn die Philosophie hinter den Verpflichtungen?

„Ich erkläre, dass wir in erster Linie überlegen, welchen Trainer wir holen, weil wir ein gewisses Profil suchen. Das war sowohl bei Dieter Hecking und Daniel Thioune als auch jetzt bei Tim Walter so. Das Profil hat sich etwas angepasst: von der Persönlichkeit und der Spielumsetzung des Trainers. Aber es war klar: Wir werden immer eine Mannschaft sein, die viel den Ball hat und deswegen brauchen wir einen Trainer, der damit umgehen kann und ebenfalls offensiv spielen lassen möchte. Ich sehe nicht viele philosophische Unterschiede zwischen Tim und Daniel, außer dass die Anlage der Spieleröffnung bei Tim noch mutiger ist.“

Jeder, der sehen kann, bemerkt sehr wohl große Unterschiede zwischen DT und TW. Das sind zwei komplett unterschiedliche Spielphilosophien. Wie kann man das nicht erkennen?

Es ist ein Zusammenspiel: Man wählt einen Trainer aus, der eine Idee hat, mit der wir uns identifizieren und bei Spielern über die gleiche Denkweise redet. Es gibt eine Philosophie. Die gibt der Club vor. Danach sucht er einen Trainer aus und im Anschluss werden Spieler verpflichtet.“

Das fühlt sich aktuell aber mal ganz anders an. Die Spielweise von Walter kann ein Großteil der Mannschaft nicht richtig umsetzen. Es fehlt an Kondition, Physis, Technik und Talent. Ob man das durch Training und Entwicklung kompensieren kann, ist mehr als fraglich:

„Bei uns in der sportlichen Führung und auf der Geschäftsstelle gibt es die Geduld. Natürlich auch bei ganz vielen Fans, die mich darauf zum Beispiel auf der Straße ansprechen. Es gibt aber natürlich auch unruhige und ungeduldige Fans. Und dass man diese Stimmen mehr hört, wenn es nicht so läuft, ist auch klar.“

Diese Erkenntnis ist weder neu noch originell. Aber wie reagiert man denn beim Verein darauf?

„Aber wir können realistisch einschätzen, dass Erfolg nicht garantiert werden kann. Das geht auch allen anderen Clubs so. Es wird immer Enttäuschungen geben. Wir haben nie gesagt, dass wir kleinere Brötchen backen wollen.“

Das kann man auch schlecht behaupten bei der drittteuersten Truppe der Liga. Geld gibt man genug aus, leider fehlt es an der entsprechenden Gegenleistung.

„Wenn man merkt, dass bei uns am zweiten Spieltag, wenn der Ball zum Torwart zurückgespielt wird, ein Raunen durchs Stadion geht. Das ist an solchen Standorten nicht der Fall. Deswegen kann man Union Berlin, Arminia Bielefeld oder Greuther Fürth nicht einfach nach Hamburg kopieren.“

Falsch. Scheiß-Fußball findet man nirgendwo gut. Insofern hinkt der Vergleich mit Union und Konsorten. Die machen auch nicht alles richtig, aber sie spielen in Liga 1 und das ist immerhin etwas, dass der HSV die letzten drei Jahre nicht geschafft hat. Was kann die Konkurrenz, was der HSV nicht kann?

„In manchen Partien hat uns das Momentum gefehlt, wie es auf Schalke der Fall war, weil wir es uns nicht erarbeitet haben. Wenn ich das Spiel auf St. Pauli nehme, wo wir keine gute erste Halbzeit gespielt haben. Wir gehen trotzdem mit einem 1:1 in die Pause und kommen super in die zweite Hälfte. Unverständlicherweise kriegen wir keinen Elfmeter, ein paar Minuten später steht es 1:3.“

Ok, die Schiedsrichter sind schuld. Man hätte es ahnen können.

„Gegen Dresden muss es zur Halbzeit 4:0 stehen, am Ende geht es 1:1 aus. In Heidenheim spielen wir deutlich besser als die Jahre zuvor, müssen auch als Sieger vom Platz gehen, können uns aber auch nicht beschweren, wenn ein Lattentreffer der Gastgeber reingeht.“

Jaja, die zweite Liga ist die bessere Super League. Da sind nur Top-Teams am Start, die alle gegen den großen HSV ihr bestes Spiel auspacken und es ist verdammt schwer, sich die gesamte Saison da durchzusetzen. Gähn!

„Die 2. Liga zeichnet aus, dass es super eng ist. Das merkt man in jedem Spiel. Deshalb ist es unsere Aufgabe, noch härter daran zu arbeiten, dass wir den Sack früher zu machen und das Momentum auf unsere Seite ziehen. Ich habe viele gute Dinge gesehen, weiß aber auch, dass es ein Prozess ist, und dass keine Mannschaft wie selbstverständlich durch diese Liga marschiert.“

Atom-Gähn! Von wegen Sack zu machen: Seit diesem Interview gab es die Spiele gegen Nürnberg, Aue, Düsseldorf, Kiel und den KSC und nichts von den Versprechungen und Verbesserungen ist eingetroffen. Stattdessen steht der HSV auf Tabellenplatz 7, so schlecht wie nie. Was sagst Du dazu, Herr Sportvorstand?

Natürlich spielt der Tabellenplatz eine wichtige Rolle, aber die Gesamt-Entwicklung des Clubs ist das Entscheidende.“

Genau, und die ist katastrophal!

„Ich finde, es gibt einige Dinge, die sich hier verändert haben. Es ist deutlich ruhiger geworden, der Zusammenhalt und die Vernetzung zum Nachwuchs sind besser, deshalb werden Spieler nach oben geschoben, die früher im Profibereich vielleicht gar nicht bekannt gewesen wären. Es wächst etwas zusammen.“

Aber nur, weil die Kohle für Transfers fehlt. Das ist keine geplante Entwicklung, sondern eine aus der Not geborene. Das weiß jeder, der von der Stirn bis zur Nasenspitze denken kann. Daran ist nichts mutig oder visionär.

„Am Ende ist der Sport das Produkt.“

Stimmt. Und genau daran hapert es beim HSV und Du, Jonas Boldt, bist der Hauptverantwortliche. Zieh‘ endlich die nötigen Konsequenzen und folge Deinem Vorstandskollegen. Dieser Verein hat dich nicht verdient.