Dies wird eine Geschichte über Gerechtigkeit, Verantwortung und dem gleichen Recht und eben auch den gleichen Pflichten für alle und sie erinnert mich in gewissen Teilen an den Fall Jatta/Daffeh. Es geht darum, dass man nicht die Gesetze eines Landes und die Regeln einer Gesellschaft aushebeln können dürfte, weil man entweder berühmt oder prominent oder reich oder alles zusammen ist. Regeln und Gesetze sind dafür gemacht, dass alle Teile einer Gesellschaft nach ihnen leben und im Zweifelsfall auch nach ihnen sanktioniert werden können, wenn sie nicht eingehalten werden. Voran ein kurzes Beispiel: Ich fahre mit meinem Auto mit 65 km/h durch eine 30er-Zone und werde geblitzt. Folgerichtig muss ich eine Geldbuße in Kauf nehmen und bekomme mit ziemlicher Sicherheit einige Punkte in Flensburg. Wenn Herr Jatta/Daffeh das Gleiche passiert, sollte er doch eigentlich die exakt gleiche Strafe erhalten, oder? Wenn ich nun aber der Argumentation der Mitglieder von #TeamJatta folge, würde Bakery ohne Strafe oder nur mit einer Verwarnung davonkommen. Denn er hatte im Gegensatz zu mir eine schlimme Kindheit, bezahlt (wie ich) immer pünktlich seine Steuern und ist (wie ich) in seiner Community bestens integriert. Aber im Gegensatz zu Herrn Jatta/Daffeh bin ich eben kein Profifußballer und muss daher mit einer unverhältnismäßig höheren Bestrafung leben? In welcher Welt kann sowas funktionieren? In meiner nicht, aber heute reden wir nicht über Herrn Jatta/Daffeh, wir reden über Herrn Djokovic aus Belgrad. 

Bevor wir zum Fall des Jokers kommen, möchte ich kurz skizzieren, was ich tun musste bzw. muss, um am Ende des Monats nach Australien einreisen zu dürfen. Vor ca. 9 Jahren entschied sich meine einzige Tochter, nach Australien zu ziehen, weil sie nur dort exakt das studieren konnte, was sie gern wollte. In Deutschland wäre dieses Studium nicht möglich bzw. nur mit Umwegen über ein Psychologie- oder Medizinstudium erreichbar gewesen. In dem Moment, als die Entscheidung gefallen war, war meine Entscheidung gefallen, ihr sobald es ging zu folgen. Dann ging es los. Als meine Tochter nach Australien kam, musste sie dort unmittelbar ein sogenanntes Bridging-Visum beantragen, dies dauerte ca. 1 1/4 Jahre. Sobald dieses Visum erteilt worden war, konnte sie ihr Permanent-Visum beantragen, die Bestätigung dauerte 1 1/2 Jahre. Während dieser knapp drei Jahre war ich handlungsunfähig, was meine eigenen Visumsbemühungen betraf, denn erst als meine Tochter dauerhaft „geduldet“ wurde, konnte ich meinen Antrag stellen. Zuerst einmal vorab eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von $ 2.600, natürlich ohne Garantie, dass das Visum erteilt werden würde. Der Antrag bestand aus mehr als 45 Seiten und alle Dokumente, die ich einreichte, mussten von einem Übersetzer übersetzt und anschließend amtlich beglaubigt werden, das kostet fast nichts. Dann erhielt ich die Bestätigung, dass mein Antrag in Perth eingegangen war, dann kam nichts mehr. 5 Jahre lang! 

Nach 5 Jahren erhielt ich eine lapidare Mail (man bekommt alles während des gesamten Vorgangs per Mail, keine Post), dass ich mich zu einem medizinischen Check melden sollte, Frist: 29 Tage. Problem ist nur – es gibt in ganz Deutschland nur zwei von den Australiern anerkannte Ärzte, die diesen Test durchführen dürfen, einer sitzt in Frankfurt, der Andere in Berlin. Also Anfang 2020 schnell einen Termin in Berlin vereinbaren, morgens um 4 Uhr nach Berlin fahren, den ganzen Tag testen lassen und € 600 abdrücken. Die Testergebnisse werden dann direkt von diesem Arzt an die australischen Behörden gemeldet. Einen Monat später dann die Nachricht, dass nicht nur der Gesundheits-Check ok wäre, sondern dass auch mein Visum genehmigt werden würde, wenn ich innerhalb von 10 Tagen müde $ 29.000 nach Australien überweisen würde. Dies tat ich (mit Hilfe meiner Tochter, also die Überweisung, nicht die Summe) und drei Tage später hatte ich ein Visum. Für 2 Jahre. Denn das permanente Visum kann man erst dann beantragen (und erhalten), wenn man zuvor dieses Übergangsvisum erhalten hatte. Alles war gut, dann kam Covid-19 und Australien machte die Grenzen zu. 

Mittlerweile habe ich (es ist inzwischen möglich), mein Dauer-Visum beantragt, alle relevanten Unterlagen (wie ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis etc.) eingereicht und warte nun auf Erteilung und die Rechnung, die deutliche höher ausfallen wird als beim Übergangsvisum Aber: Ich kann jetzt tatsächlich mit meinem Übergangsvisum einreisen, vorausgestetzt, ich erfülle folgende Kriterien:

Vollständige Impfung

72 Stunden vor Abreise eine negativen PCR-Test

Registrierung bei der Regierung von Victoria wegen 3-Tage-Quarantäne nach meiner Einreise

Einrichtung einer App, der ich sämtliche Daten meiner Reise, meiner Kontakte, meines Impfstatus etc. aktualisieren muss

Ich habe inzwischen im Süden Australiens eine tolles Haus mit einem riesigen Grundstück gekauft, diese Woche kaufe ich ein Auto und dann kann das neue Leben (hoffentlich) beginnen.

Und nun kommt Herr Djokovic.

Herr Djokovic gibt seinen Impfstatus nicht bekannt, aber man kann davon ausgehen, dass er sich bisher nicht hat impfen lassen. Warum sonst sollte er ein Geheimnis daraus machen? Sich nicht impfen zu lassen ist sein gutes Recht, solange es keine flächendeckende Impfpflicht gibt. Aber dann muss der Weltrangslisten-Erste halt auch damit leben, dass er gewissen Sanktionen zum Opfer fällt und die Sanktionen gegenüber Nichtgeimpften in Australien sind deutlich strenger als bei uns. So war vom ersten Moment an für bestimmte Berufsgruppen wie First Responders (Polizei, Feuerwehr etc.), Ärzte, Krankenhaus- und Pflegepersonal, aber auch Bauarbeiter eine Impfpflicht beschlossen worden, meine Einreise-Voraussetzungen habe ich beschrieben. Herr Djokovic meinte nun., er könnte mit einer „Ausnahmegenehmigung“ all diese Regeln umgehen, also ungefähr so, wie Herr Jatta/Daffeh meint, dass für ihn bestimmte Regeln nicht gelten würden. Was die australische Gesellschaft davon hält, davon kann sich jeder heute in den Medien überzeugen, Melbourne (wo die Australian Open stattfinden) ist die Stadt mit dem weltweit längsten Lockdown. Wie gesagt, Novak Djokovic muss sich nicht impfen lassen, aber dann muss er halt damit rechnen, dass ihm gewisse Rechte wie z.B. die Einreise nach Victoria verwehrt bleiben. Das aber möchte der Mann nicht akzeptieren, schließlich ist er die Nr. 1 der Welt (und Herr Jatta/Daffeh ist Profi beim HSV).

Meine Meinung ist klar, ich denke, dass wir mittelfristig in Teufels Küche kommen, wenn wir das Recht und die Gesetze, die für alle gelten sollten, für einig wenige „Privilegierte“ außer Kraft setzen. Hier, weil man sich mit einer herzzerreißenden Flüchtingsstory schmücken möchte, dort, weil man als Turnierveranstalter nicht auf die Nr.1 und eines der Zugpferde verzichten will. Aktuell sitzt Novak Djokovic auf dem Flughafen in Tullamarine bzw. in einem Corona-Hotel fest und seine Anwälte wollen eine Einreise einklagen. Ich denke, er sollte das lassen, denn ich kenne „meine“ Australier inzwischen. Sollte es ihm gelingen, durch irgendeinen Winkelzug doch einreisen und spielen zu können, werden sie ihn niedermachen. Auf und neben dem Platz. Was eine eingeklagte Einreise des Spielers für jemandem wie mich mit meiner Odyssee bedeuten würde, kann sich wohl jeder ausmalen. 

P.S. Meine Tochter hat vor mehr als einem Jahr (auch dank eurer tollen Unterstützung) ihr Master-Studium an der University of Melbourne hervorragend abgeschlossen und hat mittlerweile einen tollen Job. Außerdem ist sie inzwischen australische Staatsbürgerin.