Irgendwie ist es paradox: Früher habe ich mich um jede Fußball Live-Übertragung, besonders natürlich von einer Weltmeisterschaft, gerissen ohne Ende und dann wurden nicht alle Spiele so übertragen, dass man sie sehen konnte. Jetzt lebe ich in Australien und mit SBS gibt es einen frei verfügbaren Satellitensender, der den ganzen Tag nichts anderes macht als jedes Spiel live zu zeigen und im Anschluss in Endlosschleife wirklich jede Begegnung mehrere Male pro Tag. Es ist nicht einfach, dem aus dem Weg zu gehen, aber ich schaffe es – irgendwie. Dabei möchte ich mir eigentlich gar nicht sklavisch verbieten, mir die Spiele einer Meisterschaft anzugucken, es interessiert mich nur einfach nicht (mehr). Vor vier Jahren fand die Endrunde der WM in Russland statt, man kann es sich heute kaum noch vorstellen und auch damals habe ich nicht einmal die drei Spiele der deutschen Mannschaft gesehen. Vier Jahre später ist das Interesse noch deutlich abgeflauter, wenn das überhaupt noch möglich war.

Heute Nacht nun hat die großartige Turniermannschaft aus der BRD ihr erstes Spiel gegen den übermächtigen Gegner aus Japan mit 1:2 verloren, als ich es las, habe ich gelacht. Weniger über das Ergebnis, als mehr über die Vorhersehbarkeit. Gestern habe ich australischen Nachrichten gesehen und ein Sportkommentator meinte in der Vorberichterstattung: Zwei Dinge sollte man nie unterschätzen – Rocky Balboa in einem Boxkampf und die Deutschen in einem Turnier und an dieser Stelle sehen wir, wo der Hase im Pfeffer liegt. Denn (große) Teile der Welt sehen Deutschland immer noch als etwas Besonderes, als besonders herausragend in vielen Dinge, was unglücklicherweise schon längst nicht mehr stimmt. Hier in Australien auf dem Land ist jeder wild auf deutsche Geräte wie Bohrmaschinen, Kettensägen und ein deutsches Auto ist wirklich etwas Besonderes. Hier kauft man Stihl, wenn man sich ein Gartengerät kauft und etwas auf sich hält und wenn ich den Leuten dann sage, dass sie die gleiche Qualität aus Japan für den Bruchteil des Preises bekommen, gucken sie einen an wie einen Außerirdischen. Dabei ist nach meinem Enpfinden die Situation der deutschen Nationalmannschaft sinnbildlich für die Situation der deutschen Gesellschaft. 

Zwischen Flensburg und Passau lebt man immer noch von dem Ruf, den sich das Land zwischen 1950 und 2000 aufgebaut hat, welcher aber leider nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. So viele Länder haben den Deutschen den Rang in so vielem abgelaufen, wenn man z.B. über die Grenzen nach Polen fährt, hat man unmittelbar ein 4G-Netz, in einer Stadt wie Hamburg existieren Funklöcher. Ich möchte eigentlich gar nicht mit politischen Dimensionen anfangen, aber allein das Verhalten um die Ukraine-Unterstützung und sport-politisch die Albernheit um die One Love-Binde – das Land ist inzwischen biederer Durchschnitt und damit ein Zwilling der Nationalmannschaft, die dieses Land repräsentiert. Das Einzige, worin die Deutschen immer noch groß sind, ist mit dem Mund, man lebt größtenteils in der gleichen Vergangenheit, in der Bewohner anderer (ferner) Länder diesen Staat noch empfinden. Dabei wurde man außen überholt und in großen Teilen abgehängt, von Ländern, über die man vor 20 Jahren noch müde lächeln wollte. Als ich 1984 als Soldat meinen Wehrdienst ableistete, hatte die Bundesrepublik 360.000 Soldaten unter Waffen, heute muss man sich fürchten, von Dänemark überrannt zu werden. Das Land hat sich so lange auf seinem Ruf und auf den Verdiensten der Vergangenheit ausgeruht, dass man träge, langsam, umständlich und überheblich geworden ist. 

Wie gesagt, noch denken Menschen in Australien etc., dass aus Deutschland etwas Besonderes kommt, dass die Deutschen für Pünktlichkeit, Innovation, Effektivität und Solidität stehen, aber das hält nicht mehr lange. Und bis gestern dachten die Australier auch, Deutschland wäre immer noch die Turniermannschaft, die sie früher einmal war. Heute sind deutsche Tugenden uncool geworden und die krampfhaft gelebte Internationalität hat dem Land große Teile des Charakters geraubt, den es viele Jahre gehabt hat und worauf die Bürger anderer Nationen mit Neid und Respekt schauten. Es ist nur noch ein kleiner Schritt, bis aus diesem Respekt Mitleid wird. 

Bias morgen.