Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Weihnachtsgeschichte geschrieben und ich werde heute auch nicht damit anfangen. Aber ich möchte euch erzählen, was mir heute passiert ist, denn für mich ist das am 24.12.2022 ziemlich symptomatisch für vieles und eben auch ein wenig „weihnachtlich“. 

In Australien wird, im Gegensatz zu vielen Gegenden in Europa, Weihnachten erst am 25.12. gefeiert, Christman Eve, also der 24.12. spielt keine große Rolle, viele Menschen arbeiten heute noch. Oder sie kaufen halt für die anstehenden zwei Feiertage ein, so wie ich es gestern bei mir in der Nähe in Colac und heute am Meer, in Apollo Bay gemacht habe. Apollo Bay deshalb heute, weil der Ort einigermaßen weltberühmt für eine ganz bestimmte Spezialität ist und die werde ich morgen auf den Grill hauen, wenn meine Tochter kommt. Natürlich hatte ich den Spaß vorbestellt, als Deutscher geht man irgendwie immer auf Nummer sicher. Ich bin in meinem Leben schon einige Male nach Apollo Bay gefahren, ich kenne den Weg also. Der herkömmliche Weg von meinem Haus aus aus führt über Gellibrand, Lavers Hill, Johanna, Glenaire, Cape Otway und Marengo nach Apollo Bay und ist ca. 78 km lang. Für australische Verhältnisse ist das ein Gag, es gibt Leute, die fahren das jeden Tag. Aber es ist halt keine deutsche Autobahn, man fährt durch den Otway National Park, unendliche Regenwälder und viel Eukalyptus. Und weil es sich eigentlich durchgehend um Serpentinen handelt, kann man auch nicht besonders schnell fahren. Also habe ich meine Nachbarn Jeff (der Mann heißt übrigens Keegan 😀 ) gefragt, ob er noch einen anderen Weg kennt, er lebt hier schließtlich länger als ich und er hat ein Segelboot im Hafen von Apollo Bay. „Klar“, sagt Jeff, „du fährst einfach unsere Straße in die andere Richtung, dann nach rechts und dann findest du das schon.“ 

Also schön. Meine Kontaktperson Bree in Apollo Bay hatte mir geschrieben, ich konnte meine Order um kurz nach 9 Uhr abholen, dann wäre alles fertig. Ich packe also den Hund um 8 Uhr ins Auto und fahre los. Den Anfang der Strecke kenne ich, ich bin dort schon mal gelaufen, aber nach ca. 6 km ist alles neu. Ihr müsst euch das alles ein wenig anders vorstellen, als in Deutschland, die Straße, an der mein Grundstück liegt, ist eine Schotterstraße, die zwar gut gepflegt wird, aber wenn im Sommer ein Auto mit 60 km/h kommt, sieht man anschließend 3 Minuten nichts mehr. Und so ging diese Straße, immer weiter und tiefer in den Wald, Höchstgeschwindigkeit 45 km/h, allein schon, um den Wagen nicht in irgendeinem Schlagloch zu ruinieren. Man ist dort alleiner als allein, es gibt keine Menschen und es kommt einem auch kein anderes Auto entgegen. Die einzigen Herausforderungen sind die Schlaglöcher und die Kängurus, die vollkommen unmotiviert aus dem Wald quer über die Straße hüpfen, vorzugsweise dann, wenn ein Auto kommt. Da ich unter Garantie keines dieser faszinierenden Tiere verletzen möchte, fahre ich vorsichtig, nichts passiert. Irgendwann lande ich dann wie aus dem Nichts auf einer asphaltierten Straße, die mich nach ca. 50 Min. und 46 Kilometern nach Apollo Bay bringt. Es ist kurz vor 9 und ich beschließe, nach der langen Fahrt mit dem jungen Hund (Chandu ist jetzt 7 Monate alt) noch ein wenig an den Strand zu gehen, bietet sich ja an bei 24 Grad. Ach ja, einige Zeit, nachdem wir an dem Strand waren, wurde für genau den Strand eine Hai-Warnung herausgegeben. 

 

 

Schön, es ist also 9.15 Uhr, der Hund kommt wieder ins Auto und wir waren zu dem Ort, an dem ich meine Bestellung abholen sollte. Als ich in die Pascoe Street einfahre, sehe ich die Schlange vor dem Laden, mindestens 30 Personen. Also parken und anstellen. Nach einiger Zeit spricht mich der Mann hinter mir an. Ob ich Tourist sei oder in Apollo Bay wohne würde. „Nein“, sage ich, „ich wohne nicht in der Bay, sondern einige Kilometer im Landesinneren.“ Der Mann nickt. „Kenne ich“, sagt er, „ich kaufe meine Zigaretten immer in Colac, spezielle Marke“. Wir kommen ins Gespräch, ich erzähle ihm, woher ich ursprünglich komme, das findet er spannend. Überhaupt sind die Australier in solchen Situationen vollkommen anders als die Deutschen. Sie sehen die Schlange, schütteln lachend den Kopf, stellen sich an und reden miteinander. Mein „Schlangennachbar“ erzählt mir, dass er eine Nichte hat, die in Berlin wohnt und die er mal besucht hat. „Das war ne Geschichte, Junge“, lachte er, „ich hatte meinen Pass verloren, mein Handy war leer und ich kannte die Adresse nicht. Ich habe dem Taxifahrer erklärt, es wäre ein Turm auf der linken und eine U-Bahn-Brücke auf der anderen Seite gewesen, mehr wüsste ich nicht. Das Problem war, dass der Taxifahrer kein Englisch sprach. Aber glaube mir, mate, wir haben das Haus gefunden, frag mich nicht, wie. Ich habe dem Mann 100 Dollar gegeben, sehr netter Mann“. Wir lachen zusammen und ich erzähle ihm von meinen Berlinerfahrungen, denn für meinen letzten Arbeitgeber musste ich fast wöchentlich nach Berlin fahren. Er erzählt noch von anderen Verwandten, eine weitere Nichte lebt auf Ibiza und eine Cousine in Barcelona und plötzlich bin ich dran. Der Mann gibt mir die Hand und sagt: „Ich bin Mark, es war sehr nett, dich kennengelernt zu haben“. Ich bedanke mich ebenfalls und ich weiß, wenn ich das nächste Mal nach Apollo Bay fahre, werde ich nach Mark Ausschau halten. 

Dann stehe ich am Counter und sage, dass ich meine Order abholen möchte. Die junge Frau fragt nach meinem Namen und guckt ins große Auftragsbuch. „Sorry“, meint sie, „deine Bestellungen haben wir hier nicht.“ Ich sagte, das könne nicht sein, sie möge bitte Bree fragen. Bree kommt und lacht. „Hast du denn meine Mail nicht gelesen, die ich dir gestern geschrieben habe? Du kannst deine Sache im Restaurant direkt abholen“. Ich hatte keine Mail erhalten, ich war zu 100% sicher. Aber sicherheitshalber gucke ich nochmal auf dem Handy und da ist sie. Im Spamordner. Alle Mails zuvor von Bree waren ganz normal im Posteingang gelandet. „No worries“ lacht Bree, „es ist jetzt 10.10 Uhr, du gehst so gegen halb 11 ins Restaurant und sagst, Bree schickt dich“. Das Restaurant ist ca. 3 Minuten entfernt, also was mache ich? Hinfahren, Hund rausholen und nochmal an den Strand. Um 10.34 Uhr bin ich im Restaurant, ein etwas älterer Mann mit längeren grauen Haaren und wettergegärbten Gesicht begrüßt mich. „G’day mate, how are you?“ Ich bekenne, dass es mir gutgehen würde und erkläre, dass Bree mich schickt. „Aha, Bree also“, er lacht. „Was kann ich für dich tun“. Ich erzähle ihm, was ich bestellt habe und er zeigt auf die Auslage. „Such dir was aus“ Während ich gucke, was ich nehme, sagt er: „Kommst du aus Deutschland“? „Stimmt“, sage ich, „woran hast du das gehört?“ „Ach“, sagt der Mann, welcher wirklich extrem cool war, „Ich habe eine zeitlang in Deutschland gewohnt. „Echt, wie cool. Wo denn genau? frage ich. „Im Norden“, sagt der Mann, „in Hamburg“. „Nicht wahr“, meine ich, „ich komme aus Hamburg. Wo in Hamburg hast du gelebt?“ „Ich war in Rahlstedt“, meint er. „Unglaublich, sage ich, ich bin in Rahlstedt zur Schule gegangen.“ Wir lachen beide. 

Der Mann packt mir eine Sachen ein, guckt mich an und sagt: „Die Welt ist ein Kuhdorf, Bruder. Frohe Weihnachten“. Auf dem Weg zum Auto schüttel ich immer noch lachend den Kopf

Das muss man sich wirklich einmal vorstellen, hier am Arsch der Räuber, in einem kleinen australischen Fischernest, treffe ich jemanden, der im gleichen Stadtteil gewohnt hat, in dem ich aufs Gymnasium gegangen bin. Und wir reden auch noch miteinander. Wie wahrscheinlich ist das bitte? Aber es ist ja Weihnachten, oder? Ich weiß, dass nun wieder irgendwelchen geistig limitierten Sprüche von den immer gleichen Opfern kommen werden, mein Tipp an Hirnlosen und seine Gummizellengenossen: Bei euch in der Behindertenwerkstatt gibt es vielleicht eine Weltkarte. Guckt doch mal nach, am besten lasst ihr es euch erklären, wo Apollo Bay liegt. 

Allen anderen wünsche ich fröhliche Weihnachten mit der Familie, viel Spaß, gutes Essen und gute Gespräche. Den Schwachköpfen wünsche ich möglichst schmerzhaften Analkrebs.

Ende.